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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0068
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-&» wilhelin Liebknecht. »

Lin voller Fruchtbaum sank iin Feld
Und eine Lenkerhand am Steuer:

Der Alte starb. Lin greiser Held,

Und doch so heiß wie Blut und Feuer;

Und doch lebendig fort und fort-

Noch heute dröhnt durch unsre Schaaren
wie Tubaton das Führerwort
Des Alten mit den weißen haaren.

Lr trat mit ungebeugtem Schritt.

Lin Sieger, aus des Uerkers Mauern;
Da sproßte unter seinem Tritt
Die rothe Saat in wetterschauern.
Licht ward, wo er die Fackel trug,

Die Wolke stob, die nebelbleiche . . .
Durch -reiundfünfzig Jahre schlug
Lr Schlachten für der Zukunft Reiche.

Lr war ein Greis und saß im Rath,

— Sein Auge sah in goldne weiten
Lin Mann der unerschrocknen That
Und stand vorweg im heißen Streiten.
Narbenbcdeckt und wnndenbleich,
verbannt vom heimathlichen Herde,
Schuf er der Menschheit Heim und Reich
Rings auf der mütterlichen Lrde.

Lr ging zur Ruh. Im wirbeltanz
Entfloh die Zeit auf raschem Flügel
Und wieder streut manch' Blüthenkranz
Der März dem Kämpfer auf den Hügel.
Von Themsestrand und Seinefluß,

Aus Rebengau und Stexpenmeeren
Soll heut ein Dank- und Brudergrnß
Der Freiheit todten Rampen ehren.

Zur Einweihung des Grabdenkmals.

Ganz draußen, im äußersten Osten Berlins,
an der Peripherie der Weltstadt, ruht in seinem
Grabe der tobte Soldat der Revolution. Gleich
beim Haupteingang des Berliner Zentralfricdhofs
zu Friedrichsfelde zweigen von der Hanptallee,
die zur Leichenhalle führt, rechts ein paar Fuß-
wege ab. Sie führen zu einem Rundtheil, welches
schon jetzt der besuchteste Platz des Friedhofs ist,
denn dort, linker Hand, liegt Wilhelm Liebknechts
Grab. Ihm gegenüber, jenseits des Rundtheils,
brausen dicht ain Friedhof die Züge der Ostbahn
vorbei, und ivenn es ganz ruhig ist, trägt der
Wind ein dumpfes Getöse herüber. Das ist das
Leben der Weltstadt, mit all' seinem Menschcn-
leid, seinem sozialen Ringen, inmitten dessen der
todte Kämpfer gestanden hat und welches nun
über seineni Grabe in leise zitternden Tönen
verklingt. Bis vor Kurzem lag das Grab in
schlichtem Epheuschmuck unscheinbar da. Jetzt
erhebt sich darüber das Monument, großartig in
seiner Gesammtwirkung und doch ungesucht ein-
fach ini Einzelnen der künstlerischen Ausführung;
so recht dem Charakter und deni Wirken des
Kämpfers entsprechend, dessen Gebeine darunter
gebettet sind. Ein Werk des Proletariats, ge-
schaffen von proletarischer Künstlerhand.

Bald nach jenem denkwürdigen Sonntage, da
das Proletariat in einem endlosen Zuge, unter
Betheiligung von Hnnderttausenden, seinen todte»
Führer hinausschaffte in die stille Gruft, faßten
die Genossen des sechsten Berliner Reichstags-
Wahlkreises, den Liebknecht vertrat, den Plan,
denr Todten ein seiner würdiges Denkmal zu er-
richten. Sie setzten sich mit den Berliner Partei-
genossen in Verbindung und Ende Januar 1901
erschien im Zentralorgan der Partei ein von den
Berliner Vertrauensleuten gezeichneter Aufruf,

der zur Sammlung von Mitteln aufsorderte zur
Errichtung eines Monumentes, welches „Kind
und Kindeskindcrn Zeugniß davon geben soll,
daß in allen Ländern, wo Prolctaricrherzen
schlagen, der Name Liebknecht in hohen Ehren
steht, daß das Andenken des einzigen Mannes
auch übers Grab hinaus die Gefühle der Dank-
barkeit und Verehrung zu wecken weiß." Die
derart begonnene Sammlung brachte bald den
gewünschten Erfolg.

Dem demokratischen Prinzip folgend, übergab
das Konnte nicht ohne Weiteres einem Künstler
die Ausführung des Monumentes, sondern es
schrieb eine Konkurrenz aus. 24 Modelle und
Zeichnungen gingen in deren Folge aus allen
Theilen Deutschlands bei dem Komite ein. In
dein edlen Wettstreit um einen dem großen Todten
würdigen Denkstein wurde, nach reiflicher Prüfung,
dem Entwürfe des Bildhauers H. Map in Dresdcn-
Blasewitz die Siegespalme zuerkannt. Damit war
sowohl hinsichtlich des Denkmals als auch des
Künstlers eine glückliche Wahl getroffen. Der
Künstler stammt aus Nürnberg, einer der Hoch-
burgen der deutschen Sozialdemokratie. Seit langen
Jahren ist er Parteigenosse. In den siebziger
Jahren kam er nach Leipzig, lernte dort Lieb-
knecht und Bebel kennen und blieb mit ihnen
dauernd in Fühlung. Namentlich mit Liebknecht
verkehrte er viel während dessen Dresdener Land-
tagsthätigkeit. So führte nicht blos das Genie,
sondern auch das Klassenempfinden und das
freundschaftliche Gedenken des Künstlers Hand.
Ein echtes Kunstwerk entstand.

Die Gruft Liebknechts bedecken schwere Granit-
platten. Dahinter erhebt sich als Abschluß ein
Bronzerelief, von Granit in einfachen edlen Linien
breit umrahmt. Die Allegorie ist ungesucht, dem
Wirken des Todten schlichten Ausdruck gebend und
dabei dem Verständniß des Beschauers sich leicht
anpassend. Links die Jdealgestalt der Wissenschaft,

rechts eine kräftige Proletariergestalt: die Arbeit.
Die Frauengestalt reicht dem Proletarier einen
Lorbeerkranz. Er hat ihre Rechte ergriffen. So
haben sie sich vereinigt zu einem unlöslichen
Bunde: Geist und Kraft, Arbeit und Wissenschaft.

lind davor, auf einem Granitsockel, steht die
in Bronze gegossene Büste Liebknechts. Keine
Widmung hat der Stein, denn es wäre zu schwer,
den Reflex des reichen Lebens dieses Mannes in
einen kurzen Spruch zu bringen — eine unzu-
treffende Widmung aber würde nur den Be-
schauer stören, der sich in den Anblick des Monu-
mentes versenkt. Einfach der Name: Liebknecht.
Und darüber die Bronzebüste.

So war der Alte. So lebt er in des Volkes
Erinnerung fort.

Das wellige Haar zur Seite gestrichen, das
ivetterharte Antlitz von einem kurzen Barte um-
rahmt, die Weste lässig aufstehend und dabei im
Gesicht jene Paarung von Strenge und Milde,
wie sie dem Wesen des Alten eigen war. Im
politischen Kampfe von einer starren, auf dem
Buchstaben stehenden Härte und für den Begriff
stets nach dem radikalsten Ausdruck suchend, was
ihm den nngetheilten Haß aller Gegner der Ar-
beiterklasse eintrug, und dabei im persönlichen
Verkehr ein so milder liebenswürdiger Mensch.
So war er, der Genosse, der Kämpfer, der Führer,
mit dem unerschütterlichen Glauben an sein Ideal.
Es ist, als wolle er den Mund öffnen und den,
Beschauer zurufen: „Wenn auch Welle a» Welle
sich bricht, der Strom geht weiter!"

Dieses Prolctariergrab draußen ans dem Fried-
hof zu Friedrichsfelde, am Saume der Weltstadt,
hat noch eine Zukunft. Dort ruht Einer, der
nie vergessen wird. Millionen werden im Wechsel
der Zeiten daran vorbeipilgern und einst wird
eine freiere und glücklichere Generation kommen,
die vor den Sockel des todten Kämpfers die rothen
Rosen der Erfüllung schüttet. L. Nosenow.
 
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