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4611

Der russische Doppeladler

©s ftoPelfpäne. t®

Viel tausend Philister schreien allhie:

„Für die Bergleute habe auch ich Sympathie
Und will ihnen gern meinen Obolus schenken,

Nur dürfen sie nicht politisch denken." . . .

Da weiß ich nicht: sind das Pharisäer
Oder nennt man sie Manichäer?

Eins aber weiß ich mit Sicherheit:

Philister bleibt Philister zu jeder Zeit!

Der Papst verdammt die Ketzer und das Zentrum plätschert
vergnüglich im Strom der „Toleranz" — fürwahr, man braucht, um
Komödie spielen zu sehen, keineswegs erst das Theater zu besuchen.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

im Kampf gegen den inneren und äußeren Feind.

Als laut die Rattenfängermelodie
Des Friedenszaren durch die Länder rauschte,
Da lachte auf in seltner Harmonie
Wohl alles Volk, das dieses Lied erlauschte.

Und doch gebührt der Titel „Friedenszar"
Dem Reußenfürst, wie keinem je hienieden;
Denn schier unzählbar ist die Menschenschar,
Der gnädig er verhalf zum — ewigen Frieden.

Das „Nullen" könnte segensreich wirken,
wenn man es nur richtig anwenden würde.
Wie wär's, wenn einem Minister, der un-
brauchbare Arbeit leistet, sein Gehalt „ge-
nullt" würde? Der Anfang wäre mit dem-
jenigen zu machen, der für Deutschlands herrliche Kolonialpolitik
verantwortlich ist.

„Guten Tag, meine Kinder!"

Zu seinem Volke spricht der Zar —
Jahrhundert, höre und staune!

Das rinnende Blut hat ihn gebracht
In eine fürtreffliche Laune.

Eh noch sein kaiserliches Lirn
Den ganzen Jammer begriffen.

Lat er in Zarskoje Selo sich eins
Vergnügt zum Frühstück gepfiffen.

Und als sich unter Kosakensaust
Todwunde krümmten in Qualen,

Trank er den Kaisergeburtstagstoast
Aus schäumenden Sektpokalen.

Väterchen hat wohl kaum gewußt.

Wie von tausend Schmerzen beklommen
Sein wehrlos Volk mit Kreuz und Bild
Zu seinem Throne gekommen. . . .

Väterchen hat wohl kaum gehört.

Wie scharf seine Schergen geschossen
Er hat in diesem Jahre früh
Die Sommerfrische genossen.

And daß nicht etwa ein frecher Spatz
Am rotaufdämmernden Morgen
Verbotne Lieder ins Ohr ihm säug'.

Das waren Lerrn Trepows Sorgen.

Lerr Trepow ist ein kluger Mann:

Er läßt die „wahrhaft Frommen",

Die „Ausgewählten" der Arbeiterschaft
Vor Väterchens Augen kommen.

Sie küssen ihm kniend den Staub vom Fuß,
Sie wünschen ihm Leil und Leben.

Zu seinem Volke spricht der Zar —

Lerr Trepow steht daneben.

Zu seinem Volke spricht der Zar
Im Kreise seiner „Getreuen":

Er will die ruchlose Freveltat
Ihm väterlich verzeihen.

Der Frauen und Kinder schuldlos Blut,
Ihr hingeopfertes Leben,

Das alles will der gütige Zar
Dem irrenden Volk vergeben. . . .

Lerr Trepow ist ein kluger Mann,

Er weiß, wie die Bären brüllen:

Er läßt in der Schenke nebenan

Die Wutkhgläser füllen. Klara Müller.

Lieber Jacob!

Et jibt in diese uffjeregten Zeiten nischt Er-
habeneres nich, als wie so 'n liberalen Rentjeh.
Uff de eene Seite hat man 'ne volle un janze
un unentwegte Bejeisterung for de russische
Revoluzjon, un uff de andere Seite hat man
aber doch ooch russische Anleihe in't Jeld-
spind. Man jrault sich nich in't jeringste
davor, sich mit so 'ne wilde un todesmutije
Freiheitskämpfer zu verbinden, wie Masse seine
Redakteere sind, um Jorki'n vermittelst Zei-
tungsuffrufe un Sonntagnachmittagsversamm-
lungen tollkiehn aus de Klauen von de
Tyrannei zu entreißen. Man schwärmt sor
Gapon un bedauert schmerzlichst, det de
Kosacken in Petersburg un in Warschau so
ville friedliche Birjer, inklusive Frauen un
Kinder, dotschießen — aber de Schwärmerei
un det Bedauern wird doch janz jewaltig
jemäßigt, wenn man eenen Blick uff seine
russischen Papierkens wirft. Gapon is 'n
Jemiet, aber wat kann er de Beerse jaran-
tieren? Nischt. Un da wirkt et denn doch
ooch uff'n entschieden freisinniget Herz wieder
beruhijend un wohltuend, wenn et sich sagen
kann, det in Petersburg so 'n sicherer Mann
wie Trepow nach det Rechte sieht. Der Massen-
mord is ja jewiß un wahrhaftig beklagens-
wert — aber die paar Märker, die man for
de Hinterbliebenen von die Opfer zeichnet,
werden durch de Zinsen von de russische
Kosackenanleihe ja reichlich wieder uffjebracht.
Ick sage nochmals, et jibt nischt Erhabeneres

nich, als wie so 'ne liberale Weltanschauung,
die jedem Zweifel un Zwiespalt leest un dem
Freiheitsdurscht durch dem Dividendenhunger
zu stillen versteht. Det soll ihn mal sonst
eener nachmachen!

Im iebrijen is de Furcht von unsere Kon-
servativen, det der jroße russische Uffstand
ooch bis Berlin seine Wellen schlagen kennte,
leider durchaus berechtigt. Een erster Zu-
sammenstoß fand bereits uff'n Lustjarten statt,
wo de Pollezei dem Versuch jemacht hat, die
dort seit Jahrhunderten ansässijen Wurscht-
frauen zu vertreiben. Obwohl die An-
jejriffenen völlig unbewaffnet waren, haben
se sich doch sehr enerjisch zur Wehr jesetzt, un
et is leicht meglich, det se den Sieg davon-
tragen.

Bei den Kampf haben wenijer pollitische
als wie rein relijieese Momente mitjespielt,
indem det de bevorstehende Ereffnung von den
neien Dom den Anlaß jab. Ob det Polle-
zeipräsidijum meente, det wahres Christen-
tum un warme Würschtchen sich nich mit-
einander vertragen, oder det der Wurscht-
jenuß de Jleibijen von den Besuch des Jottes-
hauses ablenken kennte, oder det de Fassade
von de neien Dom den ästhetischen Verjleich
mit de Front von de Wurschtweiber nich aus-
halten wirde — det weeß keen Mensch nich.
Aber de Weisheit der Pollezei is unerjrind-
lich un unerschöpflich un et ziemt sich nich
for eenen sterblichen Jeist, in ihre Tiefen
rumzupolken. Jedenfalls mechte ick mir er-
looben, de „Post" un de „Kreizzeitung" druff
ufsmerksam zu machen, det se beizeiten det
enerjische Jnschreiten der bewaffneten Macht
verlangen. De Hottehühkessel uff'n Lustjarten
sin de Herde von de kommende Revoluzjon
— aber Jott Lob und Dank: det Ooge des
Jesetzes wacht un de Alexandrinerkaserne is
nich weit entfernt!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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