Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0292
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4220

Der Landbriefträger.

Jur Schnee vergraben liegen alle Lutten
Vom Limmel schneit es immerfort wie toll
And höret nimmer auf mit Tlockenschütten,
Man weih nicht mehr, was das noch werden soll.
Doch heiter stapf' ich durch den weißen Segen,
Die harte Arbeit ist mir heut' ein Scher),

Denn alle Kinder jauchten mir entgegen
And mit der Jugend jauchzt mein altes Lerz.

's ist keine Kleinigkeit! es drückt den Nucken.
Doch i» den Sturmwind pfeif' ich dann und wann,
Leut' wird mein Kommen jedermann entzücken —
Rir's ganze Dorf Bin ich der Weihnachtsmann!
Denn aus der Stadt, wo hinter blanke» Scheiben
Äin Wundergarlen für die Kleinen feil,

Rriug' ich auf's Dorf in wirrem Mlockentreiben,
Auf Lolperwegen ein bescheidnes Teil.

Das letzte Rlalt entführte von den Zweigen
Der rauhe Tst, der in das Mark inir dringt,
Doch aus der Rrust will Maienfreude steigen,
Die mit der Lerche und der Amsel fingt;

And warm' ich dann am Tfen meine Knochen
And glimmt im Vfeifchen meines Tabaks Nest,
Regeht inmitten seiner schwersten Wochen
Der Rote flill das liebe Weihnachtsfest. ir. l.

Krampet junior.

Line Weihnachtsgeschichte.

a —thil —de! Ma-

thil-de!" tönte es

langgezogen durch die
Berliner Stube in die
Küche.

„Ja jleich, ick komme
ja schon!" echote es zu-
rück und gleich darauf stand Mathilde, die
schnell die aufgekrempellen Aermel heruuter-
gestreift und eine weiße Küchenschürze vor-
gebunden hatte, vor der Ruferin, eine ge-
borene Schulze und verwitwete Wiesner, jetzt
Hauskreuz bei Postsekretär Dähuert und Frau,
geborene Krampet.

Es war nichts Gewöhnliches, eine Tochter
Krampels zu sein und noch dazu einziges Kind.

Vater Krampet war nämlich Hausbesitzer in
Berlin 80. in der Pücklerstraße und „gut-
gehender Kolonialwarenhändler" im eigenen
Hause, zwei Eigenschaften, die ihn in den Augen
seiner Mitbürger als Respektsperson erscheinen
ließen. Krampel, Häringsbändiger von Beruf,
war also Fachmann; es konnte ihm daher nicht
fehlen: Alles, was er anpackte, gedieh und als
ihm seine Frau seinerzeit so zwanzigtausend
Märker Mitgift in einem guten Sparkassen-
buch auf den Ladentisch legte, da war der Grund
vorhanden, auf dem Krampel ein gemachter
Mann in der Pücklerstraße werden konnte. Aber
das mußte mau ihm auch lassen, auf dem Posten
war er und ebenso seine Frau, beide rührten
sich nach Kräften und in der ganzen Nachbar-
schaft hieß es: „Bei Krampels kooft man am
besten, — knickern im Jewicht is nich un dabei
is die Ware jnt un billig!"

Krampels Ehe war nicht von dem gleichen
Segen begleitet, wie das Kolonialwarengeschäft
— nur eine Tochter war ihr erblüht, Luise,
ein prächtiges, wenn auch etwas eigensinniges
Kerlchen, das Frau Wiesner, eine entfernte
arme Verwandte, die in ihrer Ehe und ihrem
Leben Schiffbruch erlitten hatte, per procura
der Eltern auf Händen trug, da Krampels den
ganzen Tag im Laden zu tun hatten.

Die Jahre vergingen, das Vermögen und
Luise waren herangewachsen und allgemach
kamen die Sorgen, wer wohl den Augapfel
wegschnappen würde. Der Firmenträger meinte
in einer gemütlichen Schummerstunde zu seiner
bessern Hälfte: „Mehr Kinder sind uns nicht
beschert worden; et ist auch so jut, Mutter;
wat wir nich haben, kennen die andern kriegen,
un Luise kann sich eenen aussnchen, wie sie ihn
haben will."

„Det kan» se", erwiederte mit Stolz Mutter
Krampel, „det kann se." Un dabei plierte sie
auf die Straße und meinte schelmisch lächelnd:
„Ick jloobe, unsere Luise is schon dabei, det
zu besorjen. Kiek mal aus'» Fenster, Alter,
da drieben jetzt sie un neben ihr der Post-
praktikant Dähnert, een allerliebster Mensch,
mit dem sie i» gemischten Singchor zusninmen
singt."

Mit einem heftigen Ruck war der Alte in
die Höhe gefahren und starrte auf die Straße,
wo er seine vergötterte Luise grade gegenüber
auf dem Trottoir mit einem hübschen Post-
menschen Süßholz raspeln sah.

„Potzdausend, Mutter, d'et is aber schnell
jejangen, un ick habe keene Ahnung davon?"

„Nu uee, ahnt sich was; ihr Männer seht

ooch nich weiter als eure Nasenspitze reicht.
Ick weeß et schon lange, ivie et um Luisen
steht."

„Na, da schlag eener lang hin", polterte der
Alte, ,,'n Mächen von neunzehn Jahren hat
doch noch 'u bisken Zeit un muß nich gleich
vor't jestellungspflichtige Alter in'» Dienst.
Un denn 'n Postpraktikanten — —, wie sagst
du noch —?"

„Dähnert, Postpraktikant Dähnert, ne
Waise, aber 'n anständijer Mensch."

„Mutter", schrie Krampel förmlich auf,
„Mutter, woher weeßt du denn det alles? Du
hast dich wohl bei Schinnuelpfeng abonniert
un de janze Jeheimpollizei in Bewegung je-
setzt?"

„'Ach wat, Jeheimpollizei brauch ick nich,
ick, die Frau Krampel, weeß alles, wat hier
in der Pücklerstraße passiert. Un denn is de
Post doch ne öffentliche Anstalt; da erfährt
man alles, ooch ob eener noch Vater un Mutter
hat oder ob er'» Waisenkind is."

„Aber 'n Postpraktikanten", wagte Krampel
jetzt schon schüchterner einzuwerfen, ,,'u Post-
praktiknnten! Was kann der werden? Janz
jewiß keeu Generalpostmeister, heechstens Post-
sekretär!"

„Un wenn ooch; Frau Postsekretär is ’it
jauz scheener Titel u» für die neetije Ver-
jvldung sorjen wir."

Als Krampel noch einige Versuche machte,
die mangelhaften Finanzen eines Postsekretärs
zu erläutern, fiel ihm seine Frau ins Wort.

„Luisen kann sich eenen aussnchen, wie
sie ihn haben will, hast du selbst jesagt, sie
hat sich den Dähnert ausjesncht un dabei
bleibt es!"

Am nächsten Sonntag war Dähnert zum
Mittagessen bei Krampels eingeladen und ein
halbes Jahr später wurde Hochzeit gehalten.

Zur größten Genugtuung der Frau Krampel
lautete die Heiratsanzeige:

Als Verehelichte empfehlen sich:

Friedrich Dähuert, Postsekretär
Luise Dähnert, geb. Krampel.

Der Alte hatte aber durchgesetzt, daß Frau
Wiesner die Prokura der Firma auch im
Hausstand der Neuvermählte», der im zweiten
Stockwerk errichtet wurde, weiterführte. Luise
sollte nun mal ihr Leben Inns auf Händen
getragen werden und trau — ich au — wem! —
Sv ’» Stephansjünger konnte Mucken habe»!

Die Ehe war indessen eine mustergültige.
Frau Wiesner hatte nie etwas Böses im Par-
 
Annotationen