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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0337
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45G2

Hoch ragt der Turm; auf seinem Kranze steht
Lin stolzes Weib, das durch die Lande späht.

Frei um die Hüsten flattert ihr Gewand,

Das rote Banner schwingt die starke Hand;

Die rote Mütze keck das Haupt umschließt,

Von dem der Locken Pracht herniederfließt.

Kennt ihr das Weib, das Lied und Sage preist?
Ihr ahnet wohl, daß es die Freiheit heißt.

Vom Turme tönt sein allgewaltig Lied,

Das oft bewegt der Menschheit tiefst' Gemüt,

Vom großen Jahr, das endlich doch einmal
Bringt der Erlösung goldnen Morgenstrahl,

Der Finsternis und Sklaverei verscheucht
Und macht das Lrdenleben frei und leicht.

Ls lauscht das Volk bewegt dem hohen Klang,
Der sturmgewaltig zu ihm niederdrang.

Da plötzlich drunten an des Turmes Fuß
Mißtönig schallt ein andrer Neujahrsgruß.

Ls klappert, und es raffelt durch die Nacht
wer dieses häßliche Geräusch nur macht?

Seht das Gerippe, das der Gruft entsteigt
Und fleischlos dem entsetzten Blick sich zeigt!

Der hohle Schädel grinst, und grimmig ballt
Die Knochenfaust empor die Schreckgestalt.

Sie gröhlt mit ihrem grabesdnmpfen Ton:

,,Jawohl, ich bin die alte Reaktion!

„Ich steig' hinauf bis zu des Turmes Rund
Und stürze jenes Weib dort in den Grund."

Und hoch empor klimmt das Skelett mit Hast,
Schon hat -es Turmes Zinnen es erfaßt —

Da dröhnet „Lins!" die Glocke durch die Welt,
Und das Gerippe drunten liegt zerschellt. a.t.

Spießers Meujcchrswünsche.

Schlägt des Jahres erste Stunde,

Sitzt der Biedermann beim Punsch,
Und in frommer Zecher Runde
Tönt aus wohlgesinntem Nuude
Reujahrsgruß und Reujahrswunsch.

„Was das Schicksal hat beschieden
Uns im abgelauf'nen Jahr,

Preislich war's, wir sind zufrieden,
Möge alles doch hienieden,

Alles bleiben, wie es war!

„Mag der Himmel gnädig walten
Sb des Reiches teurem Wrack,

Der Minister lieben, alten
Teistdurchtränkten Uraftgestalten
Shn' und mit Zitatensack!

„Nag die Vbrigkeit uns führen
Durch der Zukunft dunkles Neer,

Nit erprobtem Elück regieren
llnd, wenn's möglich, sich blamieren
Sfter noch als wie bisher!

„Mag uns Rußlands Lieb' nicht rosten,
Das recht arg im Pfeffer sitzt,

Während es im kampfdurchtosten.
Blutgetränkten fernen Ssten
Unsre heil'gen Euter schützt!

„Und bewahr' vor Haß und Spotte,
Liebster Herrgott, mein Eemüt,

Abseits von der Aergler Rotte
Preis' ich Heer, Justiz und Klotte,
Zolltarif und Defizit!"

Also spricht der Abgeklärte,

Streichelt seines Bauches Speck,
Trottet weiter die bewährte.

Staatlich garantierte Zährte,

. Immer tiefer in den — Dreck. 5.8.

Der Bankier Hrawattenkniipfer & To.

an den Kabrikbesitzer Soldschlot & Lohn.

Alter Freund! Den Empfang Deines ge-
ehrten Gestrigen bestätige mit Gegenivärtigein.
Ich antworte umgehend, da auch mein Herz
von Sorgen massenhaft belastet ist und ich
mich nach einem mitfühlenden Busen sehne.
Was Du über die Berufswahl Edmunds,
Deines Jüngsten, schreibst, ist durchaus be-
rechtigt. Da er für das Geschäft geistig zu
mangelhaft fundiert ist und das Offizierkorps
die Annahme wegen seiner Schielaugen ver-
iveigert hat, bleibt leider nichts anderes übrig,
als zu studieren. Und auch darin stimme ich
ganz bei: Jura ist das rentabelste Studium.
In der Gerechtigkeitsbranche herrscht noch
immer Hausse. Was für eine solide Position
hat so ein Staatsanwalt in Oldenburg. Hi-
bernia ist fein, aber Lustige Sieben ist seiner.

Außerdem der unbeschränkte Kredit. Jeder
Kellner pumpt, jeder Gastwirt pumpt, alle
Referendarien und Assessoren müssen bluten.
Und wenn er Liebe für das Geschäft hat, kann
er buch noch als Oberstaatsanwalt einen
schönen Umsatz haben, denn auch das Pokern
ivirft inanche Stange Gold ab und ist dabei
strafrechtlich so ziemlich gesichert. Dazu die
Avancen für Deine Firma! Du weißt, wie
schwierig heutzutage für einen reellen Ehren-
mann das Geldverdienen ist. Wer die erste
Million ohne Zuchthaus zusammenbringt, kann
sich glücklich preisxn. Seit ich als junger,
heißblütiger Börsianer das Pech mit den vier
Jahren Plötzensee für Wechselfälschung gehabt
habe, bin ich peinlich vorsichtig und vielleicht

etwas übertrieben gewissenhaft geworden, und
abgesehen von den drei Monaten wegen Er-
pressung und der Wucherbagatelle inr vorigen
Jahre ist mir nichts mehr zugestoßen. Hätte
ich aber einen juristisch gebildeten Sohn ge-
habt, der mir in jedem Falle sagen konnte,
>vie weit mein Gewissen gehen durfte, so stände
mein angesehenes Haus heute noch viel glän-
zender da, und ich hätte die Schmiergelder
für die Kirchenbauten sparen können.

Vornehmheit ist mal Mode geworden und
auch wir älteren Geschäftsleute müssen den
herrschenden Vorurteilen Rechnung tragen.
Daher kommen meine Sorgen für Firma und
Familie. Dagobert, mein Ältester, ist mit der
Komtesse Eufemia von Eulenstein soweit einig,
aber der Alte macht Schwierigkeiten. Er ver-
langt als Anzahlung für sich eine Villa im
Grunewald und die Begleichung der Passiva
seines Sohnes, der bei der Gardekavallerie
konditioniert und mit Verlust gearbeitet hat.
Die Komtesse wäre meiner Firma als Schwieger-
tochter wertvoll, denn die Familie hat ff. Ver-
bindungen, und der Kommerzienrat ist mir
schriftlich garantiert, sobald das Geschäft auf
dem Standesamt und in der Kaiser-Wilhelm-
Gedächtniskirche perfekt geworden ist. Auch
kann ich ziemlich sicher darauf rechnen, daß
meinein Hause die Verwaltung von Schatullen-
geldern anvertraut wird.

Über die 45 — vierzig und fünf — Jahre,
welche die Komtesse zählt, und ihre zwei
Kinder in Rußland (nobel, von einem Groß-
fürsten) sieht mein Dagobert, der ein feiner
Kopf ist, gern hinweg: aber die Forderungen
des Alten sind zu groß, ich kann die Gelder
jetzt nicht aus dem Geschäft ziehen. Das Projekt
wird sich schwer realisieren lassen. Die einzige
Möglichkeit wäre, daß mein Dagobert sich selb-
ständig etabliert und zu Ostern eine gute Pleite
anmeldet. Dann könnte Pfingsten die Hoch-
zeit sein.

Dein treuer Krawattenknüpfer & Co.
 
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