Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0082
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4006

Worte.

»

Es zieht ein Strom durch's weite Land
Nit mächtig rauschenden Mellen;
Mildschäumend umtost er des Ufers Rand,
Menu Helsen entgegen sich stellen.

Doch mählich glättet sich wieder die Hlut,
Durchbrach er die hemmende Pforte,
Strömt ruhig weiter und wohlgemut:

Er gleicht dem gesprochenen Morte.

Das Mort jedoch, das zurück man drängt,
Das heiß auf den Lippen glühet,

Das Mort, das in Retten und Eisen man

zwängt,

Das tief in die Seelen entflieht:

Das gleicht dem brodelnden Hlammenmeer
Tief unten im Innern der Erde.
Unhörbar dem Häscher slutet's einher
Und harrt, bis es mächtiger werde.

Dann aber zerreißt es mit Riesenmacht
Die schmählichen Sklavenbande.

Da gibt es kein Halten! Mutentfacht
Braust es über die Lande.

Und was sich ihm hindernd entgegenstellt
Wird lodernd hinweggetragen,

Bis über dem ranchenden Trümmerfeld
Der Hreiheit Banner ragen. 8. s.

i'4-

Der König unö fein Vezier.

von Ludwig Frank.

U

Man erzählt, zu keiner Zeit fei ein sterblicher
Mann so geehrt worden, wie der Vezier Djafar
aus den: Stamme der Barmekiden. Der Kalif
Harun al Raschid schenkte ihm sein Herz und
seine Huld, und ihre Seelen hatten vor einander
kein Geheimnis. Aber an einem Morgen saßen
im Palast rund um den Thron die Großen des
Reiches und schauten düster vor sich nieder, denn
der gewaltige Herrscher hatte an diesem Tage seine
Getreuen noch mit keinem Worte beglückt. End-
lich aber hob sich langsam das diademstrahlende
Haupt des herrlichen Königs und sein Unmut ent-
lud sich in dem Schicksalswort: „Hund von einem
Vezier, warunr habe ich schlecht geschlafen?"

Djafar warf sich zitternd auf seine Knie und
berührte mit schreckensbleichen Lippen den Fuß

seines Fürsten: „Erhabener Gebieter der Zeit,
unsere Bücher sagen: alte Geschichten lesen und
zu jungen Frauen gehen, sänftige den Schlummer."
„Affe und Sohn eines Affen! Dein Rat ist

Zeichnung von F. Mock.

schal. Ich bin der Weiber müde und mich ekelt
der Poctcnlügcn."

Da erhub sich aus der hintersten Reihe der
Höflinge der greise Eldabo, den sie den Weisen
nannten; er strich sich den grauen Bart und sagte:
„Vielleicht raubte dir Allah die Ruhe der Nacht
als göttliches Zeichen, daß auch deine Völker, die
deines Winkes warten und deines Hauches harren,
in schlimmer Sorge sich auf ihrem Lager ivälzen."

„Was soll ich also tun, Eldabo?"

„Geh' heimlich aus deinem Palast und schleiche
durch die Gassen. Schau, wie die Richter richten
und ob die Reichen ihres Reichtums und die
Armen ihrer Arbeit froh werden, ob deine Diener
nicht Mißbrauch treiben mit deinem Namen und
Siegel, und ob es noch ein paar Glückliche gibt
und ob sie dich in den Hütten lieb haben."

Und also geschah es. Als der dunkle Himmel
sich mit dem Halbmond und tausend glitzernden
Sternen geschmückt hatte, traten aus einer kleinen
Seitenpforte des Schlosses zwei mantelumhüllte
Gestalten in der Kleidung der fremden Kausleute,
die gen Mekka pilgern — das war der Kalif
Harun al Raschid und sein Vezier Djafar aus
dem Stamme der Barmekiden. Schweigend
schritten die beiden durch die blaue Nacht — doch
plötzlich hemmten sie ihren Schritt; denn zu ihren
Füßen ruhte ein vornehin gewandeter Mann und
schlief; neben ihm aber lag seine Geldtasche und
die ivar offen. Die blanken Goldstücke blinkten
hell im Strahl des Mondes. Der Kalif bückte
sich zu dem Schlummernden nieder und schüttelte
ihn leicht an der Schulter: „He! törichter Freund!
Wacht auf!"

Der aber blickte ihn unter halbgeöffneten Lider»
an und drehte sich gähnend auf die andere Seite.

„So hört doch, wunderlicher Alter! Kommt zu
euch und wahrt euer Geld!"

Da richtete sich der Geweckte brummend ein
wenig auf und knurrte: „Laßt mich schlafen und
der warmen Nacht genießen."

„Aber beim Schwerte des Propheten", cnt-
gegnete der Kalif, „steckt doch euer Geld ein.
Fürchtet ihr euch nicht vor den Dieben?"

„O Fremdlinge, ihr seid in Bagdad, im Lande
des Kalifen Harun al Raschid. Vernehmt, Fremd-
linge, im Reiche dieses Lieblings der Himmlischen
gibt es keine Diebe. Jeder Untertan, auch der
geringste, hat an Speise, Trank und Kleid so viel,
als ihm Not tut. Wer sollte da wider Gottes
Gebot stehlen?! Möge Allah den Kalifen segnen",
— und er machte sich's wieder auf der Erde
bequem und begann zu schnarchen.

Lächelnd entfernten sich die Männer und gingen
eine Weile in zufriedenem Schweigen durch die
stillen Straßen, als sie einen heftigen Lärm
hörten. Sie sahen, wie vor dem Tore eines säulen-
getragenen Palastes viele Menschen beisammen-
standen und durcheiuandcrschriccn.

„O Djafar, Licht meines Lebens, geh doch und
erkunde mir, was den Leuten widerfahren ist",
 
Annotationen