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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0279
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• 4207

Nach einiger Zeit langte er in die Tasche,
zog den Leinwandbeutel mit den harten Ta-
lern heraus und schmetterte ihn ans den Tisch,
als ob er Trumpsaß nusspielte.

Herr Sagebiel zog die Augenbrauen hoch,
spitzte den Mund und ließ seinen Lippen ein
leises Pfeifen entströmen. Krischan's durch-
schlagendes Argument hatte seinen Gedanken
eine andere Richtung gegeben. Harte Taler
waren in diesen Kriegsläufen rar.

Wenn Herr Sagebiel auf diplomatischem
Wege etwas ausrichten wollte, dann münzte er
seine Gedanken statt in dem heimischen Lüne-
burger Platt in einem verfeinerten Hochdeutsch
aus, wie er es in Hannover sich angeeignet
hatte. „Simmal, Kristijan", Hub er mit einer
beruhigenden Handbewegung an, „was ich sagen
wollte, du kannst ja aber eigentlich auch hier
bleiben; ich verstecke dich bei mich. Dein Geld
lege ich so lange hier in das
Schrank. Du kannst immer was
kriegen, wenn de's brauchen tust.

Unu denn, wenn der Benedex mit
die Oesterreichers erst aus Böhmen
herankommt unn mit die Hannove-
raners zusammen die Preußen
wieder wegjägt, denn meldeste dir
bei's Regiment. Unn nu iß man
ordentlich was. Stich dich was in
die Mund, daß de was in's Leib
kriegst. Was willste haben?'n Böff-
stück un'ne Pulle Rotspohn? Was?!"

Krischau ließ sich das nicht zwei-
mal sagen. Ein solcher dilatorischer
Feldzugsplan war ganz nach seinem
Geschmack. Er hielt sich bei Sage-
biel verborgen, und da er weiter
nichts zu tun hatte, aß und trank
er den lieben langen Tag mit Gründ-
lichkeit und Andacht, so daß die väter-
lichen Taler bald auf die Neige
gingen.

Die Weltereignisse spielten sich
indes nicht ab nach dem Rezept des
Herrn Sagebiel. Der Benedek kam
nicht nach Hannover, wohl aber
mußten die hannoverschen Truppe»,
nachdem sie ein siegreiches Gefecht
bei Langensalza bestanden hatten,
vor der Uebermacht kapitulieren.

Die hannoverschenSoldateu wurden
in die Heimat entlassen.

Mit Blitzesschnelle verbreitete sich im ganzen
Lande die Kunde, daß die Krieger zurückkehrten.
Die geschäftige Fama hatte die unangenehme
Tatsache der Kapitulation mit dem schimmern-
den Schleier großer Heldentaten der Hanno-
veraner bei Langensalza übersponnen. In jedem
Dorf rüstete mau sich zum Empfang der heim-
kehrendeu Krieger.

Auch in Bannigenbüttel war große Erregung.
Bon einem Soldaten war ein Brief eingelaufen,
daß die Bannigenbüttler wohl und munter
wären; er hatte die Namen genannt — nur
Krischau Poggenpohl war nicht darunter. Sollte
er den Heldentod erlitten haben, oder verwundet
im Lazarett liegen? Die Angst und Sorge war
groß. Alle Tage wurde Ausguck gehalten die
Landstraße nach Süden entlang, ob sich nie-
mand von den Langensalzaern blicken ließ.

Da, eines Abends, als die meisten Leute
schon voni Felde zurück waren, kommt aus dem
Walde ein Junge angelaufeu. Schon von weitem
brüllt er ganz außer Atem:

„Poggenpohl's Krischan is wedder dor! Eck
heww'en sülwst 'eseihen. Hei kümmt öwer'n
Barg herunner!"

Der letzte, der ausgezogen war aus Bannigen-
büttel in de» Krieg, kam als erster wieder zu-
rück. Alles strömte aus den Häusern zusammen.

dem totgeglaubten Helden entgegen. Die lange
Spannung löste sich in freudigen Jubel. Da
kam Krischan richtig aus dem Walde heraus,
langsam, Schritt vor Schritt. Kein Wunder,
nach all den fürchterlichen Strapazen des
Krieges! Unter Ausrufen der Freude und des
Bedauerns wurde er umringt. Die Mutter
weinte sich au seinem Halse aus; dann faßte
ihn der eine links unter dem Arme, der an-
dere rechts. So ging es im Triumphzuge nach
dem Krug. In die Gaststube drängte sich
alles mit hinein, was Platz hatte; wer aber
von den halbwüchsigen Jungen und Mädchen
nicht hineinkam, quetschte die Nase am Stuben-
fenster platt, um wenigstens den Rücken der
Leute zu sehen, die das Glück hatten, den Helden
zn umringen.

Krischan Poggenpohl ließ alles über sich er-
gehen. Zum Sprechen war er noch nicht ge-

„was.

du Hallunke, erhängen willste dir — ick werde dir jleich
die Zelbstmordjedanken austreiben!"

kommen. Anfangs konnte er nicht einsetzen,
weil Fragen aller Art, untermischt mit Aus-
rufen der Bewunderung und des Bedauerns,
ringsum ans ihn einstürmten. Dann aber wehrte
Mutter Stümcke, die ein tantenhaftes Ver-
hältnis zu dem Helden des Tages herauskehrte,
weil ihr Mutterbruderssohn eine Vatersschwe-
ster von Krischan geheiratet hatte, die lästigen
Frager mit dem Hinweis auf Krischans Ruhe-
bedürfnis ab: „Lat'n doch man irst seck'» bette»
verpusten! Hei is ja noch gans verbiestert, dä
arme Minsche. Gah sitten, Krischan, ät unn
drink irst wat. Dau hast ja da ganße Tid woll
nix Wärmet in't Lief kregen?!"

„Ja, ja, irst mott 'e wat äten unn drinken,
eh he wat vertellen kann", bestätigte der Schmied
Wüstefeld und versetzte Krischan einen ermun-
ternden Schlag auf den Rücken, der einem
Ochsen 'nen Blutsturz hätte verursachen können,
aber auf Krischans Fettpolster zurückfederte,
ohne Schaden anzurichte». Bon allen Seiten
überbot man sich in Bestellungen für Krischan,
und eine geraume Zeit hindurch waren seine
Mundwerkzeuge mit Kauen, Schlucken und
Prosten vollauf in Anspruch genommen. Als
aber selbst Krischans übermenschlicher Helden-
appetit gestillt war und er mit offenem Munde
japsend da saß, hielt Hinnerk Lehnert die Zeit

für gekommen, ihm die Zunge für den Kriegs-
bericht zu lösen.

„Swiegt mal still, Lüe! So, Krischan, nu
vertell mal: wo was denn dat bi Langensalza?"

Der große Augenblick war gekommen. Toten-
stille verbreitete sich in der Gaststube. Man
hätte eine Maus piepsen hören können.

„Lüe, — Lüe —", stotterte Krischan, wedelte
ei» paar Mal mit der Hand, blickte mit ver-
schwommenen Augen um sich — der Atem ging
ihm schwer, er brachte weiter nichts heraus.

„Ogottegvttegott! is dat gräsig!" stöhnte
Stümckes Mutter; ihre Einbildungskraft malte
ihr die schaurigen Schlachtenbilder vor, deren
Entsetzen dem zartfühlenden Helden offenbar
die Zunge gelahmt hatte.

„Pst! pst!", ging es durch die Stube. „Lat
Krischan doch vertellen!"

Krischan sah durch den dicken Tabaksqualm,
wie ihn alle mit vorgereckten Hälse»
und offenem Munde erwartungsvoll
anstarrten; erhob wieder die Hand,
schnappte ein paar Mal nach Luft
und platzte endlich heraus:

„Lüe, fraget meck »ich, vor luter
Pulverdamp unn Kugeln heww'
eck nix 'eseihen."

„Wat?! nix 'eseihen?!", rief
Schneider Wienecke, der etwas skep-
tisch veranlagt war, „wo is denn
dat möglich?"

Aber Hinnerk Lehnert, der sich für
verpflichtet hielt, seinem Kriegs-
kameraden zu Hilfe zu kommen,
fuhr ihn an: „Wat verstechst dau
denn von '»er Schlacht. Büst dau
all mal in'n Krieg west?"

Gegen dieses Argument konnte
Schneider Wienecke nun allerdings
nicht aufkommen. Stümckes Mutter
vervollständigteseine Niederlage, in-
dem sie ihn mit einer Flut von An-
züglichkeiten wegen seiner mangel-
haften körperlichen Entwicklung
übergoß und mit der höhnischen
Bemerkung schloß: „Dau kannst ja
nich 'emol „Pipp" seggen, wenn
deck 'ne Gauß in de Böxe bieten
beit."

Bor dem hellen Gelächter der,
ganzen Stube mußte der Schneider
schweigen.

So trug Schneider Wieneckes freche Nörgel-
sucht verdientermaßen nur dazu bei, Christian
Poggenpohl's schweigsameHeldengrößein einem
um so heller» Lichte erstrahlen zu lassen. Er
wurde unter Absingung des Hannoveranerliedes
feierlich nach Hause geleitet, und das ganze
Dorf beschäftigte sich bis in die Träume hinein
mit den schaurigen Kriegsgeschichten, die Kri-
schan wahrscheinlich berichtet haben würde,
wenn er vor dichtem Pnlverdampf und umher-
schwirrenden Kugeln überhaupt etwas hätte
sehen können.

Als nach der Heimkehr der andern Soldaten
es herauskam, weshalb Krischan nichts hatte
erzählen können, fand ein Umschwung in der
öffentlichen Meinung statt. Das hatte zur
Folge, daß er sich acht Tage lang einer ärzt-
lichen Behandlung mit Umschlägen, Pflastern
und Salben zu unterziehen hatte und diese
Schmerzenszeit, auf dem Bauche liegend, im
Bett überstehen mußte.

Noch jetzt zieht Krischan Poggenpohl instinktiv
den Kopf ein zwischen die Schultern wie eine
Schildkröte, wenn ihn so beiwegelang jemand
fragt: „Krischan, wo was denn dat eigentlich
bi Langensalza?" gi.
 
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