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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0259
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Nachdem das Zolltarif-Schwein von den Agrariern aufgefressen war, beschloß das Zentrum feierlichst,
den übriggebliebenen Schweineschwanz den Witwen und Waisen zu überreichen.

Weihnachtsabend.

(Zu dem gleichnamigen farbigen Bilde.)

iF

Halt meine Hand, ich führ' dich gut.

Ich führe dich auf dunklen Wegen
Dein Licht entgegen.

Ich führe dich durch dreißig Jahr — —
Und heut: wie seltsam wunderbar
Will sich verscholl'ne Sehnsucht regen!

Nein Laut. Die Violine schweigt.

Dein Auge schaut in finstre Weiten.

In heilige Nacht. Die Sterne gleiten
Zu unfern Häupten hell und klar.

Ich führe dich durch dreißig Jahr-

Ach du — die alten Zeiten!

Die heilge Nacht — Das war ein Mal!
Das war, eh' unfern einzigen Jungen
Der Urieg verschlungen. . . .

Das war, als noch dem heiligen Uind
Mit Tannenbaum und Angebind
Dein jauchzend Lied erklungen!

Das war — all) du! Das Lied der Dual,
Dein Lied will keine Seele hören.

In vollen Thören

Erschallt der Weihnacht Festchoral.

Halt meine Hand: das war ein Mal,
Und ein Mal wird es wiederkehren!

Dann blüht fiir uns die heilige Nacht,
Dann wird auch dir der Morgen grauen.
Und du wirst schauen.

And spielen wirst du laut und klar, —
Und was wir träumten, das wird wahr.
Halt meine Hand-Llara Müller.

Die fturratjzöllner.

Sie saßen beisammen die pfiffigen Macher
Und sie beriethen ganz insgeheim.

Und nun ist fertig der traurige Schacher
Zusammengekocht der verständigungsleim.

Der Leim, mit dem sich wieder verbindet
Die brüchige Zöllner-Majorität:

Der Leim, aufwelchen, wie er fich auch windet,
Der edle Kanzler, Graf Bülow, geht.

wie haben sie gefeilscht und gehandelt!
Marktweibern gleich sich öfters traktirt!
Nun ist die Szene auf einmal verwandelt —
Sie liegen sich in den Armen gerührt.

Nach trübem Wetter und stürmischen Tagen
ScheintwiederdieSonneverheißend und froh.
Und nun beginnt ein lustiges Zagen
Mit Hurrah und Hussah und Halalilo!

Nun gilt es, um sich den Sieg zu verbürgen,
Zu Boden zu werfen, was widersteht!

Nun heißt es die Freiheit deswortes erwürgen
Und niedertreten die Minorität.

wer für das volksrecht noch wagt zu fechten,
wird überschrieen, verhöhnt und verlacht!
„Zum Teufel mit Luern papierenen Nechten,
wir haben das Necht, denn wir haben die

Macht."

So werfen sie gierig sich auf die Beute!
wir aber wissen und zweifeln nicht,

Daß über die Zäger und über die Meute.
Dereinst das Volk wird halten Gericht!

(Zuidam.

Splitter.

Seit Einführung der farbigen Stimmzettel
geht es im Reichstag bunt zu.

Für die Arbeitslosen ist reichlicher Schneefall
das Manna in der kapiialistischen Wüste.

Bit nt.

Im Fraktionszimmer des Zentrums war es
dunkel. Nur im Vorzimmer leuchtete eine kleine
Flamme, die eingeschlossen in einer Laterne sich
am Halse des Grafen von Hompesch befand, des
Seniors der Zentrumsfraktion.

Um sich zu stärken las der würdige Herr einige
Kapitel aus den: Leben Peter von Arbues. Ein
leichter blauer Nebel umwob ihn traumhaft, der
würzige Geruch bratender Ketzerleiber stieg ihm
in die Nase und führte ihn int Geiste in jene
gesegneten Länder, wo alle . Zweifel und jeder
Widerspruch gegen die von Gott gewollte Ord-
nung in der Glut des reinigenden Feuers ein
seliges Ende fanden.

Die schweren Tritte nägelbeschlagener Bauern-
stiefel störten den alten Herrn. Ein lautes „Grüß
Gott, Herr Graf!" brachte dem Angercdeten zum
Bewußtsein, daß er sich nicht in Spanien, son-
dern in Deutschlands Reichshauptstadt befand
und zwar in den Räumen, wo heute Abend das
Zentrum eine Fraktionssitzung abhalten wollte,
um zu berathschlagen, wie die Obstruktion der
Sozialdemokraten endlich beseitigt und dem Zoll-
tarif zur baldigen Annahme verholfen werden
könnte.

lind nun kommen sie angerückt: Bauern und
Rittergutsbesitzer, Pfaffen und Richter, Fabri-
kanten und Rentiers, Zeitungsschreiber und Advo-
katen, lauter auserlesene Nummern der Blüte
der deutschen Nation. Aber seltsam: Jeder hat
sein eigenes Licht mitgebracht; bei dem
Einen hängt es wohlverwahrt in einer Laterne
um den Hals, bei dein Anderen am Knopfe,
Manche tragen es auch in der Hand. Die Geist-
lichkeit trägt es jedoch ausnahmsweise am Hute,
was sich ganz besonders gut bei Schädler und
Schüler macht.

Graf v. Hompesch eröffnet die Sitzung mit
einer Ansprache, in welcher er darauf hinweist,
daß die Erleuchtung jetzt da sei. (Sehr g,u!>
Die Zentrumsjuristen hätten herausgetiftelt, wie
man der Geschäftsordnung ein Schnippchen schla-
 
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