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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0302
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•. 4872

-&> Jur Eröffnung

wenn nach dem fernen Süden
Die hurt'gen Schwalben zieh»,

Dann packen ihre Koffer

Zur Reise gen Berlin

Des Reichstags stolze Mannen:

Für Krone und Altar
Zn kämpfen und zu leiden,

Rückt an die wackre Schar.

was uns von rüst'gen Junkern
Olstelbien gesandt,

Des Zentrums lust'ge Brüder
Dom Rhein und Bayerland,

Die liberalen Kämpen,

Erprobt itt Rat und Tat —

Sie ziehen frischen Mutes
Zur schönen Kaiserstadt.

Mit neugestärkten Kräften,

Mit Hurra und Juchhe
Beginnt das Götterlebcn
Am grünen Strand der Spree.

Bei Dreffel und Kempinski
Saugt inan sich voll und dick
Und in den Amorsälen
winkt holdes Liebesglück.

des Reichstags. »Z-

Der Zirkus und die Mper
Ergötzen ungemein,

Zum Abendessen ladet
Der Herr Minister ein;

Auch weilt inan manches Stündchen
Ganz gern im hohen Haus
Und schläft den Katzenjammer
Daselbst im Plenum aus.

So wirkt nran unverdrossen
Für Thron und Vaterland:

Man weiß ja, die Regierung
Liegt in bewährter Hand.

Auch ohne unser Mühen
Füllt sie uns unfern Sack —

Mag noch so wütend poltern
Das rote Nörglerxack!

Der Kanzler und die Seinen,

Die kennen ihre Pflicht —

Ihret- und unsertwegen
Braucht's keinen Reichstag nicht.
Drum blieben wir bei Muttern
And kämen gar nicht her,
wenn's in Berlin im Winter
Nicht gar so lustig wär'!

Was tut das deutsche Volk?

„Aus dem Herzen meiner Untertanen. . . werden stets G e -
bete zum Himmel aufsteigen für das Wohl Ew.Majestät . .

Wilhelm II. zu Alfons XIII.

Was tut das deutsche Volk?

Was tat das deutsche Volt den» jetzt?

Das brave deutsche Volk!

Wird's ungeduldig nicht zuletzt?

Droht es dem Zchweine-Pod?

Und ballt es seine starke Jaust,

Daß sie mit Wucht herniedersaust?

Tut das das deutsche Volk?

Was tut das deutsche Volk?

Hebt endlich es den Iuß zum Tritt?

(Sitt's der Zchmarotzerzucht?

Und fliegt die ganze Zippe mit,

Hanswurst und Harlekin?

Hegt es sein Haus doch einmal rein
Und richtet selbst sich wohnlich ein?

Cut das das deutsche Volk?

Was tut das deutsche Volk?

Zieht es den Ztand der Weltenuhr,

Die Tagesanbruch weist?

Harrt es des LtundeNschlages nur.

Bereit zu ernster Tat?

Wird von ihm sorgsam ausgepaßt.

Daß die iTtinute es erfaßt?

Cut das das deutsche Volk?

Was tut das deutsche Volk?

Im Vsten schon der Morgen graut,

Der Nebeldunst verfliegt.

Vb wohl das Volk nach Tstlen schaut.

Wo jetzt das Irührot loht?

Und schließt das deutsche Volk zur Ltund
Mit seinem Nachbarn Irenndschaftsbund?
Tut das das deutsche Volk?

Was tut das deutsche Volk?

Was tut das deutsche Volk denn jetzt?

Das brave deutsche Volk!

Ls tut, was ihm als Pflicht gesetzt
von Wilhelm, seinem Herrn:

Inm Himmel schickt es sein Gebet
Jür König Alfons' Majestät!

Das tut das deutsche Volk! L-c»»d»s.

Llara Müller.

Llara Müller, die begeisterte Sängerin des Proletariats,
die uns eine liebe und stets willkommene Mitarbeiterin
war, ist plötzlich in viel zu frühem Alter dahingegangen.
Liner Lungenentzündung ist sie am 4. November erlegen.

Llara Müller war am 5. Februar 186j bei Belgrad
in Pommern geboren. - Ihr Vater, ein evangelischer
Geistlicher, starb früh, so daß sie, kaum §3 Iahre alt,
bereits den Aampf um die Sxistenz für sich, die kranke
Mutter und die Schwester aufnehmen mußte. Sie hatte
verschiedene kaufmännische Stellungen inne, bis sie durch
Rrankheit zur Aufgabe ihres Berufs gezwungen wurde.

Literarisch trat sie zuerst mit der Gedichtsammlung
„Mit roten Äressen" an- die «Öffentlichkeit. Später erschien
im Verlag von I. tz. A). Dietz in Stuttgart ihre Samm-
lung „Stnrmlieder vom Meer". Ihre sämtlichen Dich-
tungen legen Zeugnis ab von der wärme der Lmpfin-
dung, die sie für das arbeitende und leidende Volk hegte,
und von dem kraftvollen, den Leser mit sich fortreißenden
Schwünge, dessen sie fähig war.

Der so früh verstorbenen Mitkämpferin werden wir
und unsere Leser stets ein ehrendes Andenken bewahren.

I. S.

Kriegsnot.*

Die wilden Flammen schlagen
Am Himmel jäh empor;

Im Winde tönt ein Klagen,

Ein banger Seufzerchor:

„Aus Haus und Kos verstoßen,
Verkommen in Krieges Brand
Wo blüht den heimatlosen
Das Vaterland?"

Sie liegen aus öder Heide,

Sie liegen in schwarzer Nacht,
Bedeckt von schwerem Leide;

Der Hunger hält die Wacht.

Erstarrte Tränen schimmern . .

Noch sucht ihr hohler Blick
Auf ihrer Heimat Trümmern
Das tote Glück.

In blutig greller Lohe
Die karge Hütte stand -
Ihr Lächeln starb, das frohe:

Zerstört das Heimatland!

Und Haus und Stätte sanken . . .

Ein letzter Blick zurück!

Noch flattern die Gedanken
Um totes Glück.

Getrost! was ihr besessen.

War Elend, Last und Fluch!

Ihr werdet rasch vergessen.

Was dieser Boden trug.

Über der Heimstatt Trümmern
Durch eurer Tränen Flut
Seht ihr's nicht leuchtend schiminern
Wie Morgenglut?

Euch hat der Feind genommen
Die Kette nur vom Fuß;

Euch soll ein Morgen kommen.

Der grüßt mit stolzem Gruß,

Die roten Flammen schlageit
Empor wie Wcltenbrand . . .

Der Sturm zerreißt die Klagen
Ums Vaterland. Clara Müller.

* Bisher noch unveröffentlichtes Gedicht aus der
Zeit des rufst sch-japanischen Krieges.
 
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