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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0239
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— 4809

Ein Gemütsmensch.

„Ietz, wann i nur grad' wüßt, was dä Sozi über die Grenzsperre und die Kleischnot z'schimpfn habn?
wann ma sei Maß' und an Gansbratn mit Rnödel und Sauerkraut hat, nacha kann ma doch mit unfern
Zuständen alleweil z'frieden sein!"

Der lachte bloß. Aber
der andere Geheimpolizist
beschwichtigte ihn:

„Na, woll'n mal sehen.

... Wenn Sie nichts ge-
macht haben...."

Hermann Bahnte, voll
banger Sorge, wandte sich
an die Wirtin:

„Frau Meißner, wenn
sich bis morgen dieser
Irrtum noch nicht auf-
geklärt haben sollte, denn
weiter ist es ja nichts!
weiter kann es nichts
sein!... dann gehen Sie
nach dem Geschäft, ja?
und sagen, ich bin krank,
ja?... und zu meiner
Braut sagen Sie, ich
habe plötzlich verreisen
müssen...."

Die Frau wandte sich
an den Polizisten mit
den stechenden Augen und
sagte: „Darf ich das,

Herr Kommissar?"

Der zuckte die Achseln:

„In Ordnung ist es
jedenfalls nicht!"

Der Verhaftete schrie
auf:

„Aber das kost' mich
ja meine Stellung!..."

„Dann tun Se so was
nich!"

Da wurde Hermann
Bahnke ganz still. Er
war auf die Bcttkante
hingesunken und, als der
jüngere Kriminalbeamte
gutmütig zu ihm sagte:

„Na, nu komm'n Se
man, das nutzt doch
alles nichts!" da ging
der junge Mann ohne
Widerrede mit. Aber in
Haltung und Gebärde sah
er plötzlich um zwanzig
Jahre älter aus.

Auf der Treppe sah
er sich scheu um, Gott
sei Dank, sie schienen noch alle zu schlafen . ..
niemand sah ihn, ivie er fortgeführt wurde...

Hermann Bahnke wohnte im Vorort. Und
die Beamten lieferten ihn bei dem zuständigen
Amtsgefängnis ab. Dort waren die Arrestzellen
noch ganz in der primitiven Art der ländlichen
Spritzenhäuser eingerichtet. Eine Holzprüsche mit
einem Strohsack und einer Pferdedecke, kein Ofen
— draußen fror es — und hoch oben, fast unter
der Decke, ein vergittertes, von außen noch durch
einen Holzkasten verdunkeltes Fenster. . ..

Und jetzt fielen schwarze Gedanken, wie ein
Trupp Wölfe über die Seele des Inhaftierten her.

„Wenn der Chef es erfährt, bin ich draußen",
sagte er sich, „und Annas Eltern lösen die Ver-
lobung auch sofort auf. ... Anna selber würde
ja vielleicht noch zu mir halten, aber auf die
Dauer, wenn die Alten dagegen sind — und
meine Stelle —, wo krieg ich denn wieder 'ne
Stellung her? ... wer nimmt mich denn noch?...
Das erfährt doch die ganze Konkurrenz!..."

Dieser Gedanke, daß ihn seine Kollegen, die
anderen Kaufleute, daß alle die Menschen, die
ihn bisher geschätzt und wertgehalten hätten —
daß die ihn nun nicht mehr ansehen, ihm auf
der Straße ausweichen und ihn verachten würden,
der schreckliche Gedanke, diese mit so unendlicher
Mühe aufgebaute Existenz nun doch wieder Zu-

sammenstürzen zu sehen, machte ihn fast wahn-
sinnig—

Und so lag er weinend und stöhnend und bald
wieder schrill auflachend in der bitteren Kälte.
Den Tag und die Nacht. Am Morgen holte
ihn der Aufseher, Das Brot, das Essen, in
einem Napf Erbsensuppe bestehend, und der
Kaffee — alles stand unberührt.

„Viel Appetit scheint er nicht zu haben!" sagte
der Schutzmann, der ihn nach dem Moabiter
Untersuchungsgefängnis transportierte.

Dort wurde er anr Montag vor den Unter-
suchungsrichter geführt, einen jener vielen Juristen,
deren au sich uicht bedeutende Phantasie durch
das Studium der sogenannten Rechte und durch
die jedes Gefühl ertötende Amtspraxis voll-
ständig verkümmert ivar.

„Sie sollen da wieder einmal eingebrochen
haben, Bahnke?"

„Was, ich? ..."

„Na ja, wer denn sonst!"

„Aber ich bitte Sie, Herr Rat, ich Hab' es doch
gar nicht nötig! ... Ich . .."

Der Richter winkte nüt der Hand.

„Ja, ja, weiß schon... leugnet natürlich. .. .
Ihr Nationale! ..."

Hermann Bahnke sagte, was man von ihm hören
wollte. Bei der Frage, ob vorbestraft, stockte er.

„Na ja, sagen Se's
man ruhig . . . oder
wenn Se's nich wollen,
kann ich's Ihnen ja auch
vorlesen! ... Hier sind
Ihre Akten! ... also:
vorbestraft mit sechs Mo-
naten Gefängnis wegen
Diebstahls. . . scheinen
ja 'n recht netter Herr zu
sein! . . . Zeugen vor-
führen!"

Ein zwölfjährigerJunge,
bei dessen Mutter einge-
brochen worden war,
wurde mit ihm konfron-
tiert, wobei sich zeigte,
daß sich der Junge geirrt
hatte. Und als Hermann
Bahnke daraufhin noch an
demselben Tage entlassen
wurde, ging er hinaus
aus dem Gefängnis und
in die laute, geschäftige
Welt draußen hinein, als
hätte er selbst darin nichts
inehr zu suchen.... Er sah
immer noch den kleinen
Jungen vor sich, der ihn
nach der vor zwölf Jahren
angefertigten und im
Verbrecheralbum stecken-
den Photographie wicder-
erkannt haben wollte....

Vor den Geschworenen
stand ein ergrauter Mann
mit müdem, gleichgül-
tigem Gesicht, das er scheu
zu Boden senkte.

Die Beweisaufnahme
war geschlossen, der
Staatsanwalt hatte sich
eben erhoben und begann:
„Der Angeklagte, meine
Herren, hat uns hier eben
ein Bild von der soge-
nannten sozialen Unge-
rechtigkeit entrollt. Er
behauptet, er hätte seine
Stellung und sein ganzes
Lebensglück dadurch ein-
gebüßt, daß er auf Grund falscher Rekognition
verhaftet und dadurch seine Vorstrafe ans Licht
gekommen wäre. ... Ich glaube das nicht,
meine Herren Geschworenen! Uird wenn es auch
wahr wäre, wenn er wirklich dadurch wieder aus
der Balm geworfen wäre, was beweist das? ... Er
hätte jenen für ihn allerdings nicht gerade ange-
nehmen Zufall als eine notwendige Folge seines
ersten Verbrechens hinnehmen und wieder vorn
anfangen sollen! ... So hätte es sich gehört! .. .
Aber was tut er? ... Er stiehlt wieder! Er
stiehlt heute, er stiehlt morgen, bis man ihn faßt
und wieder einsteckt! ... Es sind jetzt im ganzen
zwölf Jahre Zuchthaus, die dieser Mann schon ver-
büßt hat! . .. Hak es ihn abgeschreckt? Hat es
ihn gebessert? .. . Rein und abermals nein! ...
Er bleibt derselbe, er stiehlt wieder und zuletzt
scheut er sich nicht davor, dem Manne, der sein
Eigentum verteidigt, mit bewaffneter Hand zu
Leibe zu gehen! ... Ich bitte Sie, meine Herren
Geschworenen, sprechen Sie den Angeklagten
schuldig!"

Und die Geschworenen taten, wie ihnen der
Herr Staatsanwalt gesagt hatte, sic sprachen den
ehemaligen Kaufmann und Prokuristen Hermann
Bahnke schuldig des schweren Raubes, worauf
ihn das Gericht zu fünfzehn Jahren Zuchthaus
verurteilte. Von Rechts wegen!
 
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