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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0012
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3934

Zukunftsmusik.

von Ignotus.

U

„Tteiti, was zu toll ist, ist zu toll!

Das darf nicht weiter pafsiren!

Sprich, Kanzler des Reichs, wie lange soll
Der Unfug noch sloriren?

„Der friedliche Bürger um Mitternacht
Wird aus dem Bett gerissen,

Auf einen lumpigen Verdacht
Wird er ins Tefängniß geschmissen.

„Bei Wasser und Brot in ein finstres Loch,
Da wird er eingeriegelt.

Und danken kann er dem Himmel noch.
Wenn er nicht wird geprügelt.

„Richt Mann, nicht Weib ist sicher hier,
Die Uindlein nicht, noch die Alten!

Schutz vor dem Schutzmann verlangen wir:
Sprich, Uanzler, wie willst du's halten?"

So tönt es im Reichstag einmüthig und laut,
Gespannt sind alle Mienen,

Doch wie man auch voll Erwartung schaut,
Der Uanzler ist nicht erschienen.

Vielleicht daß er spazieren ging.

In Zollgedanken verloren!

Er hatte Herrn Doktor Nieberding
Zum Stellvertreter erkoren.

Der sprach: „DerUanzler hat mich bestimmt,
Euch, werthe Herrn, zu künden,

Daß er entrüstet ist und ergrimmt
Vb solcher schlimmer Sünden.

„Zwar ist die Sache nicht halb so kraß,
Wie in der Presse zu lesen.

Doch was passirt ist — ohne Spaß! —
Ist gar nicht schön gewesen.

„Soll nicht der Staat und die Monarchie
Den Schaden davon haben,

Muß anders es werden! Aber wie?

Da liegt der Hund begraben!

„Der Uanzler Hilfe von Herzen gern
Am liebsten auf der Stelle;

Indessen glaubt mir, liebwerthe Herrn,
Das Ding geht nicht so schnelle!

„Ls kostet zu viel! Das ist fatal!

Doch, was ist da zu machen?

Wir haben in Deutschland nun einmal
Uein Geld für solche Sachen.

„Wenn man das Ding in Angriff nimmt,
So kostet es Millionen —

Und die sind alle vorausbestimmt
Kür Schiffe und Uanonen!

„Wir werden mit dem Uebel noch
Gar gründlich uns befassen:

In Zukunft natürlich; für heute jedoch
Muß man es beim Alten taffen."

So wird, ihr Herren, wie mich däucht,
Die Sache weiter schweben.

Doch Eure Uindeskinder vielleicht,

Die können den Umschwung erleben.

Sylvester.

Sinter öer Mauer.

Lkizze von Rarl Düker.

N

Kaffee soll den Geist anregen, sagt man, aber
der Herr Direktor war entschieden anderer Mei-
nung. Er hatte den ganzen Tag Kaffeebohnen
gelesen und fühlte sich jetzt einem gelinden Stumpf-
sinn nahe. Ich muß nämlich zur Aufklärung
bemerken, daß der Ort der Handlung die Zelle
Nr. 21 im Zuchthaus zu Waldheim ist. Dort
hat man dem Herrn Direktor auf drei Jahre
Gelegenheit gegeben, seine durch zweifelhafte Bank-
unternehnrnngen zerrütteten Nerven wieder in
Ordnung zu bringen. Er hatte es eigentlich an-
ders beabsichtigt und war nach einem französischen
Seebad gereist. Die Beamten an der Grenze
waren aber unwiderstehlich gewesen und hatten
ihn bewogen, auf heimischer Erde zu bleiben.
Das geschah vor einem halben Jahre; seit acht
Wochen befand er sich hier und heute war Sil-
vester.

Da er tagsüber sein Pensum nicht fertiggebracht
hatte, war er mit Entziehung der warnien Abend-
kost bestraft morden. Die warme Abendkost be-
steht zwar nur in einer Suppe, aber wenn die
megfällt, bleibt nichts als Wasser und Brot übrig.
Das soll zwar in Verbindung mit Luft hinreichen,
um einen Menschen am Leben zu erhalten, aber
die innere Befriedigung bleibt aus. Das Dasein
bietet hinter schwedischen Gardinen ohnehin so
wenig Anregung und der Herr Direktor besaß
nicht die überlegene Philosophie, die einer seiner
Vorgänger mit folgenden trostreichen Versen an
der Zellenwand verewigt hatte:

Das Sitzen ist nicht angenehm
Bei richtiger Ueberlegung;

Es wird sogar oft unbequem
Aus Mangel an Bewegung.

Doch wisse, man gewöhnt sich dran
Und sieht es auf die Dauer
Sogar als ganz gemüthlich an.

Zu sitzen hinter der Mauer.

Man ist vor allen Sorgen geschützt.

Vor allen Nöthen und Ränken.

Wenn man so still in der Zelle sitzt:

Wie viel kann man sich denken!

Der Herr Direktor dachte nichts. Er lag auf
seinem Strohsack und träumte blos. Das kam
aus dein Magen, der sich an die fatale Trocken-
diät noch nicht gewöhnt hatte. Voriges Jahr an
diesem Tage, das war ein anderes Leben! Im
strahlend erleuchteten Salon eine erlesene Gesell-
schaft, die Herren theils in Uniform, theils in
Frack, Lack und Klaque, die Damen in kostbaren
Toiletten. Das Souper einfach fürstlich (der
Träumende kaute mit vollen Backen an einein
imaginären Kalbskotelette) und dann um elf Uhr
die Sektbowle. Allgemeines Gläserklingen, höchst
animirte Stimmung. Der Herr Direktor erhebt
sich — und erwacht. Tiefe Finsterniß ringsum;
auf dein Gange draußen wandelt schläfrig der
Piketposten. Von der Anstaltskirche herüber klingen
die Schläge der Glocke: eins — zwei — drei u. s. w.
— Mitternacht. Der Gefangene stöhnt laut auf.
Da pocht's an der Wand, der Nachbar links scheint
auch noch munter. Es ist der lahme Alex, der
seine sechs Jahre abmachen muß, weil er „auch
geganneft" hat. So sagt Alex; das „auch" war
gräßlich, aber der Kerl ist so entsetzlich familiär.
Ueberhaupt die ganze Gesellschaft. Und jetzt tele-
graphirt er gar noch mitten in der Nacht — der
Herr Direktor kennt bereits das Alphabet, „Prosit
Neujahr" buchstabirt er zusammen. Ihn fröstelt,
er hüllt sich fester in seine Decke. Wenn nur die
quälende Einsamkeit nicht wäre, dabei die fürchter-
lichen Gedanken, herüber und hinüber, wild durch-
einander. So gar keine Menschenseele da zum
Tröste. Wirklich keine?

Der Herr Direktor steht auf nnd telegraphirt
zurück: „Prosit Neujahr!"
 
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