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. 4893

ihm über die Wange. Und als Ella sie fragte,
was sie habe, heute flenne ja wieder alles,
bemerkte sie traurig: „Zu uns kommt das
Christkindchen nicht, weil wir arm sind und
Vater keine Arbeit hat."

„Doch!" schrie die Kleine am Boden, „doch,
doch! Eine grrroße Puppe will ich."

Und sie und Fritzchen singen an zu singen:

„Christkindchen komm in unser Haus,

Leer deine schönen Sächelchen aus!

Bring..."

Weiter konnten sie das Lied wohl nicht,
denn das Mädchen rief wieder:

„Ich ivill 'ne Puppe!"

Ein geschäftiges Leben herrschte in allen
Gassen und Straßen. Die Läden waren über-
füllt. Überall sah man Männer und Frauen
mit Paketen und Weihnachtsbäumen nach
Hause eilen. Der Abend begann sich über
das Häusermeer zu senken, und eine eisigkalte
Luft wehte Ella entgegen, als sie der Zeil
zuschritt, von frechen Blicken und zudringlichen
Bemerkungen junger Männer verfolgt.

Das Getriebe und Menschengewoge auf der
Zeil bot ein buntscheckiges Bild dar. Auf der
breiten Fahrstraße schoben sich hochbeladene
Handkarren zwischen den mit feurigen Rossen
bespannten herrschaftlichen Equipagen, den

Leise schlich sie die Treppe hinauf, und als
sie an Meinerts Wohnung anlangte, klingelte
sie mit den Glöckchen des Bajazzos, den sie
für das kleinste Mädchen gekauft, und rief
mit verstellter Stimme: „Das Christkindchen
ist da!"

Ein jubelnder Aufschrei der Kinder war die
Antwort. Aber erst, als Frau Meinert die
Kinder in die kleine Kammer gesperrt hatte,
trat Ella ein.

Da gab es nun keine Zeit zum Bewundern.
Ohne ein Wort zu sprechen, wurde das
Bäumchen hergerichtet, die Sachen ausgepackt,
die Lichtlein angezündet, während die Kinder

Tie Meinertfche Stube bot nun ein seltsames Bild dar.

„Und ich 'ne Trommel!" rief Fritz.

Auch das ganz kleine Mädchen, das auf
dem Boden herumrutschte, gab in unverständ-
lichen Lauten zu verstehen, daß es auch etwas
haben möchte.

Ella begriff, warum Frau Meinert geweint
hatte.

„Kinder!" sagte sie nach kurzer Überlegung,
„wißt ihr was? Ich werde jetzt fortgehen
und das Christkindchen herschicken!"

„Hurra! Tante Ella!" kam es einstimmig
aus dem Munde der Kinder, die in die Hände
klatschten und wieder anfingen zu singen.

Im Gehen flüsterte Ella der ihr auf den
Vorplatz folgenden Frau Meinert zu, sie werde
den Kindern etwas kaufen, auch ein Bäumchen
mitbringen.-

Die Treppe knarrte, und die seidenen Unter-
röcke rauschten, als Ella hurtig die schmale
Treppe hinabstieg.

Lohnfuhrwerken und der lärmenden Straßen-
bahn hindurch. Auf dem Fußsteig boten
frierende Kinder im zartesten Alter den in
kostbare Pelze gehüllten Herren und Damen
Hampelmänner und Christbaumschmuck an.

Ella kaufte jedem der Kleinen etwas ab.
Dem einen Lichter, dem anderen vergoldete
Nüsse, Flimmer und so fort, bis sie eine ganze
Anzahl Päckchen in ihrem Arme hielt. Einen
feingekleideten Herrn, der sie anredete, ob sie
mit ihm fröhliche Weihnachten feiern wolle,
nannte sie einen „ollen Dösel" und verschwand
dann in einem Warenhaus.

Feierlich klangen die Weihnachtsglocken vom
Dome, als Ella wieder vor dem alten Hause
anlangte, das sie vor einer halben Stunde
verlassen, mit Paketen und Schachteln und
einem kleinen Weihnachtsbäumchen beladen.

in der Kammer ununterbrochen Weihnachts-
lieder sangen. In kaum einer halben Stunde
war alles in Ordnung, um die wartenden
Kinder wieder in die Stube zu lassen.

Ella hatte sich zuvor hinausgeschlichen, um
gleich darauf zurückzukehren, als komme sie
zufällig, zu sehen, was das Christkind gebracht.

Die Meinertfche Stube bot nun ein selt-
sames Bild dar. Von dem auf dem einzigen,
wackeligen Tische stehenden, mit Goldfäden
behangenen Fichtenbäumchen strahlten zehn
kleine Kerzen ihr Licht in die armselige Stube.
Vier alte Stühle und eine mehr wie ärm-
liche Bettstelle bildeten das übrige Mobiliar in
diesem trostlosen Raume. An den Wänden hing
nur ein alter, zerbrochener Spiegel und eine
schmutzige Tasche mit einer Kleiderbürste. Vor-
hänge waren nicht an den Fenstern.

Das dreijährige und das achtjährige Mädchen
hielten in ihren Armen prachtvolle Puppen,
 
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