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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0053
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Dereinst das Deutsche Reich
Aar eine Crauer=6icb’.

€$ hat bei tag und Dacht
ßedicbt’t nur und gedacht.

Man hat mit viel Gemüt
Jiirs Ideal geglüht,

Man reckte nicht die talz’,

Blieb auf dem letzten Platz
Bescheiden in der Gck’,

Und war der Aelt ’n Dreck.

Jetzt sind wir, Gott sei Donk,

Mal selber jrang nationg.

Mit durchgedrückten Knien
Air an der Spitze ziehn
Der Zivilisation,

Der üölker Kron’l

Aer hat ’nen Bülow, wer ’nen Pod!
An unsern Möller langt kein Spott;
Im Jrieden Meister, Geld im Krieg,
Du erst soziale Politik!

Ao ward noch in der ganzen Aelt
Dem Uolk erleuchtet hingestellt:

Gin Abort —, ein Abort —

Ein Abortkübel auf zwölf Mann?

Der Gipfel

der Sozialreform.

„Catsacbe ist, dass in Westfalen auf je zwölf Arbeiter ein Abort
kommt. Das sind Leistungen, wie sie sonst nirgendwo in der Welt
Vorkommen.“ Minister Möller im Deutschen Reichstag.

Der thron und der Altar
Wird überall schon rar,

Und manch ein Uolk, ach! kennt
Dur noch ’nen Präsident!

Bei uns gedeiht der thron
Tn Überproduktion,

Und gebt ein Jürst mal tot,

Rat es erst recht nicht Dot:

Gr wird in einer Dacht
Aus Marmor nachgemacht!
Jedweder kleinste Staat
Rat ’nen Ministerrat,

Der betet Stund’ für Stund’

Der Schwachen Uolk gesund.

Sie scheuen keine Qual,

Sie sind sozial!

Des Biilows Beist, dem Pod sein Bauch,
Als dem Minister von der Jauch’,

Des Möller Siebenmeilenbein
Und selbst der UJitz vom hammerstein,
Sie rackern, bis der härter prasst
Auch unter tag in üpp’ger Rast:

Am Abort —, am Abort
Am Abortkiibel für zwölf Mann!

ln jedem andern Land
Ist der Soldatenstand
Dur bessrer Zivilist.

Bei uns ist er ein Christ
Uon auserwählter Gbr’ —

Kurz, er ist Militär!

Bei jedem Schlag der Block’

Ueredelt sich sein Rock
Mit Band und Citz’ und Bord’,

Mi Schnur und Schnall’ und Ord’,
Bis niemand mehr erkennt
Sein eigen Regiment!

Dur wir ha u den Soldat
Allweil parad’parat;

Dur wir den Krieger jung
Bringen in Schwung!

Mit Kolbenstoss und Obrgefeig
Zum Weltberrn wächst das Deutsche Reich.
Schleichtauch derLeutnantnachtsmal spät
Zur hauptmannsgattin tete ä tete!

Tn UJälschland ist der Staub sehr gross,
Bei uns, spricht Ginem, kommtdoeb bloss:
Gin Abort*, ein Abort--,

Gin Abortkübel auf zwölf Mann.

Weltausstellung ist nah
Tn Dordamerika,

Gs zappeln alle küss’

Dur noch nach Saint Louis.

Die Uölker ohne Scham
Uerscbicken Jammerkram,

Aas Wissenschaft und Kunst
Gequalmt an blauem Dunst.
Doch wir sind nicht so dreist.
Wir schicken höchsten Beist:

Gin sozial Symbolum
Uons deutsche Publikum!

Wir hatten in Paris
’nen güldnen Säulenries’,

Durch den ward dort geprahlt,
Was wir sozial'«!

Doch in Saint Louis wird gezeigt.
Wie weit wir es seitdem erreicht
Tn Armenwohlfahrt, Arbeitsglück,
Wie arg die andre Welt zurück!

Fjerr Möller bringt bescheiden stolz
Aus Bold in fein poliertem holz:
Den Abort*, den Abort-,

Den Abortkübel für zwölf Mann!

Die Grde ganz vor lleid
Zerbirst ob unsrem Schneid;
Doch wir, wir rasten nicht
Auf unsrer Lorbeerschicht.
Wir geben weiter nur
Auf der sozialen Spur:

Die Lahmen heilen blind,
Zum Breis reformt das Kind,

Die Stummen taub massiert,
Uerbrübt wird, wer erfriert;
Bis dann mit siebzig Jahr
Drei Broschen kriegt in Baar
Als Rentner von dem Reich
Jed’ unbescboltne Leich!

Im Reichstag drauf mit Recht
berr Möller sprecht:

- -

Kein Staat, wo immer in Gurop’,
Grwarb so ungeheures Lob,

Ja, im Sozialen sind wir stark,

Was andre machten, ist nur Quark!
Der Reichstag bört’s mit frohem Ohr
Und singt in hellem Jubelchor:
Zwölf Abort-, zwölf Abort-,
Zwölf Abortkübel auf den Mann!


Uniform-Veränderungen.

Infolge der oberflächlichen Geistesarmut des
Philisters wird die jetzt so viel ventilierte Frage
der Uniformveränderungen in der Regel ganz
falsch beurteilt. Es liegt ihnen aber wahrlich ein
tieferer Wert zugrunde: sie sollen indirekt auf
das Wohlbefinden jedes einzelnen Staatsbürgers
fördernd einwirken.

Wer hat nicht selbst schon oft verzweifelt darüber
»achgesounen, welcher Wochentag gerade an der
Reihe fei? Denn nicht jeder hat immer gleich
einen Kalender zur Verfügung. Diesein Übest
stand, der schon manchen treuen Staatsbürger
geärgert und gequält Hai, soll nun durch diese
Uniformreform endlich ein Ende gemacht werden;
denn — dank unserer guten Beziehungen können
wir das authentisch Mitteilen — an jedem Tage
der Woche wird unser Heer demnächst eine ver-
schiedene Grundfarbe der Uniformen zeigen, so
daß nun mit Leichtigkeit jedes kleine Kind fest-
stellen kamr, an welchem Tage der Woche es lebt.

Über die Farbenfolge ist noch keine vollständige
Einigung erzielt worden, jedoch können wir ver-
raten, daß für Montag, der ja gewöhnlich „blau
gemacht" wird, die blaue Farbe gewählt werden

„Schade, det die Rede nich noch mal so lang war — dann
hätte se doppelt nitzlich jewirkt!"

wird. Für den Dienstag, der an den „Dienst"
erinnert, ist die graue Farbe in Vorschlag ge-
bracht worden, um das häufig mit dem Dienste
in Verbindung stehende „grarce Elend" zu ver-
sinnbildlichen. In dieser Richtung wird die
Farbenskala weiter ausgebant werden.

Über die Zweckmäßigkeit einer solchen Reform
ist weiter kein Wort zu verlieren. Alle anderen
Völker werden uns Deutsche um unseren leben-
den Wochenkalender beneiden.

Der noch weitergehende Wunsch unserer in
weiser Fürsorge für das Volk gänzlich ausgehenden
Regierung, aus den Uniformen der einzelnen
Tage durch zweckmäßige Verwendung von Tressen,
Passepoils, Brust-, Bauch- und Rückenfalten,
Klappen, Bordüren usw. einen Stundenzeiger
für sämtliche Tages- und Nachtstunden zu machen
und mithin unsere Soldaten auch äußerlich und
in buchstäblichem Sinne zu „Zeichen der Zeit"
zu gestalten, mußte leider vorläufig zurückgestellt
werden. Die bekannte Engherzigkeit unseres Reichs-
tags macht es zur betrübenden Gewißheit, daß
dieser so zeitgemäße Vorschlag abgelehnt werden
würde. Einer späteren Zeit mit vorgeschritteneren
Anschauungen bleibt es Vorbehalten, diese bahn-
brechende Uniformreform durchzuführen. pic
 
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