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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0333
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4904

Schaut des frommen Sehers Auge
Frohgemut ins neue Jahr,

Sieht es Deutschlands Wunderblume
prangend in der Völker Schar.
Allerdings gibt's ein'ge Schäden
An dem herrlichen Gewächs -
Keine Rosen ohne Dornen -
Anno Reunzehnhundertsechs.

Reue Steuern fefj’ ich kommen,
3öUe stehen vor der Tür,

Und ins Uferlose bluten
Muß der Tabak und das Bier.
Stolz zu nationalen Höhen
Klimmt der Preis des Schweinespecks
Gott erhalt' uns unsre Junker -
Anno Reunzehnhundertsechs!

^ 1906

Lockend schwebt vor meinen Blicken
Liner Tafel festlich Bild,

Dran der gier ge Proletarier
Sich den Magen überfüllt:

Und als Hauptstück der Genüsse
prangt inmitten des Gedecks
Voll Kompott die leckre Schüssel -
Anno Reunzehnhundertsechs.

Doch trotz allem wird der Rote
wühlen ohne Unterlaß,

Unsre höchsten Güter schmähen
wird er frech, voll Hohn und Haß.
Aus dem feigen Hinterhalte
Seines sicheren Verstecks
wird er gift'ge Pfeile senden -
Anno Reun^chnhundertsechs.

Aber kühne Reden höre
Ich in Rord, Süd, Dst und West,
Manches Standbild wird enthüllet
Und gefeiert manches Fest.

Und das Reichswrack wird gesteuert.
Trotz des finanziellen Lecks,

Mit Hurra im Iickzackkurse -
Anno Reunzehnhundertscchs.

Koloniale Heldentaten,

Typhus und Malaria

wird der Telegraph uns melden

Aus dem fernen Afrika.

Stöhnend wild der gute Michel,
Eingedenk des hohen Iwccks,
weitere Millionen blechen -
Anno Reunzehnhundertscchs.

Dürstet auch nach Kampf und Kriegen
Rings um uns die böse Welt:

Die Regierungs ist's, die kluge,

Die den Frieden uns erhält.

Dank den Diplomaten bleiben
wir in freundlichstem Konnex
Rach wie vor mit allen Rachbarn -
Anno Reunzehnhundertscchs.

Kurz und gut, wohin ich blicke,

Seh' ich kräftig uns regiert,

Den verheiß'nen goldnen Tagen
Rah und näher uns geführt.

Steckt der Karren auch bis heute
In der Tiefe nicht des Drecks:

Leid getrost, es wird schon werden -
Anno Reunzehnhundertscchs.

Tum neuen 3abre!

Mit großen Worten und Waffenklirren,

So zieht das neue Fahr herauf.

Die ganze Welt voll banger Wirren.

Was birgt der nächsten Feiten Lauf?

Gelingt's, den Frieden zu erhalten?

Lr hängt an einem Seidenhaar!

Glückt's, sich der herrschenden Gewalten
Fu wehren gegen die Gefahr?

Denn sie, die nur die Köpfe zählen,

Die als Kanonenfutter gut,

Sie fcheun sich nicht, den Krieg zu wählen,
Sie wägen nicht des Volkes Blut.

Ss ist des Volkes eigne Sache,

Besorgt auf seiner Hut zu sein.

Das Proletariat halt' Wache!

Fm eignen Land — die Wacht am Rhein!

Der Feind wohnt nicht im Rachbarlande:
Der Feind heißt Ausbeutung und Rot!
Krieg gilt es gegen Knechtschaftsbande,
Krieg gilt für Freiheit es und Brot!

Trotz grauer Winternebelflocken
Auch uns scheint einst die Sonne klar!
Drum: Schwert geschliffen! Pulver trocken!
Und dann: Glückauf zum neuen Fahr!

Lrich Mühsam.

Kolonialpolitik.

Von einer längeren „Studienreise" in Dentsch-
Ostafrika ist der Abgeordnete Paasche gerade
in dem Augenblick ins Vaterland heimgekehrt,
als der Posten eines Kolonialdirektors, auf
den er seit Jahren sehnsüchtig hoffte, soeben
von einem andern besetzt worden war. Wie
ivir hören, besteht nun das hauptsächlichste
Resultat der überseeischen Studienreise in der
Erkenntnis Paasches, daß die Fahrgeschwindig-
keit der Dampferlinien, welche die deutschen

Kolonien mit dein Mutterlande verbinden, ganz
erheblich verstärkt werden müsse. Er hofft
dann das nächste Mal noch zur rechten Zeit nach
Hause zu kommen. I. S.

Freiheitsliebe.

Nach Norden wandten wir den Blick
voll Hoffnung und vertrauen,

Ls werde dort die Republik
Lin Schloß am Neer erbauen;

Auf der Rjölen Fels und Firn,

Da werde Freiheit thronen,

Geschmückt die blondgelockte Stirn
Nit Nordlichts Strahlenkronen.

Wir sahen schon die Freiheit gehn
An allen blauen Fjorden,

Und munter schon ihr Banner wehn
Auf jedem Schiff im Norden;

Wir sahen hoch, im Norreland
Den Stern der Freiheit blitzen
Und grüßen den im Frankenland
Und den ob Alpenspitzen.

Wir hofften, dieses Dreigestirn
Ward' leuchten Nillionen,

Die zwischen Neer und Alpenfirn
Zn Ünechtschaftsdunkel wohnen;
von täusendjähr'gem Bann befreit
Würd' endlich auch die Rose
Der deutschen Freiheitsherrlichkeit
Lrblühn aus Volkes Schoße.

So hofften wir! — Allein die Nacht
Des Goldes und des Alten,

Die haben noch einmal in Nacht
Und Bann das Volk gehalten.

Statt Freiheit zog ein König ein
Und ward mit prunk empfangen;

Lr soll der Freiheit Hüter sein
Und liebend sie umfangen.

Doch Freiheit liebt die Uön'ge nicht.

Sie liebt allein die Nassen
Und will mit ihrem heil'gen Licht
Die Völker all umfassen.

Sie bleibt sogar in Liebe treu
Dem Volk, das sie verstoßen,
lind bricht die Fessel ihm entzwei
Am Lenzestag, dem großen. Robert Seidel.

Sächsche Forsche.

Mir Sachsen jubeln
glockendönig,

Ru könn' der Zukunft
mer verdraun!
Äerrjeh, hanun mir
ä forschen König -
Der läßt dreinein mit
Säweln haun!

Bei uns edivair zu
demonstrieren.
Das soll sich geener
understehn —-
Er könnte sonst den
Gobb verlieren.
Eh er sich eemal umgesehn.

De andern Färschten, die sein Schleicher
An dhun een in der Seele leed;

Der Russe wie der Ehsterreicher
Entbehrn der richt'gen Schneidiggeed.

Das Sachsenland is änne Berle,

An sehr mit Anrecht werd's verlacht.
Serrjemersch, sein mir forsche Gerte!

Mir wissen, wie mer Blutworscht macht.

Mir Sachsen jubeln glockendönig.

Bei uns is nischt verfault un morsch;

Mir Hamm »ich bloß ä forschen Gönig,

I wo, mir sei» ooch selwer forsch!
 
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