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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0045
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KL Zweite Beilage zum wahren Jacob Nr. in.

cufrum$titrm.

Ein Turm tu deutschen Landen steht,
Erbaut von gläubig-frommem Wahne.
Von seiner höchsten Zinne weht
Stolz eine kohlpechschwarze Jahne,

Und dieser Turm wirft breite, tiefe Schatten
Auf goldne Ährenflur und grüne Watten.

In diesem finstern Turme wohnt
Der Geist der Unterjochungszüge
Und seine Uönigshuld belohnt
Nur den verrat, die dreiste Lüge;

Sein Wille ist, daß alles Volk verdumme
Und jedes freie, tapfre Wort verstumme.

Schon machten Brocken groß und klein
Sich los, zum Jammer feister Tröpfe,
Schon sauste jählings mancher Stein
Den Wächtern an die dicken Uöpfe.

Die Dohlen kreischen und erbittert heulen
Bei jedem Sturz im wauerloch die Eulen.

Den Turm umfliegt im Sonnenschein
Ein Schwarm von aufgeregten Dohlen;
Die Eulen hocken im Gestein
Und murxen heimlich und verstohlen,
Doch sinken dunkle Abendschatten nieder,
So fliegen auch die Eulen hin und wider.

In diesem Turm hat's jüngst gekracht
Und wie die Wächter morgens fanden,
war im Gemäuer über Nacht
Ein breiter, tiefer Niß entstanden
Und kleinre Risse, hundertfach verbreiten
Sie höchst bedrohlich sich nach allen Seiten.

Nur weiter so! und ganz gewiß
Erscheint dann die Erlösungsstunde.
Bald klafft ein ungeheurer Riß,

Die Mauern bersten bis zum Grunde,
Und flüchtend werden des Gevögels Scharen
Mit Wutgeschrei aus ihren Löchern fahren.

Die berliner Samariter.

Es war ein Versicherungsagent,
der ging nachts über die Saar-
brückerstraße zu Berlin und fiel
unter die Mörder. Die schlugen
ihn mit Messern und gingen da-
von und ließen ihn halbtot liegen.

Es begab sich aber ohngefähr,
daß ein barmherziger Bürger die
Straße hüiabzog. Da er den Ver-
wundeten sähe, jammerte ihn seiner
und er wollte ihin helfen.

Aber er erinnerte sich der Ber-
liner Polizei, die jüngst einen hilf-
reichen Samariter arretiert und
im grünen Wagen nach dem
Alexauderplatz geschafft hatte, wo
er viele Stunden unter Dieben
und Dirnen hatte zubringen
müssen, bis er für entbehrlich
befunden und entlassen wurde.

Daran dachte der Bürger und
ging vorüber.

Der Schutzmann Richter aber
kam zu der Stätte und sähe den
Verwundeten und erkannte, daß
er der Mann sei, der sich jungst
über die Polizei beschivcrt hatte.

Und er zählte die zehn Messer-
stiche, die jener empfangen hatte,
und nahm an, er simuliere.

Auf seine Bitte aber rief er
eine Droschke und fuhr mit ihm
nach der Unfallstation und über-
gab ihn dem Heilgehilfen Schnepel
und dem Doktor Wernicke.

Diese aber legten ihre Sam-
methandschuhe ab und schüttelten
den Kranken kräftiglich und würg-
ten ihn wacker am Halse und
bedachten ihn mit Ohrfeigen.
Dann schleiften sie ihn hinunter
imb schoben ihn in eine Droschke.

Gegen welchen von den dreien
nun, dünket euch, hat der Staats-
anwalt die Anklage erhoben?

ver Römling.

Gegen den Schutzmann, den
Wärter oder den Arzt?

Gegen keinen von den dreien,
ihr Kleinmütigen! Sondern der,
der unter die Mörder gefallen
war, ward vom Staatsanwalt
vors Gericht gezogen, dieweil er,
anstatt zu danken, Beschwerde er-
hob gegen die Samariter von der
Polizei und der Unfallstation.

Und der Staatsanwalt bean-
tragte wider ihn hundert Mark
Geldstrafe wegen Beleidigung.

Aber die Richter des Landes
sprachen ihn frei, obwohl er alles
beweisen konnte, was er behauptete.

Da ging er hin und segnete das
Land, darinnen ergcboren, und ver-
kündete allem Volk auf den Gaffen
und Märkten die Weisheit und
Großmut unserer Obrigleit. a. 8.

Die Frau Baronin v. Schmecken-
dorf ist gestorben. Im Leben war
sie gerade keine Vestalin, und unter
den zahlreichen Anbetern, die in
ihrem gastfreien Hause verkehrten,
bildeten die erhörten die große
Mehrzahl. Auch der gute und
lebenslustige Konsistorialrat und
Oberpfarrer Schimmelmann ge-
hörte dazu. Jetzt lag ihm die trau-
rige Pflicht ob, der verewigten
Freundin, die pompös aufgebahrt
im Staatszimmer lag, die Ab-
schiedsrede 311 halten. „Teure Leid-
tragende", begann er mit bewegter
Stimme und stockend zu der Ver-
sammlung, die zum größten Teile
aus den Intimen des Hauses be-
stand, „teure Leidtragende.. wir
sind . . wir sind hier in einem
Trauerhause! .. Ja, in einem
Trauerhause, das uns, liebe
Freunde, doch so oft ein Freuden-
haus gewesen ist.."

Zweite Beilage zum „wahren Jacob", Br. 432«, J903.
 
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