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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0132
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— 4356

Frechheit!

Mttfre Eisenfresser haben
Ihren kleinen Rrieg nunnrehro;

Mit dein mächt'gen Deutschen Reiche
Rümpft das Völkchen der Herero.

Nur bei so brutalen wilden
Rann man solche Frechheit finden:
Mit uns Zivilisatoren
Ohne weitres anzubinden!

Läßt sich gar nicht imponieren
von den deutschen Schneidigkeiten,
Nicht von den famosen Leutnants,
Um die alle uns beneiden.

Ja, noch weiter geht die Frechheit
Und es hat gar sehr verdrossen,

Daß sie, als man grimmig hinschoß,
Grimmig wieder hergeschossen!

Dies verkommene Gesindel —

Raum vermag man es zu fassen —
will sich seinen Grund und Boden
Und sein Vieh nicht nehmen lasseil!

Leider kosten diese wilden
Uns schon viele Millionen;
Ängstlich fragt der Steuerzahler:
wie soll alles dies sich lohnen?

will nicht schuften für die Weißen Alle die Herero, rufen

Gegen kärgliche Belohnung, patriot'sche Musterknaben,

wählt sich lieber unbotmäßig Soll man hängen und erschießen!

Urwald und Gebirg als

?flngtten.

wieder geht der Geist der Pfingsten
JugeildKräftig durch die Welt;
wieder sind es die Geringsten,

Denen er sich zugesellt.

3u des Reichtums stolze Hullen
Lenkt er zögernd nur den Just;

Ruch den Hütten, halbzerfalleil,

Bringt er eilend seinen Grusz.

Lehrt die Jugend Wut und Treue
Für des Volkes ewig Recht,

Rrüft'gen Glauben an das Neue:
Niemands Herr und niemands Rnecht.

Auf die Herzen, auf die Pforten!
Streut ihm Zweige, frisch und grün!
Daß aus seinen Götterworten
Mut und Hoffnung euch erblühn!

Mut, den schweren Rampf zu wagen
In der Menschheit letztem Rrieg,

Mut, die Opfer zu ertragen,

Frohe Hoffnung auf den Sieg! f.a.e.

Füsilier Aöhnke.

Dem preußischen Kronprinzen passierte vor
kurzem das Malheur, aus dem Exerzierplatz eineu
seiner Ordcnssterne zu verlieren. Der Finder, ein
Potsdamer Füsilier Böhnke, wurde mit 20 Mark
belohnt und persönlich zum Kronprinzen befohlen.
Die Berliner bürgerlichen Blätter brachten über
diese Angelegenheit ausführliche Berichte, in denen
sie genaue Angaben über den Tag und die

Wohnung. Doch —

Stunde des Verlustes und des Wiederfiudens,
über den Namen des Finders, über die Kompanie
der er angehört, über die Art der Überreichung
des Fuudobjekles usw. machten.

Da es uns schmerzen würde, au Aktualität
hinter der reichshauptstädtischen Presse zurück-
stehen zu müssen, so haben mir bei der unzweifel-
haften Wichtigkeit des Ereignisses unseren Berliner
Korrespondenten telegraphisch angewiesen, uns
umgehend einen ausführlichen Originalbericht über
die Persönlichkeit des gefeierten Füsiliers, seinen
bisherigen Entwicklungsgang usw. zukommen zu
lassen. Es ist unserem Mitarbeiter sogar ge-
lungen, sich die Gewährung eines Interviews
bei dem Helden des Tages zu erwirken, und wir
stellen das interessante Referat den Redaktionen
der Tante Voß, des Tageblatts, des Lokalanzeigers
und anderen Kündern der bürgerlichen Volks-
seele hiermit honorarfrei zur Verfügung.

Als ich — so schreibt unser Korrespondent —
mit dem Abendzuge in Potsdam anlangtc, war
ich erstaunt, das äußere Gepräge der Stadt so
wenig verändert zu finden. Aber obwohl nirgends
aufgeregte Gruppen zu sehen waren, die das Er-
eignis besprachen, so blieb es dem beobachtenden
Menschenkenner doch nicht verborgen, daß auf
den Lippen jedes echten Potsdamers das Zauber-
wort „Böhnke" schwebte. Der Weg zur Kaserne
war dank dem militürkuudigen Sinn der Orts-
einwohucr bald erfragt und pochenden Herzens
betrat ich das mir bczeichncte Zimmer. Es war
der einfach, aber mit erlesenem Geschmack ein-
gerichtete Rauni einer sogenannten Mannschafts-
stube. Die bekannte Atmosphäre von Stiefeltran
und Tabaksrauch verriet durch keinerlei fremde
Beimischung die Anwesenheit eines ungewöhn-
lichen Menschen und doch — mein Gefühl täuschte
mich nicht — der schlichte Krieger, der dort an,
Fenster sitzend mit Nadel und Zwirn den schad-
haften Hosenboden einer älteren Uniformgarnitur
auszubessern sich benrühte, er mußte cs sein!
„Böhnke?" stammelte ich in begreiflicher Ver-
wirrung, und ein breites Lächeln war die stumme
und doch so lcredte Antwort auf meine Frage.
Er war es! Der Mann, auf den zur Stunde

muß sie vorher haben. II. NI.

die Augen des Vaterlandes gerichtet sind, saß
vor mir! Der Augenblick war kostbar, eine Fülle
von Fragen drängte sich mir auf die Lippen.
Aber — war es angeborene Schweigsamkeit, die
ihm, gleich seinem älteren Genossen im Hclden-
buche der preußischen Armee, gleich Moltke,
eignete, oder nötigte den Vielumworbenen die
gegenwärtige exponierte Stellung zu einer ge-
wissen diplomatischen Zurückhaltung: es war fast
nichts aus ih,n herauszubckommcn. Rur das
vermochte ich festzustellen, daß Böhnke in seinem
Verhältnis zu alkoholhaltigen Getränken au Bis-
marck erinnerte, und daß seine wechselreichen Be-
ziehungen zur Frauenwelt eine unverkennbare
Ähnlichkeit mit der Lebensanschauung des jugend-
lichen Goethe verrieten. Im übrigen schien seine
Entwicklung, im Gegensatz zu der anderer großer
Männer, ohne wesentliche seelische Erschütterungen
und geistige Kämpfe sich vollzogen zu haben, bis
der historische Moment eintrat, der seinem Werde-
gang eine neue Wendung, seinem Leben ei» hohes
Ziel und einen bedeutenden Inhalt zu geben be-
stimmt war. Nicht ohne innere Bewegung blickte
ich in das Auge, dessen Falkenblick das Kleinod
erspäht, ans die wettergebräunte Faust, die es
gehoben hatte. Da tönten vom Kasernenhofe
die Worte eines Kameraden zu unserem Fenster
empor: „Biste denn noch uich fertig, olle Dunst-
kiepe? Nu mach dock endlich, Juste lauert draußen
uff dir!" Wie elektrisiert sprang unser Held ans,
das bisherige Phlegma schien plötzlich von ihm
gewichen, mit kurzem Gruß eilte er zum Zimmer
hinaus und die Treppe hinab. Als ich, von
tausend Gedanken und Empfindungen bestürmt,
aus dem Tore trat, sah ich ihn noch einmal, in
eine Nische der Kaserncnmauer gedrückt, in enger
Umschlingung mit einem wohlgeforiuten Mädchen
aus den dienenden Ständen. „Sein Herz ge-
hört dem Volke!" jubelte eine Stimme in mir,
„mögen die Mächtigen der Welt alle Ehren aus
seinen Scheitel häufen: die schlichte Wurst, die
er soeben in der hinteren Tasche seines llniform-
rockcs birgt, gilt ihm mehr!" So mag denn die
Wurst auch uns als der Ausdruck dessen gelten,
was die Tat .des Helden seinem Volke ist. j. s.
 
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