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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0007
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4575

Sittenkontrolle bei den Lalavorstellungen im Berliner Opernbause.

,@o jeht et nich, meine Jnädige, Se missen mehr herzeljen — det is hier Vorschrift."

Nobelfpäne. eT

Alle, die geschmückt mit Orden —

Also woll'n 's die Patrioten —

Sollen sich zum Kampf verbünden
Gegen die verhaßten Roten.

Ach, es wird uns schlimm ergehen,

Nah' ist uns're letzte Stunde,

Denn es sind des Staates Spitzen
In dem großen Ordensbunde.

Atmet auf, ihr braven Bürger,

Jetzo kommt die Weltenwende,

Denn das Mittel ist gefunden,

Das den Roten macht ein Ende.

Es braucht verflucht viel Narren zu einem geschätzten Publikum,
aber man findet sie immer.

Es muß manch armer Teufel sich
Den Gürtel enger schnallen:

Arbeit und Brot gebrauchen wir!

Hört überall man schallen.

Der Staatsmann spricht am grünen Tisch:

Mein Volk, sei nur geduldig,

Wir brauchen zunächst mehr Kavallerie
Und die bist du uns schuldig!

Wer früh aufsteht, verlängert sein Leben — und seine Qual.

Den Deutschen hangen viel Zöpfe hinten
Und sind auch im neuen Jahr dort zu finden.

Es ist oft ein ganzes Unglück, nur ein halbes Kamel zu sein.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

„Taktlos unö verwegen."

wenn Kongresse ehrerbietig tagen.

Um devote Bitten vorzulegen,
wird das keine stolzen Krüchte tragen,
Denn der Zar nennt's „taktlos und ver-
wegen".

Lang genug hat dieses Volk geblutet
In der Willkür der Despotensucht;

Lang genug ward dieses Volk gekantet
Und hat still in sich hineingeflucht.

Lerne, Russenvolk, lern' von dem gelben
Japan, wie man mit dem Zaren spricht.
Lagst du deine Meinung in derselben
Lprache, glaub's, er mißversteht sie nicht.

t§anz Europa gibt dir seinen Legen,
Lagst du Väterchen mal recht Bescheid,
wer in Wahrheit „taktlos und verwegen",
Lehrt ihn hoffentlich dann wohl die Zeit.

Lrich Mühsam.

Die Zukunft unserer Kolonien.

Das „Berliner Tageblatt" bringt von
einem Kenner der Kolonie Kiautschau eine
Darstellung, die in der Ansicht gipfelt, daß
unser ostasiatisches Hinterland eigentlich nur
als Badeort zur Erholung der Europäer eine
Zukunft hat, da das Klima geeignet erscheine,
Rekonvaleszenten Genesung zu verschaffen.

Dieser Gesichtspunkt ist durchaus nicht zu
unterschätzen. Man weiß, wieviel Geld in
Kurorten zurückbleibt, und das würde dann
alles der deutschen Reichskasse zufließen. Für
Leute, die an chronischem Schüttelfrost, kalten
Füßen oder ewiger Gänsehaut leiden, wäre
gewiß ein Aufenthalt in unseren südafrikani-
schen Besitzungen, zum Beispiel in Okohandja
oder Usambara sehr zuträglich. Und was unsere

sonstigen Kolonialplätze betrifft, so sind sich die
Arzte bekanntlich über die hygienische Wirkung
des Landes — Sandbäder, Abreibungen mit
Sand — zur Beförderung des Blutkreislaufes
längst einig. Wenn also die Sozialdemokraten
und sonstige Nörgler uns Deutschen unsere
teuer erworbenen „Plätze an der Sonne" ver-
leiden wollen — eine ärztliche Empfehlung der-
selben wird alles wieder gut machen.

Darum keine Besorgnis! Mit einem bißchen
Kurtaxe werden wir schon die verpulverten
Millionen wieder herausholen. Ei.

Piefke: In die höheren Rejionen klagen
se immer mehr ieber den Mangel an jute
Dienstboten.

Lehmann: Det is ooch keen Wunder nich.

Piefke: Wieso meenste det?

Lehmann: Na, det kommt eben von den
Niederjang der nationalmiserabelen Partei.

Piefke: Det stimmt, die hatte de Bedienten-
haftigkeit in Erbpacht jenommen!

Mißverstanden.

Sie: Mir fehlt Verschiedenes, das ich zum
Anziehen brauche.

Er: Tja, das bringen die Jahre so mit sich.

Lieber Jacob!

Der jroße Ballien von deHamburg-Amerika-
Linie hat sich wieder mal de Schurnalistik an-
jenommen. Frieher ließ er man bloß de Redak-
tere von de birjerlichen Zeitungen uff seine
Kosten Jratisverjniejungsturen mit Scham-
panjer un Austern unternehinen, wofor er ja
bekanntlich bis uff'n heitijen Dag 'ne jewaltije
Hochachtung bei de effentliche Meinung jenießt.
Neierdings beferdert er aber ooch in de koulan-
teste Weise de wenijer bemittelten „Vorwärts"-

Redakteere von Tilsit bis Hamburg. Austern
un Schampanjer jab et allerdings nich dabei,
un de Reise war ooch nich jratis — aber dafor
dirfte se sehr lehrreich jewesen sind, un de
Hochachtungsbezeijungen kriegt der mildtätije
Jönner jetz täglich schwarz uff weiß zu lesen,
wobei det dickste Ende noch Nachkommen wird.
Ei weih!

Jeberhaupt hat det soeben verflossene Fest
der Liebe wieder 'ne janze Menge von Beweise
christlicher Tugenden zu Dage jefördert. Trotz
de starke Konkurrenz uff dieses Jebiet is doch
noch immer Dresden der Hauptstapelplatz for
echte deitsche Moral un Sittlichkeit. Mehrmals
wollte in de letzte Zeit det Laster hier seinen
Jnzug halten — aber immer war et schließlich
Essig. Dem sehr frommen un konservativen
Ratsassessor un Hauptmann a. D. Ackermann
hatten se von wejen dem in hehre Kreise so
beliebten Parajrafen hundertfimfunsiebzig bei
de Hammelbeene jekriegt, un man jloobte schon,
diese erprobte Stitze der juten Jesellschaft
wirde alle werden — da stellte sich mit een-
mal 'raus, det der Mann bloß 'n bisken bräjen-
klietrig is un der Staatsanwalt ihn daher nischt
anhaben kann. So wurde de Tugend in Dresden
jerettet. Zu'n heilsten Abend erschien denn
die wejen nich jeniejende Vorsichtigkeit pen-
sionierte sächsische Kronprinzessin uff de Bild-
fläche, weil se ihre Kinderkens jerne besuchen
wollte. Aber schon war de janze Pollezei zur
Stelle, un mit Horridoh jing et 'raus aus det
fromme Schloß un aus de fromme Stadt! So
wurde de Tugend in Dresden zum zweeten
Male jerettet. Un det allens kurz vor Weih-
nachten, wo die mehrsten Menschen mit Boom-
putzen und sonst so ville anderes zu tun haben,
det se zu de Pfleje von de wahre Nächstenliebe
jar keene Zeit nich haben!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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