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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0343
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Die Errungenschaften der letzten abenteuer-
lichen englisch-tibetanischen Expedition be-
schränken sich nicht auf politisches Gebiet
allein. Der nur spär-
lich bekannten ältesten
Geschichte des Landes
scheinen wesentliche
Bereicherungen bevor-
zustehen, wenn erst
die vielen von Oberst
Jounghusband photo-
graphierten Inschriften
entziffert sein werden.

Diese Inschriften zei-
gen von vorne herein
zwei Eigentümlichkeiten.

Sie sind erstens nicht
in die Steinplatten ein-
gemeißelt, sondern ge-
malt; zweitens brechen
sie, den sehr scharf-
sinnigen Zeitbestimmun-
gen nach, um das Jahr-
SSO v. Ehr. plötzlich
ab, wiewohl die alte
Dynastie noch vier Jahr-
hunderte länger ge-
herrscht hat. Man schrieb
diese befremdende Er-
scheinung einer gewal-
tigen Revolution zu.

Einem glücklichen Zu-
fall verdanken wir die
vollkommeneAufklärung
der Frage. Unter den
Dokumenten, die der
abgesetzte Dalai-Lama
nach China mitgenom-
men hat, befindet sich
eine alte Sanskritüber-
setzung der hinterlasse-
nen Papiere eines hohen
Staatsbeamten aus de»

Jahren S30—S03 v. Ehr.

Er berichtet, daß die
Fürsten die Gewohnheit
hatten, stets mit Farben-
topf und Pinsel aus-
zugehen, um die sich ih-
nen aufdrängenden Ge-
danken sofort an die
Mauern der Häuser zu
malen. Diese Inschriften
hatten dann Gesetzes-
Kaft. Der durch Wind
und Wetter drohenden
Zerstörung der könig-

Plap.-Ri.-Plap.-Ra. ----

lichen Stegreifedikte wurde vorgebeugt, in-
dem ein dem Fürsten folgender Minister die
Schriftzeichen mit einer an der Luft zu einer

unzerstörbaren Glasur erhärtenden Flüssigkeit
überzog. Diese Methode wurde durch mehrere
Jahrhunderte befolgt, bis der 29. König,
Plap-Ri-Plap-Ra, auf
den Thron gelangt war.
Dieser war so produktiv,
daß er nicht nur sämt-
liche freien Plätze an
den Mauern der Erd-
geschoße vollmalte, nicht
nur mit Hilfe von nach-
geführten Leitern die
Wände der höheren
Stockwerke bedeckte, son-
dern sogar eigene Stra-
ßen —Jnschriften-Alleen

— anlegen ließ.

Nun war aber, wie der

tibetanische Staatsmann
schreibt, der Inhalt der
fürstlichen Geistesergüsse
ein solcher, „daß er bei
den Mitlebenden Kopf-
schütteln erregte und ge-
eignet war, die Nach-
kommen allzugering von
den Fähigkeiten des
Sprossen göttlicher Ah-
nen denken zu lassen".
DerKronrat beschloß da-
her dem übertünchenden
Minister statt der die
Schriftzeichen erhalten-
den und schützenden
Flüssigkeit eine zerstö-
rende in den Topf zu
füllen, damit die ur-
sprüngliche Bedeutung
der königlichen Worte
nach wenigen Tagen
nicht mehr zu erkennen
sein möge.

Da sowohl der Fürst
als seine Nachkommen
stets ihren eigenen Nasen
nach wandelten, ohne je
nach rechts oder links
oder gar zurück zu blicken,
so konnte das neue Ver-
fahren ungestört aus-
geübt werden.

Und aus jener Zeit
stammt das tibetanische
Sprüchwort: „Heute so

— und morgen so, wie

eine Inschrift Plap-Ri-
Plap-Ra's." Frttz.
 
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