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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0022
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4590

Aus Ungarn.

Franz Josef: Heiliger Florian! Diese adligen Umstürzler bringen meinen Thron noch ärger
ins Wackeln, als die plebejischen!

Der Selbstmörder.

Hans Robert Gröhlke stand im fünfund-
zwanzigsten Lebensjahre, als seine Eltern von
ihm Abschied nahmen und sich auf den nächsten
Friedhof zurückzogen; nicht ohne daß sie ihm
ein warm ausgefüttertes Nest zurückgelassen
hätten.

Hans Robert Gröhlke überlegte nun, wie
er sich seinen weiteren Lebenslauf einrichten
wollte, und kam schließlich zu dem Entschluß,
auf Reisen zu gehen. Nachdein er sein Ver-
mögen bei der Hofbank Ihrer Durchlaucht der
Erbprinzessin von Schlippstädt deponiert hatte,
verschwand er aus den deutschen Landen und
trieb sich in fremden Weltteilen umher, bis
wieder einmal das deutsche Gemüt sich in ihm
regte und ihn zur Rückkehr in die Heimat
bewog.

Er kam in der Reichshauptstadt grade zur
rechten Zeit an, um — es war im Jahre 1910 —
zu erfahren, daß die Schlippstädter Hosbank
soeben falliert hatte und er ein armer Mann
geworden war.

Hans Robert Gröhlke war im Laufe der
Jahre ein Philosoph geworden. Geld hatte
er keines — arbeiten wollte er nicht. Er kam

daher mit sich überein, aus diesem Erdental
zu scheiden und eine» Selbstmord zu begehen.

Kurz entschlossen betrat er den nächsten
Waffenladen, um für die wenigen Silberlinge,
die ihm noch geblieben waren, einen Revolver
zu erstehen. Bald hatte er aus der Menge
der Mordwaffen ein ihm geeignet scheinendes
Schiestinstrumentherausgefunden.Schonwollte

er es käuflich erwerben-„Darf ich um

Ihren Erlaubnisschein bitten?" sprach da je-
doch der Verkäufer.

„Was? Erlaubnisschein?"

„Na, Sie müssen doch einen Erlaubnisschein
haben, wenn Sie sich mit einer Waffe ver-
sehen wollen", sagte der junge Mann. „Sie
werden doch wissen, daß nur derjenige in
Deutschland Waffen besitzen darf, der zehn
Jahre am Orte wohnt und Mitglied des Krieger-
vereins ist!" —

Hans Robert Gröhlke verzichtete auf eine
Antwort und verließ stumm den Laden.

Mit dem Erschießen war's also nichts. Sich
mit der Schärfe des Messers den Lebensfaden
abzuschneiden, behagte ihm auch nicht. Erhielt
etwas auf reine Wäsche —

Vielleicht konnte er sich überfahren lassen.
Die elektrischen Straßenbahnen sollten ja in

dieser Beziehung Großartiges leisten. n»d da
ein derartiger Kasten grade heranbrauste, legte
sich Gröhlke schnell quer über die Schienen.
Doch er hatte die Rechnung ohne die tech-
nischen Fortschritte der letzten Jahre gemacht.
Sanft fühlte er sich emporgehoben und in ein
breites Drahtnetz am Vorderperron des Wagens
geschüttelt, in dem schon zwei andere „Ver-
unglückte" seiner harrten und ihn zu einem
gemütlichen Skat einluden, da die Leerung des
Fangnetzes erst im Depot erfolgte.

Als er wieder frei war, warf sich Gröhlke
vor ein Automobil. Doch das benzinfreffende
Ungeheuer, das mit elastischen Gummireifen
versehen war, fuhr elegant über ihn hinweg,
ohne ihm den geringsten Schaden zuzufügen.
Nur ein Kitzeln in der Magengegend und ein
unerträglicher Benzingeruch erinnerten ihn
daran, daß er „automobilisiert" worden war.

Verstört schlich Gröhlke durch die Straßen
der Metropole. So schwer hätte er sich einen
Selbstmord nicht vorgestellt. — Gott sei Dank!
Da war ja die Spree; daß er nicht gleich
daran gedacht hatte. Und hupp! stand er schon
auf dem Ufergeländer und tat den verhängnis-
vollen Sprung in die Ewigkeit!--

Als er wieder zu sich kam, sah er sich auf
dem Verdeck einer der zahllosen Schifferkirchen,
welche die Spree erfüllen und die es jedem Selbst-
mordkandidaten einfach unmöglich machen, den
ersehnten Tod zu finden.

Jetzt kam Gröhlke ein rettender Gedanke.
Er wollte sich im Grunewald an eine junge
Fichte hängen und auf diesem nicht mehr un-
gewöhnlichen Wege aus dem Dasein scheiden.

Nachdem er sich mit einem handfesten Han- .
fenen Stricke versehen hatte, bestieg er den
nächsten Stadtbahnzug und fuhr dem alten
ehrwürdigen Waldgeläude zu. „Station Grune-
wald!" rief der Schaffner. Gröhlke verließ
den Wagenabteil und stand auf dem Bahn-
steige. Ja, ivo war nun der Grunewald?
Nichts wie Häuser und freie Landstrecken
waren zu erblicken. Unruhig geworden, wandte
er sich an einen Bahnbeamten: „Sagen Sie
mal, wie komme ich denn in den Grune-
wald?"

„In den Grunewald?" lachte der. „Ja,
Männeken, da hätten Sie drei Jahre früher
kommen müssen. Der ist vom Landwirtschafts-
minister inzwischen abgeholzt worden. Davon
ist kein Strauch mehr da!"

In sich gekehrt fuhr Gröhlke in die Reichs-
hauptstadt zurück. War es so schwer, das
bißchen Leben von sich zu werfen?

Ein roter Anschlag an den Plakatsäulen
rief seine Aufmerksamkeit hervor. Er trat
näher. „248. Truppennachschub nach Afrika —
Hottentotten - Sansibar - Kamerun - Togo - Krieg
— usw. usw." Ein Lichtstrahl durchzuckte sein
Hirn. Hier war ihm Gelegenheit geboten, im
Kampfe gegen wilde Völkerstämme ruhmvollen
Tod fürs Vaterland zu finden.

Acht Tage später war er auf dem Wege
nach Afrika, wo er nach dreiwöchiger Fahrt
kampfesmutig eintraf.

Er kam aber nicht dazu, die Kugeln der
„schwarzen Bestien" pfeifen zu hören — drei
Tage nach seiner Ankunft war er schon im
Hauptlazarett an Typhus gestorben.-

Sein Wunsch war endlich in. Erfüllung
gegangen. H. Frenz.

Splitter.

Ein Staatsanwalt ist ein Mensch, der durch
seine Anklagen, die er wegen Majestätsbeleidigung
und Gotteslästerung erhebt, ungestraft alle Arten
von Majestätsbeleidigung und Gotteslästerung
selbst begehen darf.
 
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