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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0038
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Echte Freundschaft.

„Majestät, hier liegt unser bester Freund, er hat sich aus Lochachtung
für uns in Wohlgefallen aufgelöst."

Die wunciersame Errettung Berlins.

Na — da hatten wir ja glücklich den Salat!
CSS war alles eingetroffen. Aber so geht es,
wenn man nicht auf seine Fürsten hört. Da-
mals, vor langen Jahren glaubte keiner an
die gelbe Gefahr. Und die Völker Europas
schimpften auf ihre von Gott verordnete Obrig-
keit, statt aus ihre heiligsten Güter aufzupassen-

Mütterchen Rußland hatte Pleite gemacht.
Die Masse bestand aus einigen tausend Qua-
dratmeilen Sand mit halbverhungerten Men-
schen drauf und Schulden von erheblichem
Betrage. Da brach das Unglück herein über
das Abendland, dem sein gewohnter Kultur-
damm fehlte.

Die Chinesen machten mobil, und als alles
beisammen war, zogen sie gen Westen, vier-
hundert Millionen stark, die Kaiserin-Witwe
auf dem Staatsdrachen vorneweg.

In der Reichshauptstadt herrschte Panik.
Man fing Ratten, junge Hunde und Fliegen,
um die Mongolen durch ihr Leibgericht zu
besänftigen.

Hannibal ante portas — zittere, Berlin!!

Die gelben Horden mußten schon ganz nahe
sein, weil der Stationsvorsteher von Bernau,
der eben noch um Hilfe telephoniert hatte,
jetzt auf einmal schon chinesisch sprach. Es
war fünf Minuten vor Mitternacht. In diesem
ernsten Zeitpunkt rang ein heiliger Mann in
stillem Gebet: der Freiherr von Mirbach. Sein
verzeihendes Herz empfand keine Spur von
Groll mehr gegen die, so ihn damals schnöde
hatten fallen lassen, als die Sache brenzlich
wurde . . . sondern christliches Mitleid trieb
ihn, den Gerechten wie den Ungerechten zu
helfen.

„Lieber Gott im Himnrel — erhalte uns die
liebe preußische .Regierung am Leben. Unsere
liebe Dresdener Bank gibt auch sicher unge-
treten hunterttausend Mark für die nächste
Dankkirche, wenn der lange Möller noch ein
Jahr Minister bleibt. Auren."

Dumpfe Schläge-von allen Türmen

schlug die Geisterstunde ... elf . . . zwölf!

Da ging ein Sausen und Raunen durch
die Luft, vom Görlitzer Bahnhofe bis hinüber
zum Wedding. Ein seltsames Treiben erhob
sich auf Plätzen und Brücken, in der Sieges-

allee und wo es sonst noch Denkmäler gab.
All die Gestalten aus Stein oder Erz reckten
und dehnten sich, gähnten furchtbar, und dann
kletterten sie unbeholfen herunter von ihren
Sockeln: Künstler, Gelehrte und Dichter; Mark-
grafen, Kurfürsten und Könige mit ihren Ge-
neralen, Hofjuden und Kanzlern, sowie das
niedere Volk der Rossebändiger, allegorischen
Damen und Meergreise. Schwer klirrend mar-
schierten sie daher, in stetig wachsender Menge
die Greifswalderstraße entlang, ausdie Chaussee
nach Weißensee hinaus. Zwar lag hier offen-
bar ein nicht angemeldeter Umzug vor, aber
die Schutzleute bekreuzigten sich vor der un-
heimlichen Kolonne oder machten Front, je
nachdem sie katholisch oder protestantisch waren.

Auf dem Felde zwischen Weißensee und
Heinersdorf erwartete die Kolonne den Feind.
Die Anordnungen traf der Rauchsche alte Fritz,
und zwar auf Grund der Taktik von 1760, was
bei verschiedenen hohen Militärs jüngeren Da-
tums ein bedenkliches Kopfschütteln erregte.
Auch geriet er in lebhafte Meinungsverschie-
denheiten zu einem älteren, römisch gekleideten
Herrn, der alles besser wußte und behauptete,
er sei der große Kurfürst von der Langen Brücke'
und habe bloß seine Perücke verloren. Endlich
stand die Kavallerie im ersten Treffen und die
Infanterie im zweiten, während man die Ge-
lehrten, Künstler und Dichter zur Reserve ab-
schob. Nur mit den Markgrafen und Kur-
fürsten aus dem Tiergarten hatte die Leitung
ihre liebe Not. Das waren selbstbewußte
Leute, jeder mit einer besonderen Beinstellung.
Erst als Herr Roland mit der eisernen Faust
dazwischen fuhr, gaben sie Ruhe.

Stockfinster war es noch — gegen vier —,
als sich ein Summen und Klingen vernehmen
ließ, fern aus dem Nordosten. Bald steigerte
es sich zu mächtigem Dröhnen, zahllose Fackeln
blitzten durchs nächtliche Dunkel, die Erde

bebte vom Gestampf und-da kamen sie,

die Nachkommen Tamerlans und Dschingis
Khans... ein brüllendes Meer!-

Die Taktik von 1760 versagte komplett. Bevor
es überhaupt losging, waren Dichter, Gelehrte
und Künstler schon ausgerissen. Dann kam die
Reiterei, deren Pferdematerial keine Disziplin
im Leibe hatte, weil es an verrückte Haltungen
gewöhnt war. Zuletzt das Fußvolk — nur

konnte es nicht so schnell mit. Es verlor Neu-
Weißensee und die Gasanstalt. Bei der Ring-
bahn erst wurde Halt gemacht, um letzten
Widerstand zu leisten. Der alte Fritz lief
herum wie ein zorniger Löwe und gab dem
großen Kurfürsten die Schuld, bekam aber zu
hören, daß er die Kavallerie in die Mitte hätte
nehmen müssen, statt nach vorne- Ein Murren
ging durchs ganze Heer. Dem fehlte ein Sporn,
jenem die Helmspitze — und dem Kurfürsten
Johann Cicero gar ein Schuh. Bei alledem
war es bald sechs Uhr. Dann hatte die Geister-
herrschaft ein Ende, weil sie beim ersten
Sonnenstrahl auf ihren Postamenten zu sitzen
hatten.

Ein neuer, wilderer Ansturm der Mongolen
zwang sie zur Aufmerksamkeit, aber sie kamen
nur noch immer ärger ins Gedränge. Da
funkelten die Waffen bereits vom ersten gol-
denen Schimmer des ausgehenden Sonnen-
balls. Die Farbenpracht der Morgenröte
erlosch hinter quellendem Licht.

„Schluß!" rief Friedrich II. — — — —

Es war zu spät, um nach Hause zu kommen.
Ihre Glieder fühlten sich an wie Blei: die
Rückverwandlung begann schon. Alles sah
sich nach passenden Sockeln um — stöhnend
und fluchend stieg man auf das, was sich
gerade bot: auf niedrige Bäume, Lauben,
Misthaufen und gekippte Lowries. Die Sieges-
allee postierte sich am Bahndamm entlang ...
ihre Fürsten nahmen die charaktervolle Bein-
stellung wieder ein, und neben ihnen hockten
sich Kanzler, Hofjuden und Generale nieder.

Hell strahlte der Tag. Vierhundert Millionen
Ostasiaten reckten ihre Hülse und staunten die
Bescherung an. So etwas gab es bei ihnen
nicht, trotz vieltausendjähriger Geschichte. Auch
die Kaiserin-Witwe riß Augen, Mund und
Nase auf. Dann kreischte sie schrill, warf ihren
Drachen herum und jagte davon. Sie war
plötzlich meschugge geworden. Mit ihr wandte
das halbe Heer die Rosse und floh entsetzt
gen Osten. Sie hatten genug von der Kultur
des Abendlandes.

Die andere Hälfte geriet in Kriegsgefangen-
schaft, weil sie sich fortwährend übergeben
mußte. —

So wurde Berlin, Preußen, Europa gerettet.

Sous-Marin.
 
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