Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0070
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 4638 .

Aluköen. *sb

2luf Mukdens Uaisergräbern tobt die Schlacht
Zwei Welten ringen im Entscheidungskampf,

Die Würfel fallen und des Schicksals Lenker
Hat seinen eh'rnen Urteilsspruch gefällt...

Sn Trümmer sank der tönerne Uoloß,
vor dem anbetend eine Welt von Toren
Sn scheuer Ehrfurcht auf den Unieen lag -
Der „gelbe Affe" brachte ihn zu Fall,
vergebens qualmt der weihrauchduft zum Himmel,
vergebens schallt der Popen Litanei:

Der L^eide schlug das frommste aller Heere,

Die Heil'genbilder flattern in den Uot...

Auf Ulukdens Uaisergräbern tobt die Schlacht —
wer ist es, der vor Japans Bataillonen,

Das blut'ge Schwert der Rache schwingend, schreitet?
Es sind die Seelen der Ermordeten,

Die Väterchen vor seinem Thron geopfert,

Der Tausende, die er geschlachtet hat,

Als hilfeflehend sie vor ihm erschienen,

Gebete sprechend kindlichen vertrauns
Und Bittgesänge auf den frommen Lippen.

Als Racheengel tragen sie die Banner,

Zum Siege führen sie des Feindes Heer,

Des Zarenreiches Sturz ist ihre Sühne!

Auf Mukdens Uaisergräbern tobt die Schlacht —
Der Erdball schweigt und lauscht der großen Runde,
Die wie ein Frühlingssturm die Welt durchbraust:
Das düst're Bollwerk blut'ger Barbarei,

Des Lichtes und der Freiheit Erbfeind fiel. --

Und was dort draußen hoffnungsfroh begann,
Möcht's bald im Innern glorreich sich vollenden!
Des Zarentums zerbroch'nem Banner folge
Die Sklavenfessel und die Unute nach, .

Auf daß der Saat aus Mukdens blut'gen Gräbern
Der Freiheit zukunstgrünes Reis entkeime —

Am Baum der Menschheit eine neue Blüte! 3.s.

Trotz alledem!

€s war am dritten IHärz, weiss dämmerte der tag,
Unwirsch trat ich hinaus auf die Cerrasse
Und sah vor mir das neblige und nasse
Schneewetter, das auf Jeld und Bäumen lag.

„Quousque landein!" hab' ich zornig in den Barten
Dem Winter Batilina zugeschrieen,

„Wie lange noch beliebt's dir hinzuziehen
Uns Mensche», die wir auf den Jriihling warten?"

Kein Eaut, kein Wort, es schwieg der Grobian;
Doch plötzlich drangen wundersiisse Cöne
Durch Dunst und Hebel, und in stolzer Cantilene
Bob eine Amsel ihr ßeflöte an.

Da schämte ich mich doch, so dick und lang ich war
Uor diesem Uogel, der sein Weibchen rief
Und auf des Winters Rückzugskanonade pfiff, -
Und lauschte seinem Singen wunderbar.

€r sang so lange bis das Strahlendiadem
Der Sonne Schnee und Hebel aus dem Dasein schickte;
Als ich dann hoffnungsselig um mich blickte
Da wusste ich: die Amsel hatte recht —trotz alledem!

Union Yciidrid).

v. Aelow-APeitenburg
an v. Ärnim-Kchnodderhenu.

Mein Allerwertester! Haben vollkommen
recht. Traurige Erfahrungen der Gegenwart
bestätigen aufs neue, was konservative Partei
seit (Pardon!) 1848 (Pfui Deibel!) immer
wieder behauptet hat: vollkommenen Nieder-
gang des Parlamentarismus. Kann tatsächlich
Sitzungsberichte nur mit Ekel zur Hand nehmen
und muß nach Lektiire regelmäßig starken An-
fall von Schleim- und Gallebrechen unter-
drücken. Selbst unsere „Kreuzzeitung", die

alles Anstößige und für gute Sache Blamable
nur in gemilderter Form zu bringen pflegt,
ist jetzt geradezu ungenießbar.

Bon Reichstag ist ja selbstredend nichts
anderes zu erwarten. Einfach parlamentarische
Gesindestube, in der mein Kutscher, wenn ge-
wählt wäre und reden möchte, sicherlich mehr
Beifall finden würde, als Sie oder ich —
kurz, mit einem Wort: Volksvertretung! Scheuß-
lich ! Kein Wunder, wenn diese total un-
disziplinierte Gesellschaft Zeit damit vertrödelt,
über „Sozialpolitik" zu verhandeln. Weiß nicht,
ob Ihnen auch so geht: empfinde überhaupt
jedes Wort, das mit „Sozial" anfängt, als
direkt unzüchtig und Schamgefühl verletzend,
und begreife nicht, wie Ballestrem, der als
Graf und Rittmeister doch immerhin ge-
läutertes Schönheitsgefühl besitzen muß und
überdies gute Nase für alle in höheren Re-
gionen streichende Winde besitzt, so was auf
Tagesordnung dulden kann. „Konservative
Korrespondenz" urteilt noch lächerlich milde,
wenn in letzter Nummer solche Verhandlungen
als „langweilige Plaudereien" und „Ver-
schleppung der Reichstagsarbeiten" brand-
markt. Hätten wahrhaftig jetzt, zwei Monate
vor Kronprinzenhochzeit, wichtigeres zu tun!

Aber darf man sich über Taktlosigkeit von
Reichstag wundern, wenn sogar in Abgeord-
netenhaus derartige skandalöse Dinge Vor-
kommen, wie in letzten Tagen? Wurde allen
Ernstes über „Akademische Freiheit" debattiert!
Nun bitte ich einen Menschen! Drei von
meinen Bengels haben in Bonn bei sehr
feinem Korps studiert — notabene: sehr seine
Korps nehmen auch Kavaliere ohne Reife-
zeugnis an —, haben Schulden gehabt wie
bessere Stabsoffiziere, haben sich den Teufel
um akademische und andere Gesetze geschert,
zwei wegen mehrfacher Körperverletzung und
Nachtwächterbeleidigung, der dritte, jetzt tüch-
tiger Konsistorialrat, außerdem wegen Zwei-

kampf mit tötlichem Ausgang 'reingefallen —
haben aber doch nie im Traum daran gedacht,
über Beschränkung von akademischer Freiheit
zu greinen. Studenten, die gute Kinderstube
genossen haben, sollten ein dem ordinären
Straßenjargon entlehntes Wort wie „Freiheit"
überhaupt nicht in Mund nehmen! Na, aber
unser bisher als wohlerzogen geltendes Ab-
geordnetenhaus scheint nicht die geringste
Gänsehaut mehr zu kriegen, wenn in solchem
Schmutz Tage lang herumgewühlt wird. Letzter
Lichtpunkt des Parlamentarismus war — dar-
über sind wir uns wohl einig — Hammer-
steins Rede über intime Betterlebnisse von
russischer Studentin Bärson — seitdem unauf-
haltsamer Niedergang!

Inzwischen Ihr Below.

Im Reichstag grunzen die Agrarier:

Zu viel geschieht für die Proletarier!

Des Staates wahre Pflicht ist entdeckt:

Die Junker brauchen mehr Geld für Sekt,
Für Pferde, Weiber und auch für Spiel —
Drum geschieht für den Proletarier zu viel!

Die Heiligkeit der Ähe.

Moralische Erzählung.

Der bekannte Mädchenbeschützer Klamotten-
Ede kam auf den Einfall, sich durch Leichen-
fleddern einen kleinen Nebenverdienst zu
schaffen. Seine treue Rieke begleitete ihn
selbstverständlich auf allen Wegen. Da sie
mithin sehr leicht seine einzige Belastungs-
zeugin werden konnte, entschied er sich dafür,
sie zum Traualtar zu führen, damit sie als
legitime Frau nunmehr das gesetzliche Recht
hätte, die Aussage zu verweigern.

So sehen wir, daß das wilde und gottlose Zu-
sammenleben der Geschlechter viele Gefahren in
sich birgt, die nur durch ein gesetzlich geheiligtes
Bündnis abgewendet werden können.
 
Annotationen