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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0325
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4550

Schneeschixxer.

Schnee! Dem Kroste knirschen kalt
Seine weißen Zähne.

Winter schüttelt mit Gewalt
Seine Klockenmähne.

Watteweich blühn fern und nah
Weiße Silberrosen.

Schnee! Der Arbeitstag ist da
Kür die Arbeitslosen.

Schnee! Wohl keinem von der Schar
Hat das Glück gesungen:

Jenen nicht im weißen Haar,
kleinem von den Jungen.

Jedem tat das Schicksal weh.

Reinem gab es Segen. . .

Buntes Volk, das hier im Schnee
Schaufeln muß und fegen!

Schnee! Ls hüstelt, stainpft und schlurrt,
Mit gekrümmtem Rücken
Schleicht es, wenn der Mund auch murrt,
Bücken heißt es, bücken!

Spaten klirrt an Spaten an,

Kernher klingen Morgenglocken
Und sie ziehen Mann an Mann
Reif im Bart, den Hut voll Klocken.

Schnee! Lin Graubart kommt getappt.
Dünn sind seines Rockes Maschen.

Hat den Rragen hochgeklappt
Und die Hände in den Taschen.

Hinter ihm ein andrer geht,

Dem noch nicht der Mut entschwunden;
Um den Hals das Tuch gedreht,

Glaubt er noch an besire Stunden.

Schnee! So schaut der Hunger aus.

So die Not und so der Jammer,
wenn sie ziehn von Haus zu Haus,
Bettelnd Brot vor jeder Rammer.
wie das hüstelt, stampft und schlurrt,
Mit gekrümmtem Rücken
Schleicht es, wenn der Mund auch murrt:
Bücken heißt es, bücken!

Schnee! Wohin die Hacke schwirrt,
Muß das Lis zerplatzen.

Wie der Spaten knirscht und klirrt
Und die Besen kratzen!

Hundert Käuste frostig-rot
Sich im Takte schwingen,

Denn der Schnee muß ihnen Brot
Brot des Lleuds, bringen!

Schnee! Das schüttet weiß und dicht.
Bäume, Dächer, Hallen
Schimmern blankes Silberlicht
Und die Klocken fallen;

Kallen, gleiten ohne Laut,

Sterne hier, dort zarte Rosen,

Haben Wälle aufgebaut:

Arbeit für die Arbeitslosen. Ludwig ressen.

Kottsistorialsihttttg.

Ort: Der Kapitelsaal des Benediktinerstifls in N.

Zeit: Die Gegenwart.

A b t M e l ch i o r: Geliebte Brüder in Christo, ich
habe euch zu einer dringenden Sitzung einbernfen.

Pater Max: Gilt es wieder die heilige Mission
zu beschicke:!? Oder ist eine Ordenspfarrei er-
ledigt worden?

Abt Melchior: Geduld, lieber Bruder, dein
Ehrgeiz und Glaubenseifer wird früh genug be-
friedigt werden. Vorläufig handelt es sich ui»
andere Interessen unseres Kapitels. Ich habe eben
eine Nachricht bekommen, derznfolge die Weizen-
ernte in den Vereinigten Staaten nicht gut ans-
fallen dürfte. (Er nimmt ein Telegramm aus denr
Gebetbuch.)

Prior Chrysostomus: Dafür waltet über
den Feldern unseres alten Stiftes sichtbarlich
Gottes Segen. Soweit das Auge reicht, erfreut
es sich an den goldenen Wellen des Weizens und
an der blinkenden Pracht unserer Reben. Ja,
liebe Brüder, ich glaube, cs wird ein Wcinjahr,
ein Weinjahr...

Abt Melchior: Jetzt heinist den reichen Er-
trag ein anderer ein, da wir unsere Weinberge
nach den traurigen Erfahrungen der letzten Jahre
in Pacht gegeben haben.

Pater Max: Wer weiß, ob es nicht besser
gewesen wäre, wenn mir dasselbe auch mit unfern

Äckern getan hätten. Früher habe ich auf der
Stirne unseres geliebten Abtes nie solche Sorgen
gelesen ...

Abt Melchior: Lies in deinem Brevier, ge-
liebter Bruder, anstatt auf meiner Stirne! Ver-
nehmt denn, was ich euch zu sagen habe: Die
Firma Cohn & Rosenberg informiert mich streng
vertraulich dahin, daß an der Terminbörse von
Chicago die Weizenpreise fallen ...

Pater Max: Dann beeilen wir uns selbst-
verständlich nnt dem Verkauf, um einen Verlust
von unsere:» Stift abzuwenden ...

Abt Melchior: Du bist noch jung, geliebter
Bruder, und ahnst noch nicht, was Differenzen
von einigen zwanzig Mark per tausend Kilograinm
bedeuten. Die Kirche soll mit der Zeit fortschreiten,
und so habe ich mich von der Firma Cohn & Rosen-
berg dahin unterrichten lassen, daß der Preisfall
des Weizens ein künstlicher sei, der sehr bald ins
Gegenteil Umschlägen wird, da die Roggcnernte
überall schlecht ausgefallen ist.

Mehrere Domherren: Unser Abt ist der
erleuchtetste, der je unser Stift geleitet.

Abt Melchior: Und so kann ich euch denn
die erfreuliche Mitteilung machen, daß wir mit
größter Sicherheit auf ein Steigen der Weizen-
preise rechnen können, wodurch unseren: Stift
ein großer Gewinn erwachsen wird.

Pater Max: Ich bekenne meinen Irrtum,
ehrwürdiger Abt, und bitte dich ob meiner Vor-
eiligkeit um Vergebung.

Abt Melchior: Mein geliebter Bruder und
Sohn, du siehst also ein, daß es jetzt im Gegen-
teil heißt, die Vorräte zurückzuhalten. Ja, Gottes
Segen ruht sichtbarlich auf diesem Stifte! Laßt
uns jetzt, nachdem wir einig geworden sind, zu
unseren: Schutzpatron, dein heiligen Sebastian,
ein Dankgebcr senden .. .! vr. ei.

Aus einem anthropologischen Vortrag

im Jahre 9000.

Professor: . Unsere Wissenschaft, meine

Herren, hat das Erstaunen der gebildeten Welt
durch die Sicherheit erweckt, mit der sie aus einem
Knochen, einen: Fußabdruck und dergleichen das
ganze vorsintflutliche Tier zu konstruieren ver-
mochte. Hier, meine Herren, haben Sie den Rest
eines in ostelbischem Boden ausgegrabene:: Ge-
bisses. Die raubtierartige Entwicklung der Backen-
zähne sowie der Umstand, daß in unmittelbarer
Nähe ein Sektpfropfen und eine halbe Austern-
schale gefunden wurden, lassen nnt Gewißheit den
Schluß zu, daß in der dortigen Gegend vor mehr
als siebentausend Jahren die Spezies der Junker
existierte. Sie waren sozusagen die Mammute
unter den Zweifüßlern...."
 
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