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5330 •—

Der Zug nach dem Schloß.

Am Abend war's des Tages,

Des großen Tags der Wahl,

Da zogen tapfre Scharen
Im Hellen Mondesstrahl,

Des Bürgertumes Blüte,

Ein frohbewegter Troß,

Mit lauten Lobgesängen
Wohl vor das hehre Kaiserschloß.

Es trieb ein brünstig Sehnen
Die hochgemuten Helden,

In ehrfurchtsvoller Demut
An höchstem Ort zu melden.

Daß sie, dem Wink gehorsam.
Loyal bis in die Knochen,

Am Wahltag treuen Herzens
Dem Kanzler auf den Leim gekrochen.

Schon ist man nah am Ziele
Laut tönt die Wacht am Rhein,

Da blinken Kriegerhelme
Ringsum im Mondenschein.

And alsobald verstummen

Drommete und Schalmei-

Das Blut stockt in den Adern:
„Das ist, weiß Gott, die Polizei!"

Hei! wie die Plempe sauset.

Hei! wie der Degen sticht.

Die wohlgezielten Hiebe,

Sie prasseln hageldicht
Auf Rücken, Arm' und Beine
And aus die Köpfe heiß.

Auf hurraschrei'nde Mäuler
And auf den sieggeschwollnen Steiß!

Es gab viel rote Wunden
And Beulen, blau und braun.

Nie wurden stolze Recken
So mörderlich verhaun.

Im Rinnstein war gar mancher
Siegfrohe Held zu finden;

Drauf ließen auf der Wache
Sie die Bleffuren sich verbinden.-

Trübselig graut im Osten
Der Morgen bleich und fahl.

Da spricht zum Rentner Schulze
Sein trefflich Ehgemahl:

„Hör auf mit deinen Klagen
And deinem Schmerzgeheul
And schmier ein neues Pflaster
Dir aufs zerschundne Hinterteil!

„Als Stühe der Negierung
Zogst stolz du in den Streit,
Drum trag, was sie dir spendet.
Jetzt in Ergebenheit!

Ganz andre Prügel wirst du
In Zukunft noch besehn:

Du erntest, was du sätest —

Dir altem Esel ist ganz recht geschehn!"

3-S-

MtzllrMmcMurMN.

Berlin. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht die Er-
nennung des Fürsten Bülow zum Reichsstallmeister. Als
solcher hat er alle fünf Iahre die Ration in den Sattel
zu heben.

— Rach der Stichwahl im Wahlkreis Berlin I wurde
das R)ahlklosett des 23. Bezirks, wo die Minister wählen,
gut gelüftet und dann zu ewigem Angedenken ins Zeug-
haus überführt.

— Die Polizei fahndet mit Feuereifer nach den Rädels-
führern des patriotischen Rrawalls in der tzauptwahl-
nacht. Sie sollen preußische Drden kriegen.

Hannover. Das Mandat Breys wird umgestoßen
werden, weil der nationalliberale Vertrauensmann, der
mogeln sollte, besoffen gewesen ist.

Leipzig. Aus dem Transport vom Bahnhof durch die
Stadt entsprang heute ein Gchse. Aber da es ein treuer
sächsischer Gchse war, lief er geraden R)egs zum Schlachter.

Breslau-Ost. Bei einem bekannten Bäckermeister brach
Größenwahn aus. Der bedauernswerte Mann schrie, er
habe einen Fürsten in den Reichstag geschickt, und nun
wollte er vom Polizeipräsidenten seine Stiesel geputzt
haben.

Dortmund. Im Stichwahlkampf verlor die national-
liberale Partei einen ihrer begabtesten Redner. Der Brave
erkrankte am kritischen Abend, als er das zweihundert-
fünfnndsechzigstemal das R)ort „Rationaaal" in den Saal
schmettern wollte, an Maulsperre.

Petersburg. Der Zar verleiht an solche Gouverneure,
die für den Alexander-Rewsky-Gcden reif sind, stets zu-
gleich einen kugelsicheren Panzer.

Belgrad. Im Aonak platzte ein zu stark geheizter Gfen.
Der Aerl, der ihn mitgebracht hatte, war nicht mehr da.

Ronstantinopel. Run hat auch die türkische Marine
wegen der rückständigen Verhältnisse gemeutert. Als man
sie fragte, was sie denn eigentlich so rückständig fände,
hieß es: „Den Sold!" ,

Im neuen Reichstag.

Fürst Hatzfeld (zum Prinzen Hohenlohe):
„Riesig feudal hier! Könnte beinahe glauben,
daß im preußischen Herrenhaus wäre."

Erklärung.

„Der entschiedene Liberalismus wird nie
für eine Revision des Reichstagswahlrechts
zu haben sein — es sei denn, daß sich die Re-
gierung entschließen sollte, sämtliche Redakteure
des ,Berliner Tageblatts' und der .Frankfurter
Zeitung' allerhöchsten Orts zu Reserveoffizieren
vorzuschlagen."

vez Zentrums opposttion.

Das schwarze neugewappnete Korps
Hebt dräuend nach oben die Zaust empor:
„Wir tränken euch das Hetzen ein,

Wir werden nicht mehr die alten sein.

Die Zeit wird's lehren!"

Sie schreien's grimmig und mutbeseelt.

Wir hören das Wort. Doch der Glaube fehlt:
Ls kann die Schnecke nicht aus dem Haus,
Der Pfaffe nicht aus der Kutte raus.

Die Zeit wird's lehren.

Die Herren da oben zwinkern schlau:

Sie kennen sich gegenseitig genau.

Roch etwas Schmollen und etwas Verdruß —
Dann tauschen ste schmatzend den Bruderkuß.
Die Zeit wird's lehren!

Bewilligt wird dann wieder flott,

Und ging es auch in den Staatsbänkrott.
Man düngt mit Gold den Wüstensand
Zür Bülow, Dernburg und Vaterland —
Die Zeit wird's lehren. ... r.e.

Die erste Sitzung.

Als der neue Reichstag versannnelt war,
erschien noch ein 398ster Abgeordneter: der
Weltfriede, und zwar durch die Lustklappe,
wie sich das für einen ehrlichen Engel ziemt.
Der Alterspräsident v. Winterfeld sah ihn miß
trauisch an:

„Was wollen Sie hier??"

„Ich grüße euch, denn ihr seid meine Schuh-
truppe." —

Da erhob sich ein Gebrüll:

„Wir wollen dir schon zeigen, was für 'ne
Schutztruppe wir sind . . . scher dich hinaus,
du verdammter Sozialdemokrat!"

Kolonialexamen.

„Nennen Sie mir die wichtigsten Säugetiere
von Kamerun, Herr Assessor!"

„Nashorn, Leopard, Gorilla und Neger."

An Michel!

Fünf Iahre Lehrgeld weiter
Zahlt Michel wiederum -
Wird ihm denn auf die Dauer
Das nicht einmal zu dumm?

So lange Lehrling zu bleiben!
O Michel, das ist ein Graus;
Es lachen sogar die Russen
Zuletzt dich auch noch aus.

Denn überall geht's vorwärts.
Du bleibst allein zurück.

Ich fürchte, du machst niemals
O Michel, dein Meisterstück!

Wir gratulieren.

Da Fürst Bülow versäumt hat, sich aus der
patriotisch begeisterten Menge, die ihn nach
den Hauptwahlen herausjohlte, einzelne Herren
vorstellen zu lassen, was den guten Eindruck
noch ganz bedeutend verlieft hätte, so wollen
wir's hiermit nachholen. Es waren also da-
zwischen :

1. Der bessere Herr in Zylinder, von Kem-
pinski kommend. Stimmung rosenrot in blau
mit gelben Tupfen.

2. Klamotten-Anna, die vorm „Lokal-An-
zeiger" auf und ab zu gehen pflegt. Bemühte
sich seit einer Viertelstunde, den nationalen
Schwung von Nr. 1 aufs Ewigweibliche ab-
zulenken.

3. Emil, der zu der Anna gehört.

4. Emils Freund Kaschemmen -Ludchen.
Bauernfänger und Taschendieb. Wenn's hoch
kommt, bricht er auch ein.

5. Anton der Stille. Folgte errötend den
Spuren von Nr. 4, weil die Polizei gern
wissen wollte, was Nr. 4 diese Nacht beginnen
ivollte.

6. Der zugehörige „Kriminal".

usw.
 
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