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—. 4221

terre zu melde»; bei Krampels herrschte daher
eitel Freude und Wonne, da von allen Seiten
der ausgezeichnete Schwiegersohn ihnen gegen»
über gelobt wurde.

Drei Jahre dauerte dieser glückliche Zustand,
der nur eine Trübung dadurch erfuhr, daß der
erhoffte Kindersegen, mit dem schon bei Krampels
nicht viel los war, bei Dähnerts ganz ausblieb.
Weise Frauen und Männer um Rat befragt,
hatten schließlich erklärt, es müsse ein Wunder
passieren, wenn Luise mit Nachkommen gesegnet
werden würde. Die alten Krampels ärgerten
sich und Luisen rannen oftmals die Hellen Tränen
über die rosigen Wangen, wenn sie am Michaelis»
kirchplatz in den Anlagen die junge Berliner
Welt spaziere» führen sah. Indes tief ging
der Kummer nicht; sie fand reichlichen Ersatz
in der Liebe ihres Postsekretärs; in dem hatte
sie sich nicht getäuscht, der war echt und treu
wie Gold — bis sich ein Ereignis zutrilg, das
auch das Glück in der Pücklerstraße zu zer-
trümmern drohte. Und das kam so.

Die Nähe der Weihnachtszeit brachte für
Frau Luise allerlei geheimnisvolle Kommis-
sionen, die auch mit Schreibereien verknüpft
waren. Am liebsten erledigte sie diese am
Schreibtisch ihres. Mannes. So auch an dem
Tage, an dem unsere Geschichte beginnt.

Der gute Fritz war in der letzten Zeit etwas
zerstreut gewesen und in dem Zustand hatte er
auch wohl den Schlüssel stecken lassen in einem
Fache, wo er allerlei Papiere aufzubewahren
pflegte. Luise öffnete arglos die Schublade,
als ihr eine Art amtlichen Schreibens, das
obenauf lag, in die Augen fiel. Sie las:

Herrn Postsekretär Friedrich Dähuert

Berlin.

Für Ihr bei der Witwe Grabow anhier
in Pflege gegebenes Söhnchen Paul muß
eine anderweitige Unterkunft beschafft wer-
den, da besagte Pflegefrau wegen Krankheit
nicht mehr in der Lage ist, die Pflegschaft
weiter ausüben zu können.

Ihren umgehenden Entschließungen sieht
entgegen Der Ortsvorstand.

H. bei Berlin, den 21. Dezember 1902.

Mit einem lauten Aufschrei sank Luise am
Schreibtisch zusammen. Die alte Prokuristiu
Wiesner eilte herbei und ward in wenigen
Augenblicken inne, um was es sich hier handelte.

Das erste war, Mathilde, die Köchin, zu
rufen, die sofort ins Parterre geschickt wurde,
um Frau Krampel zu holen.

Bevor diese eintraf, hatte die Wiesner das
Schreiben in die Tasche gesteckt, Luise ermun-
tert und im Wohnzimmer aufs Sofa gebettet.
Eiu Strom von Tränen begann Luisen das
Herz zu erleichtern, was von Frau Wiesner
als ein gutes Zeichen angesehen wurde.

Mutter Krampel war ganz außer sich, als
sie den Tatbestand vernahm. „Ne, so'n Scheu-
sal, so'n Heimtücker, so'n Türke", — wetterte
sie, „uns, der in der janzen Pücklerstraße so
jeachleten Firma, so 'ne Schande anzutun!
Hier, wo wir Kinderchen so neetig hätten, wo
sie uns 'ne Freude auf unsre alten Tage wären,
hier is nischt un wird »ischt un draußen loofen
ihm de Jöhren schockweise rum!"

„Aber Mutter", wagte Luise schluchzend ein-
zuwerfen, „es ist doch bloß ein Kind und dann
kennen wir nicht einmal die näheren Umstände."

„Da hat Luise recht", warf die Wiesner eiu,
„die näheren Umstände kennen wir nicht un die
müssen wir erst rauskriegen, bevor wir Han-
del» können."

Dagegen war nun nicht viel einzuwenden,
das sah Frau Krampel als praktische Geschäfts-
frau auch ein. Aber gehandelt mußte werden,
dem „Lügenpeter", wie sie den sonst von ihr

so verehrten Schwiegersohn nannte, mußte eine
exemplarische Strafe werden, das stand bei
ihr unerschütterlich fest.

Und nun begannen die Frauen den Kriegs-
plan zu entwerfen; die böse Affäre konnte
»ach der Ansicht von Frau Krampel nur mit
einer Scheidung enden. Vorerst wurde be-
schlossen, Luise mit ins Parterre zu nehmen,
wo sie bis auf weiteres zu verbleiben hätte.
Sodann mußte Papa Krampel reiner Wein
eingeschenkt werden; er sollte unter Assistenz von
Frau Wiesner den „Lügenpeter" verhören und

Schwäbisches Dorf am Neckar.

je nachdem „die nähere» Umstände" ausfallen
würden, das weitere unternommen werden.

Die Erwartung der drei Frauen, daß Herr
Krampel einen Wutausbruch bekommen würde,
erfüllte sich merkwürdigerweise nicht. Mit
einem verschmitzten Lächeln hörte der alte
Praktikus die haarsträubende Geschichte an und
gab seine Zustimmung, daß Luise einstweilen
bei Muttern bleiben durfte. Die Auseinander-
setzung mit Dähnert indessen wollte er ohne
Assistenz der Prokuristin unternehmen; Frau
Wiesner sollte nur seinen Augapfel während
der kritischen Zeit hüten.

Als der Alte gegen Abend die Treppe zü
seinem Schwiegersohn hinaufsteigen wollte,
huschte Luise ihm nach, fiel ihm um den Hals
und flehte, doch ja nicht so streng mit Fritz
zu sein, denn „die näheren Umstände" könnten
ihn am Ende schuldloser erscheinen lassen, als
es jetzt den Anschein hätte.

Es war das alte Lied, was dem biederen
Kolonialwarenhändler da oben gesungen wurde.
Zwei junge Herzen liebten sich, die Folgen traten
ein, die die Mutter mit dem Leben büßen mußte,
wodurch das Kind mit einem Schlage Mutter
und Vater verlor, — denn was half die rein
materielle Sorge des Vaters für das Kind,
iveu» die liebende Hand nicht täglich und stünd-
lich die Wege des Kindes ebnen konnte? Eine
erklärliche Scheu hatte Dähnert immer davor
znrückgehalten, seiner Frau das Geschehene

mitzuteilen. * „

Der nächste Tag war Weihnachtsabend. Am
Morgen fuhr Herr Krampel und seine Tochter
mit einer Chaise über Land. Erst in der
Dunkelheit kehrte» sie zurück.

Nachdem der Laden geschlossen worden war,
erhielt Frau Wiesner den Auftrag, „den Herrn
Dähnert" ins Parterre zu bitten. Im Vor-
zimmer wurde er von Papa Krampel empfangen,
steif, förmlich, als gelte es einem Fremden.

Dähuert zitterte an allen Gliedern. Was

hatten die beiden Tage auch aus dem armen

Kerl gemacht! Er war kaum wieder zu erkennen.
So ungefähr mußte einem zumute sein, der
aufs Schafott geführt wird.

„Herr Dähnert!" begann jetzt Herr Krampel.
„Wir haben Ihren Fall jeprüft und das Ur-
teil bereits einstimmig jefällt. Sie kennen es
jleich in Empfang nehmen."

Mit diesen Worten öffnete er die Tür zum
Wohnzimmer, aus dem ihnen blendender Lichter-
glanz entgegenstrahlte.

Dem Postsekretär flimmerte es vor den Augen.
Unter einem mächtigen Weihnachtsbaum saß
seine Luise und an ihrer Seite stand ein kleiner
prächtiger Blondkopf, der zutraulich sich an die
feine Gestalt schmiegte.

Dähnert schwankte auf die liebliche Gruppe
zu; er sank vor seiner Frau nieder und bqrg
seinen Kopf in ihrem Schoß.

Zitternd legte Luise dem Aermsten die Hände
aufs Haupt und sich niederbeugend flüsterte sie:
„Der Weihnachtsmann hat entschieden, — er
ist selbst gekommen in der Gestalt des kleinen
Paul, um Aufklärung zu bringen, und das
Glück, das ich sesthalten und schützen werde
mit aller Kraft meines Herzens."

Mutter Krampel wollte dem „Türken" noch
eine Extrastrafpredigt halten, aber die alte
Wiesner steckte sie mit ihrer Tränenflut an*
so daß beide Frauen um die Wette heulten.
Die Strafpredigt fiel damit in aller Form ins
Wasser. Auch Vater Krampel, der eigentlich
kein Rührseliger war, zuckte mit den Mund-
winkeln und zwinkerte mit den Augen. Schnell
entschlossen machte er der bedenklichen Geschichte
ein Ende, indem er mit erhobener Stimme
ausrief:

„Da durch die ,besonderen Umstände' die An-
jelegenheit einen so schönen Verlauf jenommen
hat, so jeziemt es mir als Firmenträger
noch einiges zu sagen. Ick bin mit dem
Familienzuwachs voll un janz einverstanden,
der dreijährige Neujeborene is kein Waisen-
knabe nich, er hat'n Vater, un was die Haupt-
sache is, er hat ooch 'ne Mutter; aber er muß
ooch'n Namen haben un da find' ick keenen
scheeneren als Krampel. Krampel muß er heißen,
damit unser Jeschlecht nich ausstirbt, un nu
Kinders, erjreift det Jlas

Krampel junior — er lebe hoch!" h.d.
 
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