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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0202
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- * 4130 •—

Dem Parteitag Ln Dresden. ^

Ich sing' euch heut ein rotes Lied,

Das Lied vom Llbestrand,

Lin willkommlied nach heißer Schlacht:
Der alte Trotz ist aufgewacht
Im alten Sachsenland.

Ls schmückt sich mit dem Nelkenstrauß
Die Stadt im grünen Rautenkranz;

Luch grüßt ein Volk, das Schweres litt,
Das mutig stand und mannhaft stritt —
Luch grüßt ein Volk in Not und Glanz!

Das war im roten Königreich:

Ich stand im Webesaal.

Der Höllenlärm betäubte mich,

In langen Reihn erblickte ich
Gesichter, fahl und schmal.

Lin Dunst von Schweiß und Tränen lag
Lrgossen in dem stick'gen Raum;

Die Kämme klappten auf und zu —

Und draußen schlief die Waldesruh,

Die grünen Tannen nickten kaum.

Ich ging durchs rote Königreich
Und trat ins Prunkgemach:

Da träumten Rosen -nftbetaut
In Schalen von Gpal. Kein Laut
Die samtne Stille brach —

Bis knisternd aus des Hausherrn Hand
Zu Boden glitt ein Zeitungsblatt,

Dem bärt'gen Mund ein Fluch entfuhr:
„Die Hunde! wie? — Acht Stunden nur?!
Bald sind es sechs! Run Hab ich's satt!"

Ich ging durchs rote Königreich
Und sah ins Bürgerhaus:

Die Sorge in den Lcken saß,

Der Unmut an den Kerzen fraß-

Und alle Stirnen kraus!

„Sie würgten uns das alte Recht,

Sie sperren uns den Rettnngssteg,

Sie fressen unser Hab und Gut —

Und draußen brüllen Sturm und Flut:

Ietzt aber wissen wir den weg."

Ich ging durchs rote Königreich
Am heißen Tag der Wahl:

Aus allen Gasten wuchs der Sieg,

Und wabernd auf den Bergen stieg
Sein flammendes Fanal.

Geläutert ward das edle Lrz,

Die Schlacke fiel, die taub und grau;

Der Kammer dröhnt' Triumphgesang,

Des Webstuhls Tosen überklang
Der Helle Siegesschrei -er Frau!

Und dieser Trutz- und Siegesruf
Sei mein willkomnr für euch:

Roch hat die Liche kernig Holz,

Die rote Fahne flattert stolz
Im roten Königreich!

Nun kläret ihr, was trübe scheint,

Und sorgt, daß Recht und Freiheit wacht,

Und daß, die reis in Halmen steht,

Die Saat zur rechten Zeit gemäht

Und in die Scheuer wird gebracht. etara mfiaec.

Dresden.

U

Den ortsunkundigen Teilnehmern an: sozial-
demokratischen Parteitag mögen folgende Notizen
über die Stadt, in der sie ihre Beratungen pflegen
werden, zur Orientierung dienen.

Dresden, die Hauptstadt des mächtigen König-
reichs Sachsen, liegt zu beiden Ufern der schiff-
baren, aber nicht trinkbaren Elbe. Die orts-
anwesende Bevölkerung beträgt nach Abzug der
Kronprinzessin noch innner mehrere Hundert-
tausend Seelen und ebensoviele Leiber, die sich
teils zum christlichen, teils zum jüdischen, teils
zum jesuitischen Glauben, teils zum männlichen,
teils zum weiblichen Geschlecht bekennen.

Die Eingeborenen Dresdens waren einst-
mals wegen ihrer Körperkraft (August der Starke),
Wildheit und Grausamkeit (Parvus und Rosa
Luxemburg) weit und breit gefürchtet. Später
wurden sie bekehrt und führten ein friedliches,
südekümmerliches Dasein. Von den Lebens-
gewohnheiten der Dresdener ist nicht viel be-
kannt. Ihre Nahrung scheint vorwiegend aus
Küsekeilchen und einem eigenartig berauschenden
Getränk, das den Nanien Bliemchenkaffee führt,
zu bestehen.

Ihre Obrigkeit gilt als die weiseste in Deutsch-
land. Sie hat sich durch eine gerechte Verwal-
tung, sowie durch vortreffliche Gesetze das Ver-
trauen, die Hochachtung und Liebe des größten
Teiles ihrer Untertanen in beispielloser Weise zu

erwerben verstanden, wofür die letzten Reichstags-
wahlen wiederum ein beredtes Zeugnis ablegten.

Die Zahl der Dresdener Sehenswürdig-
keiten und Vergnügungsetablissements ist
sehr groß. Wir erwähnen von den ersteren nur
den Zwinger, in dem aber keine reißenden Tiere,
sondern Madonnen in Öl aufbewahrt werden,
und unter den letzteren den sächsischen Land-
tag, eine der bekanntesten Kuriositätenkammern
Europas.

Den verheirateten Teilnehmern am Parteitag
mag schließlich noch die allergrößte Vorsicht im
Verkehr mit dem anderen Geschlecht an-
geraten werden, denn Dresden ist der Hauptknoten-
punkt der Eheirrungen, vor denen leider selbst
die feinsten, erhabensten und keuschesten Familien
nicht immer sicher sind. a. 8.

U

Die Gemeinde Buk in Posen hat ihrer Frau
Bürgermeisterin dreihundert Mark für eine Bade-
reise bewilligt. In den übrigen deutschen Ge-
meinden wird man diesen Brauch jetzt nach-
ahmcn, wodurch die kommunale Gesundheitspflege
einen ungeahnten Aufschwung nehmen wird.

U

Aus der Stadt der VischofslronferenM.

Man schreibt uns aus Fulda: Zur Feier der
Anwesenheit so vieler hoher Herren, die nicht
bloß geistig, sondern auch körperlich weit über das

gewöhnliche Maß hinausragen, hatte die ehr-
würdige Klosterstadt im alten Buchgau glänzenden
Festschmuck angelegt. Überall erhoben sich hübsche,
tannengeschmückte Scheiterhaufen, erzählend von
alter Macht und Herrlichkeit. Auf dem Domplatz,
vor der kuppelgckrönten Kathedrale, halte man
eine naturgetreue Nachahmung eines spanischen
Jnquisitionskerkers erbaut: leider verhinderte der
alte Konfessionshader ein wirklich wahrheits-
gemäßes Bild dieser segensreichen Einrichtung
zu bieten, da sich Juden und Protestanten hart-
näckig weigerten, als Statisten zu dienen. Die
Wege des blütenprangcnden Schloßgartcns waren
mit niedlichen spanischen Stiefeln eingefaßt. Die
Froirt des mittelalterlichen Benediktincrklostcrs
zeigte zierlich ausgeführte, fromme Sprüche, die
vom heiligen Leben und Leiden Konrads von
Marburg Kunde gaben. Da auch Or. Felix
Korum, der streitbare Bischof von Trier, an-
wesend war, so hatte man die evangelische höhere
Töchterschule durch reichen Fahnenschmuck ganz
verdeckt, damit sie bei Sr. Eminenz keinen An-
stoß errege. Die Festlichkeiten fanden ihren Ab-
schluß durch ein prächtiges Feuerwerk aus dem
Bischofsberg, das den andächtigen Zuschauern die
wohlgelungene Nachbildung eines rechtschaffenen
Autodafees vorführte. Hierbei ereignete sich ein
kleiner Vorfall, der Zeugnis ablegte von dem
milden, versöhnlichen Gemüte Korums. Als die
Ketzergruppc nicht gleich Feuer fing, bemerkte dieser
Kirchenfürst mitleidig: „Man hätte doch vorher
ein bißchen Petroleum drüber gießen sollen." 8.8.
 
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