Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0010
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5294

-E Das Volksgericht.

Der Karr'n sitzt fest. Die hohen Geistesrecken,
Die in den Sumpf ihn fuhren mit Juchhe,

Sie müssen schmählich jetzt die Waffen strecken.
Zu Ende ging der Herren Abc.

Den Dienst verweigerten die schwarzen Scharen,
Es streikt die schacherfrohe Kumpanei,

Die bis hierher den Karren mitgefahren —

Der edlen Brüder Freundschaft riß entzwei.

Nun soll auf's neu' das Volk sein Arteil künden.
Nun merket auf, ihr Herrn, und spitzt das Ohr!
Wir blättern nach im Buche eurer Sünden
And halten euch die Riesenrechnung vor.
Jedweden Frevels wollen wir gedenken.

Des Anrechts all, das unser Herz zerriß!

Nicht einen Heller werden wir euch schenken,

Ihr zahlt uns alles jetzt! Des; seid gewiß!

Ihr solltet unsres Volkstums Güter hüte» —
Blickt her und seht, wohin ihr uns gebracht:

Des freien Geistes zage Frühlingsblüten
Ersticktet ihr in rabenschwarzer Nacht;

Ziellos auf sturmgepeitschtem Ozeane,

Ein Spiel der Laune, treibt des Reichsschiffs Wrack,
And an des Volkes Mark, mit gier'gem Zahne,

Frißt das agrarische Schmarotzerpack.

Ihr habt gebüttelt uns und ausgesogen.

Dem Ärmsten nähmet ihr das letzte Brot,

Am Licht und Freiheit habt ihr uns betrogen.

Des Volkes Rechte warst ihr in den Kot!

Für' alles dies sollt ihr uns Rede stehen,

Rückzahlen sollt ihr uns, was ihr geraubt;

Ihr tragt die Schuld an allem, was geschehen.

And jedes Anheil fall' auf euer Haupt!

Zu lauge litten wir der Knechtschaft Schande,

An unsrer heil'gen Sache den Verrat:

Jetzt weht der Sturmwind durch die deutschen Lande,
Die ernste Stunde der Entscheidung naht.

Jetzt kommt der Tag, zu richten und zu rächen.
Machtvoll zu siegen im gerechten Streit,

Mit starker Faust das Sklavenjoch zu brechen —
Jetzt, deutsches Volk, tu' deine Schuldigkeit! 0

Bli&drabtmeldungen.

Berlin. Ans dem Reichskanzlerpalais flog soeben
eine Kartenlegerin heraus. Sie keift: das fei nun der
Donk, wenn man großen Herren die Wahrheit sage.

Breslau. Alle beteiligten Kretfe loben das Verhalten
der Polizei, die in der Neujcrhrsiw.cht ihre schwierige
Aufgabe taktvoll erledigte — sich zum Beispiel ruhig
mit „Prost Neujahr, Herr Wachtmeister!" anreden ließ,
statt dem Betreffenden gleich die Hand abzuhacken.

Erfurt. Die Mitglieder eines hier gastierenden Affen-
theaters stellten gegen die „Tribüne" Strafantrag wegen
abfälliger Aritik.

Memel. Der Lehrer potensaug in pißkallen erhielt
von der russischen Srenzgendarmerie einen freundschaft-
lichen Silvestergrub. Ls war ein länglicher Segensland
aus Zink, mit Blei gefüllt und fingerdick. Lr kam durch
die Aland, kam mit potensaug in innige Berührung und
fuhr in den Vfen, worauf der ganze Palast einstürzte.
potensaug kann jetzt durch sich hindurchgucken, was er
bis dahin noch nicht konnte.

Dresden. Der königliche Hof feierte Silvester. Ls
war das Bild eines glücklichen Familienlebens; sogar
der FliNerkram am Thristbaum sah wie echtes Sold aus.

München. Lin zoologischer Sarten, wie andere Sroß-
städte ihn längst haben, soll nun auch hier gegründet
werden. Vorher behalf man sich mit dem hofbräuhaus —
aber das langt nicht mehr zu.

Rom (vatikanischer Draht). Die päpstliche Nobel-
garde wurde auf Ariegsfuß gesetzt. Sie erklärte sich
bereit, zu siegen oder zu sterben, wenn sie nur nicht
marschieren brauche, denn sie habe das Zipperlein.

— (italienischer Draht). Der aus Frankreich aus-
gewiesene päpstliche Nuntius wurde bei Ventimiglia durch
die Behörde empfangen, mit Heftpflastern behandelt und
mit allem schuldigen Respekt weitergelcitet.

Belgrad. Ränig Peter soll am Bleigießen in der
Silvesternacht keinen großen Spaß gehabt haben. Der
ganze Rrempel wurde sofort wieder eingeschmolzen.

Peterhof. Der Zar war gerührt über die vielen
Ansichtspostkarten, die er zu Neujahr bekam. Lr sah
sie einzeln gar nicht an, sondern freute sich, daß er so
populär ist.

Nishni-Nowgorod. Lin Waggon mit „Weizen für
die Notstandsbezirke" erregte durch Übergewicht den Ver-
dacht eines wahrhaft russischen Mannes, der Bomben
drin vermutete. Aber man fand nur Se. Lxzellenz den
Herrn Souverneur darin versteckt; er wollte sich von der
Firma in Moskau unauffällig seine Provision holen.

Schließlich erhielten wir von einem sehr bedeutenden
ständigen Mitarbeiter, auf den wir stolz sind, dessen
Namrn uns kein Staatsanwalt entreißen wird und dem
wir so manchen Blick in die Zukunft danken, folgendes
Telegramm:

„Na, Rinder: es wird 'ne feine Nummer! Prost
Neujahr!!"-

Meinte er nun uns, sich oder den neuen deutschen
Reichstag?

wiederholte Anfragen ergaben keine Antwort. Die
Strecke war besetzt.

jamiarimncl.

Hört ihr's, wie der Sturmwind pfeift?
Durch die schneeverwehten Gassen,

Durch die Wälder, rauhbereift,

Die das letzte Lied verlassen,

Klingen feine Melodien.

Gelt, das scheuchet die Gespenster,

Wenn er klopfet an die Zensier,

Dran die Zlimmerblumen blühen?

Rach den höchsten Spitzen greifen
Seine Hände ohn' Besinnen.

Höhnisch gellt sein helles pfeifen
Um die dunklen Kirchcnzinnen.

Und fein Lied klingt wild, entzückt,

Spielt er mit zerbrochnen Ästen,

Rüttelt er an den Palästen,

Die die goldne Krone schmückt. . .

Fanuarwind heißt der Wilde.

Könnet ihr sein Ringen deuten?

Das klingt anders als das milde,

Zahme Wcihnachtsglockenläuten?

Wer des Liedes Text begreift,

Dessen pulse schlagen schneller,

Dessen Augen leuchten Heller -
Hört ihr's, wie der Sturmwind pfeift??

P.L.

Die Tat.

Aber ausgerechnet am Dreizehnten?—Bern-
hard, Bernhard . . .!

Kaiserliche Orders liegen sonst in roter
Mappe auf dein Tisch des Hauses. Diesmal
>vars ein weißer Umschlag. Warum? Weil
man nie den Teufel an die Wand malen soll.

„Schickt man sie nach Hause, kommen sie
wieder."

„Dickfellige Kerls, Majestät!"

Die Weltgeschichte würde noch bedeutend
schneller gehen, meint man auch Unter-
schriften telegraphisch geben könnte!

Wettervoraussagen
des hundertjährigen Politikkalenders.

Januar: Konfliktsluft. Am 25. kritischer
Tag erster Ordnung.

Februar: Zu Anfang kritischer Tag zweiter
Ordnung. Berlin kriegt Frost.

März: Starke Stürme. Die Luft ist mit
Elektrizität geladen.

April: Furchtbares Gewitter. Im Reichs-
tagsgebäude schlügts ein. Nachtfrost.

Mai: Zwei kritische Tage wie oben. Großer
Flurschaden. Niederschläge.

Juni: Noch stärkere Stürme. Die Luft ist
schwül. Beginn der Hundstage.

Juli, August: Hundslagsphantasien.

September, Oktober, November: A»S-
wärtige Politik. Ter Regierung verhagelt die
Ernte. Das europäische Gleichgewicht kommt
ins Schwanken.

Dezember: Die Winterstürme setze» un-
vermittelt ein. Kritische Tage ohne Ordnung
und — Wettersturz.

Statistik.

Dem Armen knurrt der Magen
2n dieser Zeiten Not,

Und er beginnt zu klagen
Ob teurem Fleisch und Vrot.

Da kommt der Herr Professor
Und spricht mit ivrisem Mund:

„Du hast — das weist ich besser! —
Znm Klagen keinen Grund.

„Sieh nur in dir Statistik!

Dir lehrt dich, guter Wann,

Mit Ziffern, das; dein Magen
Durchaus nicht knurren kann." —

„Ich spür'« doch!" meint der Arme,
Doch der Professor spricht:

„Die Wissenschaft begreifen
Kann dieses Volk noch nicht!"

S. Fl.
 
Annotationen