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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0083
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— 4007

Zeichnung von N. Herdtle.

flüsterte der Kalif. Der Vezier mischte sich unter
die Menge und kam nach ivenigen Augenblicken
zurück zu seinem Gebieter.

„Sprich, Djafar, was bedeutet der Aufruhr?"

„Die Leute, die du erblickst, o König der Zeit,
sind die Sklaven des reichen Wucherers Mekabel.
Das Haus aber vor dein sie stcheit, ist zu eigen
Deinem Knecht, dem Oberkadi Jbn Omar. Nun
hat Mekabel — Gott wird ihn strafen — seinen
Nachbar, den armen Olivenhändler Jbrahini,
uni sein ganzes Vätererbe betrogen, — morgen je-
doch soll Gerichtstag sein. Und so kam heute der
schlaue Mekabel und ließ durch seine Sklaven
schwere Säcke weißen Silbers herbeischleppen und
betrat das reine Gemach deines getreuen Jbn
Omar, seine Seele zu bestechen mit den giftigen
Schätzen und das Recht zu beugen. Allah aber
erleuchtete das Herz Jbn Omars, also daß er
sich wert erwies, an deiner Statt zu richten. Er
ließ dem Wucherer fünfzig Stockhiebe geben und
warf ihn auf die Straße, wo jetzt seine Sklaven
um den nackt-blutigen Leib ihres Herrn erheuchelte
Schmerzenstränen vergießen. Das Sündengeld
aber befahl dein Oberkadi in die Hütte des
Ibrahim zu tragen, also daß aus bösgemein-
tem Tun des Reichen das Glück des Armen er-
wachsen soll."

Da erwiderte der Kalif leuchtenden Auges:
„Allahs Güte sei gepriesen, daß ich all dies er-
leben durste! Wie das grüne Epheu um das
Schloß meiner Väter, so spinnt sich der Frieden
uni mein Herz."

Und sie schritten lautlos weiter. Da hörten
sie aus dem offenen Fenster eines kleinen Hauses
Jammern und Stöhnen. Rasch entschlossen traten
sie durch die offene Türe, und ein Weib, nicht
mehr in der Blüte der Jahre, stürzte ihnen ent-
gegen und jammerte: „O, gute Männer helft doch
meinem Manne!"

Im Hintergrund des Zimmers lag der Haus-
herr und seufzte zum Stein erbarmen.

„Mit welcher Krankheit hat ihn denn Allah
gestraft?" forschte Djafar weiter.

„Ach, er — er — hat wieder einmal zu viel
gegessen."

„Warum ist er so töricht, Gottes Gaben übers
Maß zu kosten?"

„O ihr guten Männer, ihr seid wohl fremd,
da ihr so fragt. In früheren Zeiten reichte der
Lohn nur schwer zum Leben. Jetzt aber, unter
dem Szepter Haruns al Raschid, des Vaters der
Dürftigen, den Allah erhalte, jetzt ist das Brot
und die Frucht des Feigenbaums so billig und
der Ertrag der Arbeit quillt so reich, daß Über-

fluß im Volke herrscht. Wir Armen aber müssen
das Sattessen erst lernen."

Djafar versprach, einen Arzt zu dem Kranken
zu schicken, und verließ mit dem Kalifen das
Haus. Draußen aber sank der Fürst seinem
Diener an die Brust und flüsterte: „O Djafar,
meine Seele jauchzt, alle meine Untertanen haben
ihr Brot, und in guten und schlechten Tagen ist
ihr Unterhalt gesichert."

»Ja, Herr, Allah hat deine Hand gesegnet."

Und als sie weiter geschritten waren, sahen sie
unter einem blühenden Feigenbaum ein Mädchen
stehen — da verfinsterte sich das Antlitz des
Königs und er redete also: „Hund von einem
Vezier, gibt es in meinen Landen noch solche
Geschöpfe, die ihre Schande für Geld ver-
kaufen?" — doch als sie näher traten, ward er
gewahr, daß sie schön sei vor allen Töchtern, und
in seinem Busen entzündete sich der Liebe Feuer
und die Begierde nach ihrer Jugend.

Und der Kalif begann: „Geh mit mir, o Weib,
denn du bist schön."

Doch sie blickte ihn aus großglänzenden Augen
an und antwortete: „Ich kann nicht, Herr."

„Wer will dich hindern?"

„Ich habe nut heiligem Eide geschworen, keinem
Manne mich zu eigen zu geben, es sei denn der
Beste, den die Erde trägt, der Herrscher der
Gläubigen, Harun al Raschid."

Da lächelte der Kalif und fragte: „Hast du
Harun noch nie von Angesicht erblickt?"

„Noch nie, Herr."

„So folge mir, ich will dich zu ihm fiihren",
erwiederte der Fürst — und wortlos ergeben
schritt sie an seiner Seite, und die verschwiegenen
Tiefen des Palastes nahmen sie auf. —

Und am anderen Tage, als die Sonne Hoch-
stand, ließ der Kalif Eldabo den Weisen rufen
und erzählte ihm heiteren Mutes alles, was er
gesehen und genossen hatte. Doch der alte Lehrer
schüttelte mit düsterer Miene sein Haupt und
wollte nicht teilhaben an dem Glücke des Fürsten.

„Nun, Eldabo, bist du nicht zufrieden?"

Doch dieser erwiederte: „Willst du mich be-
gleiten, mein Fürst, und dir die Antwort holen?"

Harun Hub sich vom Throne und ging mit
Eldabo durch die langen Gänge des Schlosses;
die weichen Teppiche dämpften den Klang ihrer
Schritte. Am Ende eines Ganges hielten sie an
und Eldabo hob mit zitternder Hand den schweren
Vorhang aus rotem Sammt leicht in die Höhe.
Da erblickten sie den Vezier Djafar aus dem
Stamme der Barmekidcn und vor ihm stand der
Oberste der Leibwachen und fragte, sich verneigend:

„Und war mein Gebieter Djafar zufrieden mit
meinen Leuten? Hat der Schläfer seinen Schlum-
mer und der Geschlagene seine Schläge und der
Kranke seine Krankheit brav gespielt?"

„Alles war gut vorbereitet, mein Teurer, —
auch für Blicke die schärfer sehen als Fürsten-
augcn, mar die Täuschung vollkommen."

„Ich schickte nieine besten und erprobtesten
Männer, — doch ich war in Sorge wegen des
Mädchens. Wer will für die Launen eines Wei-
bes bürgen, Djafar?"

„Sei ganz beruhigt, Vertrauter meines Herzens,
Deine Tochter Fatima machte dir keine Schande
und zeigte sich ihres Vaters wert."

„Und was soll ich meinen Knechten sagen?"

„Versichere sie meiner Gnade; zwei Säcke Gol-
des, so schwer sie ein Maultier tragen kann,
sollen heute noch ihre Dienste lohnen."

Harun hielt sich beide Hände vor sein Gesicht,
als wenn er Tränen bergen wollte. Eldabo aber
neigte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr:
„Aus dem Sumpfe der Lüge wächst die Gift-
blume des Treubruchs. Selim, der zweite Be-
fehlshaber deiner Leibwachen, verriet mir das
schändliche Spiel, das sie mit deiner Blindheit
treiben. Er scheint verärgert, daß nicht seiner
Tochter in der letzten Nacht der Weg zu deinem
Frauengemach gewiesen wurde. Es ist das erste
Mal, daß ich die Werke und Worte eines er-
bärmlichen Verräters nutze. Ich tat es für dich.
Jetzt handle du", und dann entfernte sich Eldabo
mit raschen Schritten.

Harun al Raschid aber ging in seine Gemächer
zurück und was durch seine Seele ging, das weiß
nur Gott der Allmächtige. Dann setzte er sich
auf seinen goldenen Thron und rief nach dem
Schwert seiner Rache, seinem schwarzen Scharf-
richter Masrur. Leise gab er ihm einen Befehl.
Und es dauerte nicht lange, da breitete der Hen-
ker auf den marmorkalten Stufen des Thrones
das schwarze Tuch der Hinrichtung aus und
darauf lag das blutige Haupt Eldabos, den sie
den Weisen nannten. Man erzählt aber, zu keiner
Zeit sei ein sterblicher Mann so geehrt morden,
wie der Vezier Djafar aus dem Stamme der
Barmekidcn.
 
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