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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0067
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es Zweite Beilage zum wahren Jacob Nr.^86. eZ>

®s Zum Code des ßroßfürfteti Sergius, z®

Als nahm' ein Lnde nie der Faschingswahn,
So tanzten rasend sie auf dem Vulkan.

Für eine Auster hielten sie die Welt,

Die mit dem Degen öffnet, wem's gefällt.

Und von Millionen Menschen mard gezollt
Zur diesen tollen Fasching Blut und Gold.

Lin Lnde jedem Fasching ist bescheert,
Wenn er auch lange Zeiten hat gewährt;

Und wenn dem Wahnsinn ist genug getan,
Dann öffnet die Geschichte den Vulkan.

Und also kam's! Aus des vulkanes Glut
Schoß jäh hervor ein Strom wie rotes Blut

Und überschwemmte schier das ganze Reich,
Daß alle Pfosten schwankten allsogleich.

Und was gegründet schien aus ewig fest,
Davon steht heut nur noch ein armer Rest.

Der rote Strom, das ist der Strom der Zeit,
Der schlingt hinab die alte Herrlichkeit.

Lin großer Aschermittwoch wird nun sein Run mögen sie in Sack und Asche geh'n,

Für alle die Despoten groß und klein. Zndeß die Völker hell die Zukunft seh'n! a.t.

Die Revolution im Nachttopf!

Wahrheitsgetreuer Bericht.

Dumpf-schwüler Druck lagerte über Europa.
Ostwärts krachte eine Monarchie und die „Post"
klapperte dazu mit den Kinnladen. Die Gott-
losigkeit wuchs im Volke und das Regieren
machte keinen Spaß mehr. Ein Geheimer Kom-
merzienrat schnauzte einen preußischen Minister
an und zu Gerolstein kriegte die Großherzogin-
Witwe gar Zwillinge, obwohl sie eigentlich
gar nicht mehr verheiratet war. Das alles
bedeutete Krieg und Pestilenz.

Selbst in der studierenden Jugend fing es
an zu gären — teils vor Idealen, teils von
halbverdautem Biere. Daß sie einen Bismarck-
turm bauen ließen draußen auf der Masch,
wohin ursprünglich die neue Bedürfnisanstalt
sollte, das war ja ganz nett. Daß sie nur
mit Ach und Krach die Baukosten aufbrachten,
war es schon weniger. Daß Professor Süß-
niaul, der zum 27. Januar schwungvolle Fest-
reden hielt, einen jungnationalliberalen Verein
gründete, wirkte am Ende nicht ungünstig nach
oben. Daß aber so ein räudiges Schaf, wie
der Hauptlehrer Stünkel, jetzt hinging, Vor-
träge über soziales Kaisertum hielt und haufen-
weise Leser für die „Hilfe" warb, schien ge-
radezu staatsgefährlich.

Die üblen Folgen zeigten sich auch bald.
Man stänkerte die katholischen Studenten an
und war mit Erfolg bemüht, sie wegzuekeln.
„Kulturkampf" nannte das Lehrer Stünkel.
Und dann ging ein wüstes Telegraphieren
los: an den Kaiser, nach Innsbruck, an die
Gorkizentrale — überallhin. Und derweil be-
schwerten die katholischen Studenten sich täg-
lich dringender bei ihren Onkels, die Abgeord-
nete vom Zentrum waren. Und das Zentrum
machte Bülow die Hölle heiß, Bülow dem
Kultusminister, der Kultusminister dem Rektor.
Und der geplagte Rektor drohte am schwarzen
Brett dem Studentenausschuß mit Auflösung.

Damit goß er natürlich Öl ins Feuer. Man
schimpfte, konventikelte — und gestern nacht
im „schweren Wagner" bei der „Angrivaria"
kam die Geschichte richtig in Fluß.

Irgendwoher flog das Stichwort des Tages
in die Debatte: „Akademische Freiheit!" —
Ha — das war's! Das war russisch, ihnen
die anzutasten! Und wieder schwoll die Er-

regung zu babylonischem Tumult, wie nach-
mittags beim Anschlag des Rektorats.

Als der Nachtwächter der „Angrivaria" auf
dem Nachhausewege — freundlich wie immer
ermahnend: „Aber meine Herren ..." — das
Laterneneinwerfen verbieten wollte, kriegte er
zu seiner größten Verblüffung furchtbare Keile,
denn „eine Grenze hat Tyrannenmacht". Die
staatliche Autorität lag alsbald als kompli-
zierter Beinbruch auf dem Fahrdamm. Mit
dem Rufe: „Frei ist der Bursch!" trat man
sie in den Hintern. —

Um Mittag, als die verschiedenen Kater
beseitigt waren, ging der Studentenausschuß
in Wichs und Kouleur zum Rektor. Männlich
und tiefernst. Es gelte die akademische Frei-
heit zu wahren — jenes unschätzbare, heiligste
Gut der nationalen Jugend, von den Alt-
vorderen überkommen, jenen natürlichen Re-
spekt, der heutzutage leider zusehends schwinde.
Denn sogar die Nachtwächter beschwerten sich
neuerdings über jeden Dreck. Und das sei
zur Zeit der Göttinger Sieben anders gewesen.
Jawohl, ganz anders!

Dem Rektor sträubten sich die wenigen Haare.
Er habe leider nicht völlig begriffen, was die
Herren eigentlich wollten. Außerdem bekomme
er nächstens den Kronenorden. Die Herren
möchten also Vernunft annehmen und sich kalte
Umschläge machen. Auch Kamillentee sei gut.

Sie gingen. Aber kalte Umschläge machten
sie keine, sondern eine Akademikerversammlung
beriefen sie ein, die mit Enthusiasmus den
Generalstreik für sämtliche Vorlesungen be-
schloß . . .

Nun kriegten es Rektor und Senat mit der
Angst. Man telegraphierte nach Berlin um
einen Ministerialdirektor. Jedoch selbst ihm,
der scheußlich vornehm aussah in seinem hohen
Zylinder, gelang es nicht, den Aufruhr zu be-
schwichtigen. Erst sprach er sanft, weil ihm
das so besohlen war. Nachher, als er nichts
erreichte, wurde er grob. Der Ausschuß dürfe
nur Fackelzüge arrangieren und Festessen geben,
aber keinen Generalstreik beschließen. Ein
Generalstreik sei eine Revolution, bei der alles
mögliche passieren könne. Und eine akademische
Freiheit kenne er gar nicht. Worauf er wieder
nbreiste.

Jetzt war die Sache reif für's „Berliner Tage-
blatt". Was? Der kennt die akademische Frei-
heit nicht?! Arthur Levysohn schlug Feuerlärm
und begann Minister zu stürzen. In der „Nord-
deutschen" wurde mit Dementis geantwortet.

Währenddessen gab das Aktionskomitee fol-
gende Parole aus: Sonntag 1 Uhr 30 Mittags
Straßenumzug und Katzenmusik vor dem Audi-
torium. Jedermann hat seine Gläubiger mit-
zubringen.

Bleich vor Schrecken tagte der Senat. Und
als sich in dämmerndem Halbdunkel die Tür
auftat, meinten alle, das Gespenst der Revo-

lution trete herein. Aber es war bloß die rote
Bluse eines Dienstmädchens. Herr Geheimrat
Pfleiderer möchte doch nach Hause kommen —
der Kaffee würde kalt.

Abends um9 war Versammlung im „schweren
Wagner".

Resolution:

„623 hierversammelte junge deutsche Männer
von nationaler Gesinnung erheben flammenden
Protest gegen eine Vergewaltigung der aka-
demischen Freiheit, wie sie vom Rektorat der
hiesigen Hochschule beliebt worden ist. Sie
weisen einerseits nachdrücklichst auf die neusten
Vorgänge in Rußland hin — andererseits
nehmen sie in der bestimmten Erwartung, daß
so etwas bei uns nie Vorkommen wird, von
Montag ab ihre Studien wieder auf."

Telegramm an den Kaiser:

„623 hierversammeltejunge deutsche Männer
von nationaler Gesinnung legen sich Eurer
Majestät, dem mächtigen Schirmherrn aka-
demischer Freiheit, mit dem Gelübde unwandel-
barer Treue zu Kaiser und Reich unter ehr-
fnrchtsvollem akadeinischem Gruß in Aller-
untertänigkeit ersterbend zu Füßen."

Worauf eine Antwort eintraf, die wahre
Stürme der Begeisterung entfesselte:

„Majestät lassen danken. Lucanus."

Sous-Marin.

Der moralische Minister.

Der preußische Polizeiminister klagte bei der Beratung seines
Etats im preußischen Abgeordnetenhaus beweglich über die
Sittenverderbnis der Weltstädte.

Das war der Herr von Hammerstein,

Der sprach: Datz Gott uns helf!
wie steuern wir den Schweinerein
Des Nachts nach halber elf?

Der wind, der durch die Weltstadt weht.
Spricht allem Anstand Hohn:

Zuhälterei, Perversität
Und Prostitution!

Der Herr Minister tobt und bebt —

Mit ihm das hohe Haus,
was man an Unmoral erlebt.

Ist in der Tat ein Graus!

Ach Gott, wie lange ist's denn her,

Daß Herr von Hammerstein
Dieselben Herrn ergötzte sehr
Mit einem Zötelein?

Fand er nicht frohes Publikum,

Als einem jungen Weib
Gr zu des Landtags Gaudium
Die Bettdeök' ritz vom Leib?

Das war der Herr von Hammerstein,

Der sprach: Datz Gott uns helf!

wie steuern wir den Schweinerei'n

Des Nachts nach halber elf? Erich Mühsam.

Zweite Beilage zum „wahren Jacob" Nr. 486 5, ^905,
 
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