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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0019
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• 4587

Chinese: Siehst du, Iwan, so wie du werden einst alle Europäer wieder
hinaus-gepachtet werden!

M noveWäne. eT

Die russischen -Ober-Kosaken,

Die lassen nicht vom Zops,

Sie wollen von neuem packen
Das Volk an seinem Schopf.

Wenn meine Späne fliegen
Und heiß der Zorn mir wallt,
Denk' ich: euch möcht' ich kriegen
So recht mal in meine Gewalt.

Den alten Despotismus,

Der knechten will aufs neu,

Des Zaren Absolutismus,

Den sägt' ich mitten entzwei!

In Berlin empfindet man seit einigen Tagen einen durchdringen-
den Geruch, der vielen vornehmen Leuten auf die Nerven fällt. Die
Memoiren des Herrn von Hammerstein kündigen sich an.

Der Herr Finanzminister
Empor zum Himmel schaut:
Wie blinken doch die Sternlein
So golden und so traut!

Könnt' ich sie alle münzen.
Das war' der rechte Schritt,
Dann könnt' ich endlich tilgen
Einmal das Defizit!

Solang ich nicht erreiche
Die Sternlein droben so schön,
So lang bleibt leider hier unten
Das Defizit bestehn.

Der russische Admiral Roschdjestwenski soll die Absicht geäußert
haben, schleunigst in die Nordsee zurückzufahren, denn dort, meint
er, ist leichter mit den japanischen Torpedobooten fertig zu werden
als im gelben Meer. Ihr getreuer Säge, Schreiner.

3m russischen Staatsrat.

Ein Staats rat: Meine Herren, die neue
Verfassung ist fertig.

Minister für Volksaufklärung: Ich
protestiere gegen die Verfassung.

Der Staatsrat: Aber Sie müssen sich
doch die Verfassung erst ansehen.

Minister für Volksaufklärung: Ich
protestiere gegen jede Verfassung.

Der Staatsrat: Aber dieselbe beruht auf
alten bewährten Grundsätzen, die der Herr
Minister selber-

Minister für Volksaufklärung: Zum
Te>lfel mit Ihrer Konstitution! Sie sind ein
Rebell!

Der Staatsrat: Aber ich habe doch den
Auftrag . . .

Minister für Volksaufklärung: Und
wenn Sie zehn Aufträge hätten — ich prote-
stiere!

Der Staatsrat: Und ich entledige mich
meines Auftrags. (Er legt eine Knute auf den Be-
ratungstisch.) Hier ist die neue Konstitution ...

Minister für Volksaufklärung: Ich
ziehe meinen Protest zurück und bin bereit zu
prüfen, ob diese Verfassung für die Zwecke der
Volksaufklärung nicht doch zu gebrauchen ist.
(Im Staatsrat herrscht nunmehr völlige Einigkeit.)

Nach mititärgerichtlicheu! Ne;ept.

Ein Ehemann fand bei seiner unvermuteten
Heimkehr das Schlafzimmer versperrt. Nils
seine Frage belehrte ihn das Dienstmädchen,
daß soeben der Hausfreund Leutnant Spritt-
witz bei der Frau Gemahlin sei.

Der Eheherr forderte nunmehr entrüstet Ein-
laß, da teilte ihm der Hausfreund durch's
Schlüsselloch mit, daß wegen Gefährdung mili-
tärischer Interessen die Öffentlichkeit vorläufig
ausgeschlossen zu bleiben hätte. . . .

Kloßselcher.

„Da lese ich immer, daß sich die Frauen zu
wenig am öffentlichen Leben beteiligen. Ich
ivür' wirklich froh, ivenn meine Alte sich aus-
schließlich öffentlich betätigen ivollte, daß ich
daheim endlich meine Ruh' hält' vor ihren
Reden!"

Lieber Jacob!

De Kultur jetzt barbarsch vorwärts un ooch
Berlin wird pöh a pöh immer feiner. Del
Scheunenviertel wollen se abreißen un in't
neie Jerichtsjebeide haben se seit Neijahr sojar
'nen „Warteraum forPersonen besserer Stände"
injericht't. Et kam nämlich in de letzte Zeit
ziemlich heifig vor, bet erstklassije Menschen,
die manchmal ooch bei Hofe verkehren tun, in
allerhand zweideitliche Prozesse vernommen
iverden mußten. Die blieb denn da nischt
anderes iebrig, als mang all die Zeijen niederer
Herkunft uff'n Jang git warten, bis de Reihe
an ihnen kam, ihre Zeijnngskraft zu betätijen.
Det paßt sich natierlich nid), un der vierte
Parajraf von de preißische Verfassung, welcher
heeßt: „Alle Preißen sind vor det Jesetz jleich,
Standesvorrechte finden nich statt", mag for
jene jrane, mittelalterliche Zeiten zutreffend
jeivesen sind — in de kultivierte Jejenwart
is er ieberlebt. Det kann bloß 'n jewerbs- un
jewohnheitsmäßijer Nergler un Miesepeter zu
bestreiten de Taktlosigkeit un Frechheit haben.
Un da nu mal in unsere Justiz de Reformen
schon sehr neetig jeworden sind, so war et weise,
det de Berliner Jerechtigkeitsverwaltung da-
mit jleich bei't richtije Ende anfing. Also det
Proletariat wird in Zukunft nich mehr die
Ehre haben, in det Jedränge der Jerichts-
korridore von de höheren Stände uff de Hiehner-
oogen jetreten zu werden. Det is schmerzlich,
aber nich zu ändern.

For de Inwohner von unsere Strafanstalten
bestand 'ne „jesunde sozjale Jliedernng" ja

Jott sei Dank schon lange. Der jemeene Streik-
posten kommt in't Jefängnis un derf sich mit
Tietenkleben un Wollekrempeln 'n Vermeejen
verdienen, während der wejen Abmurksung
von eenen Unterjebenen verurteilte Fähnrich
uff de Festung durch Sekttrinken un Austern-
fressen zu jroße un drickende Ausjaben sich
jeneetigt sieht. Aber ooch de Hinrichtungen
wird man in Zukunft standesjemäßer arran-
schieren missen. Wie ick höre, hat Bejas be-
reits den Ufftrag bekommen, in den patriot-
schen Siejesalleestil 'n Schafott for prinzliche
Kolonjalmörder zu entwerfen. Et soll in den
Lichthof von de Ruhmeshalle uffjestellt
werden.

Aber nich bloß de Kultur in't alljeineene,
sondern ooch de Jntellejenz in't besondere
breitet sich immer mehr aus. So sind zum
Beispiel zum ersten Januar sämtliche „Post"-
Redakteere mit eene eenzije Ausnahme jekindigt
worden, wodurch nu 'ne jewaltije un verhee-
rende Jeberschwemmung an Wissen un Bil-
dung sich ieber det janze Vaterland verbreiten
wird. Ferner sollen de Hundewagen in Berlin
abjeschafft werden. De Pollezei meent nämlich,
de Eselpreise sin jetz so runner jejangen, det
de Hundeequipascheubesitzer keene Ausrede von
wejen finanzielle Unmeeglichkeit nich mehr
haben. Un drittens sollen de deitschen Klas-
siker in de nächste Zeit durch de Herausjabe
von den janzen Nachlaß des hochselijen Frei-
herrn von Hammerstein vermehrt werden. Ooch
alle Briefe v on sein e konserv ativ en Busenfreind e
vor un hinter det Zuchthaus werden darin
enthalten sind. De frohe Atlssicht uff den
Jenuß von diese Lektiere soll mehrere hoch-
jestellte Staatsstitzen schon so uffrejen, det se
nachts nich mehr schlafen kennen un sich vor-
jenommen haben, in ihren janzen Leben keenen
eenzijen Brief nich mehr zu schreiben!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jott hilf Rauke

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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