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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0007
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3929 —

Mit Schweiß und Blut Der Brei macht gleich

Rocht es sich gut. Den Rechten reich —

Lind Blau und Schwarz sich handelseins.

Dann stimmt das tzexeneinmaleins.

-«/ty Hvbellpähiir. Dv-v"

Ihr backt dein deutschen Volke
Die Bretzeln zum neuen Jahre;

Das Volk jedoch, ihr Bäcker,

Verlangt Kredit für die Ware.

Sechs Monate müßt ihr warten,

Bis zu den nächsten Wahlen;

Dann wird's euch jede Bretzel
Gewissenhaft bezahlen!

Ihr streicht dem deutschen Volke
Zu einem Neubau die Steine;

So hört denn, ihr Zicgelstreichcr,

Was unmaßgeblich ich meine:

Die Ziegel, die ihr uns gestrichen. Und euere eigenen Ziegel

Die brennen wir euch schön rot! Die schlagen im Sommer euch tot.

„Unser Leben ist eine ewige Erziehung zum Guten." Und die Er-
zieher? Unteroffizier, Schutzmann und Gefängniswärter!

Das fromme Zentrum hat trotz allein Beten
Sich in die Sohle einen Spahn getreten.

Wir fürchten sehr, obwohl das nicht erheitert,

Daß er heraus nur sehr allmählich eitert.

In der Redaktion der „Freisinnigen Zeitung" ist eine Gummizelle
eingerichtet und in Gebrauch genommen ivorden.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

finde» sollen. Als der Gesetzgeber diese Bestini-
mung beschloß, konnte er nicht ahne», daß die
Sozialdemokratie es wagen würde, das Wahlrecht
in der Weise zu mißbrauchen, wie wir es erlebt
haben. Dagegen müssen wir einschrciten. Die
Verfassung will nun allerdings, daß die Wahlen
alle fünf Jahre vor sich gehen sollen. Aber es
ist nirgends gesagt, ivie lange die fünf Jahre
dauern sollen. («ört, hört! IM Zentrum.) Daraus
folgt, daß, ivenn cs uns gelingt, die Zeit auf-
zuhalte», die fünf Jahre auch zehn, zwanzig, ja
hundert Jahre dauern können. Deshalb ist es
durchaus im Sinne der Verfassung, wenn wir,
genötigt durch das Vorgehen der Minderheit, uns
entschließen, das Jahr 1902 gemäß unserem
Antrag zu verlängern und das Eindringen des
neuen Jahres mitsamt den Wahlen energisch zu
verhindern, (smwi« Beifall.)

Präsident Fürst Ahlivardt: Abg.Stadthagen,
Sic dürfen ohne Erlaubnisschein nicht lache».

Abg. Stadthagen: Ich habe gar nicht gelacht.

Präsident Fürst Ahlivardt <s-hr erregt): So
eine Frechheit! Herr Oertel, geben Sie dein Abg.
Stadthagen fünfundzwanzig Stockprügel auf die

Fußsohle». tDa Ortet es nicht wagt, dem Abg. Stadt-
Hagen zunahe zu treten, wird seine Feigheit mit 100 Mark

gebüßt.) Wir kommen zur Abstimmung. (Der An-
trag Baffermann-Bachem-Kardorff wird in drei Lesungen und
einer Abstimmung angenommen.)

Präsident Fürst Ahlivardt: Ich ersuche den
Fortschritt und die Zeit, geinäß dem Beschluß
der Mehrheit, stille zu stehen!

(Es tritt eine furchtbare Panik ein. Örtels weiße Weste
wird tiefschwarz. Alle falschen Gebisse klappern. Eugen
Richter weint: O die elende sozialdemokratische Taktik, voll
und ganz und unentwegt. Paasche betet und singt den Text
der Zuckeraktien nach der Melodie des die« irae. Die weiß-
roten Stimmurnen qualmen gespenstisch. Kardorffs Nase
oxydiert grauenhaft. Spahn ächzt unablässig: O jüngstes
Reichsgericht! Nur die Bundesfürsten sitzen ruhig da und
stilisieren einen neuen Orden: Weltuntergangs-Rettungs-
Medaillen. Endlich ermannt sich Schlumberger, klettert an
der Wand empor und hält den Zeiger der Uhr fest. Die
Mehrheit ruft: Hoch Schlumberger! Schlumberger wird
von den Fürsten zum ersten Ritter der noch feuchten
Weltuntergangs-Rettungs-Medaille ernannt. Da plötzlich
stößt Schlumberger einen erschütternden Schrei aus, der
Zeiger hat ihn abgeschüttelt und der Unglückliche fällt in den
Saal herunter. In gewaltigem Brausen fegen zwölf Schläge
gleich Sturmstößen durch den Saal. Die Abgeordneten fallen
auseinander wie Zunder. Nur etwas Asche bleibt übrig.
Auf der äußersten Linken allein sind die Bänke besetzt und
bevor die Uhr verklungen, schreiten ernst und stolz Männer der
Arbeit in den Saal bis auf den letzten Platz. . .) Mom.

A ineier: Glauben Sie, daß die Kaiserreden
etwas nützen werden?

Bin ei er: Gewiß! Sie werden mit so vielen
Huldigungstelegrammen beantwortet, daßdieTcle-
graphenverivaltung davon einen großen Nutzen hat.

Der Antrag einer Witwen- und Waiscnversiche-
rung ist vom Zentrum in der richtigen Voraus-
sicht gestellt, daß sich nach Einführung des neuen
Zolltarifs die wirtschaftlichen Verhältnisse ver-
schlechtern und die Arbeiterwitwen und -Waisen
alsdann früher als bisher dahinsterben werden.

Die Mehrheitsparteien des Reichstages beab-
sichtigen einen neuen Geschäftsordnungsantrag
einzubringen. Er lautet: Der Präsident soll in
Zukunft statt der Glocke eine Knute gebrauchen.

Lieber Jacob!

Neilich las ick in eenen alten Schmöker, bet
et bei einzelne ivildc Völkerschaften Mode sein
soll, de Leichname von ihre verstorbene Nachbarn
in't Wasser zu schmeißen, damit sich Aale, Krebse
un andre wohlschmeckende Nahrungsmittel dran
festsaugen, die'sc denn mit samt den teile» Ent-
schlafenen an't Land ziehen un ufffressen kennen.
Diese Methode scheint jetz ooch bei uns zartfiehlende
Deilsche in Uffnahuie kommen zu wollen. De
polliteschen Menschenfresser aus die sojenannten
staatserhaltenden Parteien un andreJroßschnauzen
bedienen sich einer jewissen Leiche, um damit zu
krebsen un zu fischen. Det Jeschäft is aber so
ekelhast, det trotz den wertvolle» Köder kcencr »ich
nnbeißen will.

Mit unsre Volksvertreter is et eene Not. Se
mechteu so jerne dem Reichstag immer voll haben,
aber keen Aas jetzt rin. Wat de Nazjonallibcraleu
sin, die kriejcu um de Mittagszeit immer so'»
dollen Hunger, det sic de janzc Vaterlandsliebe
aus'n Darm fährt un se de wohltätigsten Jesetze,
wie dunnemals de lex Heinze, in Stich lassen
un präpeln jehn. De Konservativen missen uff
de Jagd reisen, un wenn jleich de heechsten Thröne
krachen un de allerbeechsten Jetreidezölle zu'n
Deibel jehn sollten. Da is et denn wirklich keen
Wunder »ich, det wahrhaft scheniale, ernsthafte un
uneijennitzliche Jesetzjeber, wie Kardorsf, Aich-

bichler, Baffer- und Liebcrmann von Sonnenberg
in ihre patriotsche Verzweiflung schließlich dem
janzen Parlamcntarisnius mit samt de Verfassung
un de Jeschäftsordnung in'» Treck trampeln un
jänzlich unannehmbare Vorlagen von de Rejierung
mit kerperlichc Jewalt durchdricke». Aber jiebt et
denn wirklich keen Mittel »ich, det een bcfchluß-
sühijet Haus for längere Zeit jarantiercn kennte?
De obstruktionelle Freßjicr von de Nazjonal-
libcraleu wirde sich zum Beispiel dadurch stillen
lassen, det se jeden Abjeornten for Besitz un
Bildung um de Mittagszeit seinen jefillten Trog
in den Sitzungssaal stellen tüten. Een mit be-
sonders feine Zunge bejabter Frakzionsjcnossc
mißte dafier sorjen, det et bloß milde un leicht
verdauliche Speisen jibt, die de nazjonalliberalen
Jemieter sanft erhalten un keene Uffstöße jejen
de Winsche der Ncjieruug zur Folje haben. Beim
Nachlisch kennte ja ooch denen, die ihre lieb je-
ivordenen Zewohnheiten »ich jer» entbehren, Je-
lejeuheit zum Speichellecken jejebcn werden. Det
ließe sich alleus ja»; leicht befingern. Schwierijer
wäre et schon, de Fasanenjäger au det hohe Haus
zu fesseln. Der zu die Jagden notweudije Sekt
un Kiinmel ließe sich aus de Reichstagsrestau-
ration ohne Mihe herbeischaffen, aber jagdbare
Tiere jibt et in unser Parlament noch nich, un
selbst de bejcistertsteu Duellschlvärmer wirdcn wohl
Bedenken tragen, sich vor die Flinte von den jagd-
lustijeu Lederfritzen Hepl zu Herrnsheim zu stellen.
Ecnfacher ivüre die Sache schon, ivenn die Herr-
schaften uff Fasanen verzichten un sich mit Krähen
bejniejen wirde», un statt mit Kugeln un Schrot
bloß mit unblutije Platzpatronen schießen mechten.
Denn kennte man ihnen im Sitzungssaal uff
Reichskostcn 'ne Krähenbülte uffbauen. Eugen
Richter, dem so ville an die ruhijc Abivicklung
der Jeschäste jelejeu is, mißte als Lock Uhu riu-
jesetzt werden un seine schwarzen Jesinnungs-
brieder von't Zentrum kennten ihni als Kolkraben
umflattern. Denn brauchten die feudalen Sonn-
tagsjäger nich immer de Sitzungen zu schivänzen
un de Wirde von det Parlament wirde bestimmt
besser jewahrt, als et jetz unter de Herrschaft von
Kardorffn und Aichbichlern der Fall is.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein je-
tvc'01' Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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