Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0027
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5311

Aus bürgerlichen Wahlaufrufen.

i.

Bauernlackels! Euch harmlosen Dreckfinken
braucht man ja nur ein einziges Wort zu sagen:
das Schwein!! — Das einheimische, trichinen-
freie, mehrereZcntnerwiegende, ferkeltragende,
zufrieden quiekende und dankbar grunzende
Schwein. Das glattweg alles frißt, was man
nicht mehr gebrauchen kann, und gegen das
Schlachten erst dann protestiert, wenn's zu
spät ist. Ein Sinnbild treudeutscher Art und
Sitte, das sie besser kennzeichnet, als der
magere Reichsadler. Und die deutsche Politik
ist — das gestehen auch die Gegner — eine
einzige große Schweinerei.

Nun gibt es Kerle — elende Hungerleider,
arniselige Schlucker! — die haben noch kein
Schwein gesehen. Weil sie keins zahlen können,
sondern jeden Groschen in Schnaps versaufen,
und keinen Sparstrumpf in der Kommode
haben, mit blanken Talern drin, und keine
Hypotheken auf dem Dach! Das nennen sie
dann „Fleischnot". — Heiliger Podbielski!!

' Der Bauernstand weiß, daß es bei der ganzen
Geschichte auf möglichst viel Schwein an-
kommt. Erwachsen auf dem Miste seiner Väter,
tritt er daher Mann für Mann an die Wahl-
urne und gibt seine Stimme dem
Bund der Landwirte.

11.

An die Untertanen! Se. Majestät der König
von Preußen haben telegraphiert — unsere
verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist es, zu
gehorchen. Der Reichstag hat nicht gehorcht;
gegen die Herren Offiziere ist er sogar frech
geworden. Weil er keine Spur von Disziplin
"n Leibe hat! Das macht: er ist ein Wechsel-
balg der neuen Zeit, auf die wir pfeifen.

Kameraden!! Ihr habt alle gedient und
jvjht, daß ein knorriger Altpreuße sein Maul
halt und Order pariert. Das Gegenteil davon
^>öt „Reichstagswahlrecht". Dies Wahlrecht
uruß geändert werden. Das kann nur ein ver-
nünftiger Reichstag. Vernünftig ist ein
zjeichstag, wo lauter Konservative drin
!»>d. Nun wißt ihr Bescheid.

Wählt konservativ!
in.

Arier! Stammesgenossen! Wahrt eure hei-
>gsten Güter! Die Juden gehen um. Sie
babeu dem Zentrum 100000 Mark geboten
und dazu die Chefredaktion an der Frankfurter
Zeitung, wenn es die Kolonien durchfallen
wße. Denn an den Kolonien verdienen nur
cynstliche Geschäfte, wie Tippelskirch und

Arormann.

Die Juden sind ein wahres Kreuz. Wenn
sie nicht in die Welt gekommen wären, dann
hätten wir heute auch kein Strafgesetzbuch.
Dies von Juden für Juden erfundene Teufels-
werk zwingt die Gerichte, mich blutenden
Herzens ab und zu einzusperren, wo ich doch
alles nur bildlich gemeint habe. Aber ich
leide gern, denn ich weiß: ich komme noch
mal in den Himmel.

Vorläufig will ich bloß in den Reichstag.
Und darum tut mir den Gefallen und wählt
mich!

Mit bildlich gemeintem Hepp-hepp —

Graf Pückler, Klein-Tschirne.

XU. Der gegnerische Kandidat ist ein Jude
— ich habe ihn ganz genau beobachtet.

IV.

An die Nation! In schwerer Schicksals-
stunde entfaltet die nationalliberale Partei,
getreu ihrer ruhmreichen Vergangenheit, das
Banner der Ideale. Sie hält die Fahne des
nationalen Ansehens mit starker Faust hoch
und führt ihre Wähler festen Schrittes hinauf
zu den lichten Höhen einer Zukunft, wo die
Flagge nationaler Weltmacht weht. Sie hat
das, was der Nation nottut, klar erkannt,
denn sie besteht aus lauter akademisch gebil-
deten Leuten. Wie Drommetenklang rüttelte
der mannhafte Entschluß unseres Kaisers,
seinen unbotmäßigen Reichstag heimzuschicken,
die Nation auf. Mit begeistertem Fanfaren-
geschmetter rückt die akademisch gebildete
Jugend in den Kampf, und wie die Posaunen
von Jericho folgen die alten Herren.

Wähler! Die nationnlliberale Partei hat
ein Programm, das für alle paßt. Sie weiß
zwar selber nicht recht, was sie eigentlich will,
aber sie verpflichtet sich, einer hohen Regie-
rung keine Knüppel zivischen die Beine zu
werfen. Und das ist heutzutage schon viel wert.

Die nationalliberale Partei,

v.

Katholiken! Das Zentrum hat eine Bataille
verloren; Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. In:
Vertrauen gesagt: laßt euch nicht verblüffen!
Die Regierung meint es gar nicht so. Es ist
überhaupt ganz aus Versehen geschehen -
ohne uns können sie ja doch nichts machen!
Auch haben wir noch ^.in paar gute Freunde
da oben; die helfen uns. Und dann rechnen
wir mit verschiedenen Herrschaften ab. Sorgt
also bloß dafür, daß wir gut durchkommen!
Wir müssen alle, alle wieder hinein, und wo-
möglich noch ein paar dazu. Dann helfen wir
auch dem armen, alten Papst in Rom, auf
dem sie heutzutage so herumtrampeln.

Und noch ein Wort, teure Freunde! Seid
klug wie die Schlangen und ohne Arg wie die
Tauben. Nationalliberale könnt ihr ruhig ver-
prügeln — aber ja keine Sozis!! Erstens
hauen sie wieder, und zweitens brauchen wir
sie für die Stichwahlen.

Die Zentrumspartei.

VI.

An das liberale Deutschland! Wie ein
Phönix aus der Asche, so entsteigt der jung-
fräulich-keusche Liberalismus lichtwärts dem
Chaos öden und blöden Parteigezänks. Die
Regierung hat endlich, endlich erkannt, welch
eine furchtbare Gefahr unserer mühsam er-
rungenen Geistesfreiheit durch pfüffische Dunkel-
männer droht. Wem seine Bildung höher steht,
als tierische Magensorgen.— der muß mit uns
flammenden Protest erheben gegen den Versuch,
die geistige Blüte unseres Volkes, die gebildete
Oberschicht des Mittelstandes zu verdummen
und zu verknechten. Es ist der Augenblick, wo
all die unentwegten Fähnlein des aufrechten
Liberalismus voll und ganz zu einander stoßen
müssen, damit er als achtunggebietende Groß-
macht auf den Plan tritt, mit seinem Blut
die Einheit der Gedanken und Ziele zu be-
siegeln. Unfern Naumann haben wir zum
Feldprediger ernannt.

Nun hat schon der alte Fritz gesagt, lieben
Brüder: Kriegführen koste Geld! Das sollte
wohl ein Witz sein — uns ist aber gar nicht
witzig dabei zu Mute. Darum trage ein jeder
.sein Scherflein bei für die große Sache, und
seien es auch nur 5 Pfennig. Alle Gaben sind
zu adressieren:

„Haupt-Kriegskässe im großen Armee-
General-Feld-Oberkomrnando des
vereinigten, unteilbaren liberalen
Kuddelmuddels."

Ausverkauf.

Ab stäubt man mit dem Flederwisch
Oie allerältsteii Ladenhüter;

Oie schäbigsten lackiert man irisch,

Die vielbenutzten„heil'gen Güter".

Doch Michel hat verdacht geschöpft
Und eure Predigt geht verloren;

Zu furchtbar habt ihr ihn geschröpft —

Lr kratzt sich hinter beiden Ohre».

„So oft ich auf den Leim gehupft
Bei euren vaterländ'schen Rummeln,

Habt ihr mich jedesmal gerupft —

Auch diesmal wollt ihr mich beschummeln.

„Ihr seid ein ganz gemeines Pack,

Obgleich kein Rabbi euch beschnitten!"

Lr schiebt die Faust in seinen Sack
Und geht davon mit festen Schritten.
 
Annotationen