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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0040
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4263

Der Craum des CtjefreüaKteurs.

3m bequemen Schreibtischsessel
An der Werkstatt seines Geistes
Sitzt der Lhef des edlen Blattes
„Generalanzeiger" heißt es.

Sanft gesunken in das Polster
Ruhet aus das Haupt des Meisters
Von den Taten seiner Schere,

Den 3deen seines Kleisters,

Und da träumt ihm, daß er stehe
vor dem Richterstuhl voll Bangen
Wegen Majestätsbeieid'gung,

Die er freventlich begangen.

Und er sei zum Tod verurteilt,

Doch des Landesfürsten Gnade
Habe huldvoll es belassen
Beim Empfang der Bastonade,

Tr erwacht in Schweiß gebadet
Und zitiert die Redakteure;

Bald versammelt ist um ihn die
Ganze Federviehgaleere,

„Hört!" so spricht er dumpfen Tons,
„Daß sich keiner unterstehe,

Etwa Politik zu treiben
Wehe ihm, ja dreimal wehe!

„Denn dies edle Blatt soll bleiben
Stets parteilos, unpolitisch,

Ungehauen, ungestochen.

Kurz gesagt, hermaphroditisch,"

Zitternd murmeln alle Beifall,
Während sich die Häupter senken;
Liner nur beginnt verwegen:

„Herr, verzeiht, ich sollte denken

Zornig unterbricht der Lhef ihn:
„Wie? Welch'sträfliche Zdeen!

Denken willst du? Hast du jemals
So etwas von mir gesehen?

„Hat mit eitlem Denken jemals
Sich dein Meister schnöd gebrüstet,

Der mit des Jahrhunderts ganzer
Ignoranz ist ausgerüstet?

„Hast du nicht die neue Schere?

"Nicht den Kleister, der so teuer?

Hast du nicht zum Überstusse
Noch den Brockhaus oder Meyer?

„Fort mir dir! Du bist entlassen!"

Und es schleichen sich von hinnen
Alle schweigend. Doch der Meister
Wandelt heim in tiefem Linnen,

Alle Welt preist seine Weisheit
Laut, nachdem ste dies erfahren;

Auch die alte, treue Waschfrau,

Die ihm wäscht seit dreißig Jahren,

„Ach!" spricht sic mit feuchten Augen,
„Doppelt dien' ich ihm nun gerne,
Waschen will ich ihm zeitlebens,

Bleibt der Politik er ferne,

„Politik wirkt stets verderblich
Gleich der Schlange unter Rosen,

Denn sie schadet dem Charakter
Und verdirbt die Unterhosen." vei-..».

Der Attentäter.

Von IVen-elin Johannes Lederer.

Die Regierungspartei veranstaltete im Einver-
nehmen mit den Behörden, anläßlich der glück-
lichen Niederkunft der Landesmutter, die seit
Jahren fern von beut alten Herrn Landesvater
auf einem Schloß tut Süden weilte, einen Fest-
zng durch die Straßen der Residenz, mit an-
schließendem Dankgottesdienst. Wie immer bei
solchen Gelegenheiten, füllte eine schaulustige
Menge die Straßen und Plätze, durch die der
Festzug kommen sollte, und besonders auf dein
Platze vor der Kirche ivar der Andrang groß.
Die Polizei hatte einen Durchgang durch die
Menge bis zum Tor der Kirche hergcstellt und
hielt nun den Weg frei, indem sie einen Kordon
bildete. Die in zivei losen Reihen ausgestellte
Mannschaft blickte mit einiger Ungeduld nach
jener Seite, von welcher der Zug kommen sollte,
darauf gespannt, ihre noch ruhenden Kräfte tätig
zu entfalte», den» im Augenblick fand ihr Eifer
keur Objekt, da sich die schwatzende, neugierige
Menge sonst ruhig verhielt und die Ordnung
völlig bewahrte.

Ein Mensch aber war höchst aufgeregt; er ivar
zil Pferde und jagte mit hochrotem Gesicht hin
und her, Befehle schreiend und sich ungeheuer
wichtig geberdend. Das war der Polizeichef selbst,

in großer Uniform und mit Orden und Denk-
münzen schön verziert. Er hatte alle Anord-
nungen getroffen, daß die Ordnung nicht gestört
werden konnte, erwartete dies aber trotzdem be-
stimmt, da es seine Überzeugung war, daß die
umstürzlerischen Elemente, die er überall sah,
die Gelegenheit, eine so hochpatriotische Kuud-
gebung zu Gegendemonstrationen zu benützen,
nicht vorübergehen lassen würden. Aber man
mochte sich nur hüten — er verstand keinen Spaß,
und auf ihn konnte man sich „oben" immer ver-
lassen! Und er riß sein Pferd herum, jagte die
Gasse hinauf, schrie die Polizeileute an, die dann
wiederum die Menge anschrien, ivelchc nun eben-
falls nervös wurde und anfing, Witze zu machen.

Plötzlich hörte man Blechmusik, der Festzug
nahte. Der Polizeichef sprengte in höchster Auf-
regung zurück, schrie seinen Leuten zu: „Achtung,
sic kommen! Bahn frei!... Zurück! zurück!" und
jetzt kaut Leben in die Reihen. Die Polizeileute
kehrten sich gegen die Menge und schrien eben-
falls „Zurück, zurück!" obwohl Platz genug war,
die Menge sich nicht gerührt hatte und, ivie sie
jetzt stand, auch nicht rühren konnte. „Zurrrück!"
brüllte der Polizcichcf dort, wo die Menge an,
dichtesten stand, und aufgeregt drangen seine Leute
gegen die Massen au, drängten, schrien und
stießen und brachten so endlich Bewegung in die-
selben; sie wichen zurück, um naturgemäß au
einer anderen Stelle wieder vorzudringen.

Als der Herr Polizeichef die entstehende Un-
ordnung sah, erkannte er sofort, daß hier die
Anfänge zu einer ungehörigen, aufrührerischen
Demonstration gegeben seien, die sogleich mit aller
Entschiedenheit niedergeschlagen werden müßte».
Er zog daher den Säbel, ritt gegen die schreiende
Menschenmenge, da ivo sie vordrängte, an, trat
den vordersten die Zehe» weg und teilte, fort-
während „Zurück!" schreiend, Hiebe mit der
flachen Klinge aus. Ein altes Weib fiel und
geriet unter das Pferd. Das Volk empörte sich
und rief Schimpfwortc, ein Stockhieb traf das
Pferd, das sich bäumte, und nun zog die ge-
samte Polizei vom Leder und stürmte, Hiebe
austeilcnd, auf den Knäuel los. Die Menge
flüchtete unter Flüchen und Verwünschungen,
und im selben Augenblick traf ein Stein des
Polizeichefs Nase, daß sie sogleich heftig blutete.
Aus einer Mauerecke bei der Kirche war der
Stein geworfen worden.

Nun hatte sich dort, ohne daß cs von jeman-
dem bemerkt worden warben war, etwas ereignet,
das vielleicht in keinem oder doch nur einein ent-
fernten Zusammenhang mit den geschilderten Vor-
gängen stand. Dort stand ein Mann, regungslos
in die Mauerecke eingekeilt, und auch jetzt, als
die Leute vor der erstürmenden Polizei und dem
hauenden Säbel des Chefs flüchteten, blieb er
dort allein, in die Ecke gedrückt, stehen. Der
Polizeigewaltige, den nur das Gefühl der Rache
beseelte, weil ihn seine Nase schmerzte, glaubte
au dieser Frechheit den Attentäter, der den Stein
geworfen hatte, zu erkennen, und führte sogleich
einen furchtbaren Hieb mich dein Haupte des Un-
bekannten, der hierauf vornüber zu Boden stürzte
und auch liegen blieb.

Die Menge, die den Vorgang sah, kehrte sich
nun wütend gegen die Polizei und eröffnete auf
diese ein Steinbombardement, gerade in dem
Augenblick, als der Festzug herankam und sich
staute. Es gab einen Zusammenstoß, Schirme
und Stöcke wurden geschwungen und ein kleiner
Aufstand, ivie ihn sich die Phantasie eines Polizei-
chefs nicht schöner vorstellen konnte, war fertig.
Die Polizei erhielt Verstärkungen, machte einen
; geordneten Angriff, wobei mehrere Ver-
wundungen vorkamen und zahlreiche Ver-
haftungen vorgeuominen wurden, und
räumte schließlich mit Mühe den Platz. Die
Ordnung war wieder hergestellt. <-ch»>ß um»,-
 
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