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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0049
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®s Das Bleibergwerk lies Zaren, r»

von Kujjard Wagner.

Der Liedesglut, die spät und kurz, doch heiss und wild den Tllann ergreift,
Der sonst wie Dordlandseis so kühl, so würdig ernst, so ausgereift,
gleicht des sibirischen Sommers Brand, der nicht behaglich wärmt und kost,
Dein, wie das Jener der Prärie im Sturmflug durch die Fluren tost.

Cr haucht den Drachenodem aus: es schmilzt das Gis, es wandelt schnell
Der Schnee sich in den (Diesenbach, Moos schmiegt sich um den jungen Quell,
ÜJie mit des Zaubrers Stab berührt, spriesst auf buntfarb’ger Blumen Pracht;
Doch rasch wie über Dacht es kam, verschwindet rasch es über Dacht.

Doch lacht die karge Sommerszeit im weifen, bergumschlossnen Cal.

Der Kurten neues Strohdach blinkt wie Rauschgold auf im IDorgenstrahl.
Den Bimmel, gelb und rot durchwirkt, umzackt der fernen Bügel Blau,

Und auf smaragdnem Rasen gleisst und zittert perlengleicher Cau.

Das ist kein üppig Cal am Rhein, wo in den Schiefer eingezwängt,

Mit Edeltraubenlast beschwert, eng Rebstock sich an Rebstock drängt,

(Do in dem Keller Fass an Fass ein feuerfliiss'ger Goldschatz ruht,

(Do Reichtum Wohlbehagen zeugt und heitren Sinn und leichtes Blut.

Das ist kein Cal, wo Sonntags laut die Fiedel tönt, das Waldhorn klingt
Und unterm breiten Lindenbaum die Jugend sich im Canze schwingt,

Wo iibermirt'ge Lebenslust aus klaren Jünglingsaugen strahlt
Und kaum verbaltnes Liebesglück der Jungfrau Wangen rosig malt.

Das ist ein armes, stilles Cal. Bier jauchzt man nicht, hier schwelgt mau nicht.
Bier sah, solang die Jurten stehn, kein Mensch ein glückliches Gesicht.

Und warum nicht? Dies grüne Cal gleicht keiner dumpfen Cotengruft.
fluch arm kann man zufrieden sein bei derber Kost in reiner Luft.

Sieb dort mit Gitterfenstereben das strohgedeckte lange Baus.

Dicht düster schaut's und fürchterlich, es schaut nur kahl und nüchtern aus.
Und doch birgt dieses kable Baus von Ostsibiriens Kerkerpal
Die schrecklichste: der Eingang ist's zum Bleibergwerk fllgaszital.

Critt ein und sebaudre nicht zurück vor jenem blutbeklecksten Pflock,

Auf dem die Sträflingsknute liegt, drei Riemen an dem kurzen Stock
Und an den Riemen wuchtige Bleiklumpen, kantig scharfgefeilt;

Das klatscht und reisst ins nackte Fleisch, dass nimmermehr die Wunde heilt.

Komm her und stosse mit dem Juss nicht an das feiste grüne Cier,

Das trunken sich am Boden wälzt, 's ist ein Gendarmenoffizier.

Bier sieh hinab und lausche still in diesen schmalen, dunklen Schacht;

Borst du, wie fern der Pickel tönt tief unten und der Erzblock kracht?

Siehst du das Jlämmcben tanzen dort, schwach leuchtend wie in sumpf'gern Moor
Der Irrwisch? Bord,, die Leiter knarrt, ein Coter steigt zum Lag empor.

Dur einer ist’s, doch Bundertc liess lebend dort der Zar verscharr',,.

Cot für die Welt, verbannt vom Eicht, geschmiedet an den Scbiebekarr'n.

Kein heller Morgen weckt sie auf, kein milder flbenddämmersebein
Ruft sie zur Ruhe, Dacht um Dacht scbliesst sie bei Rast und Arbeit ein.

Ihr Baus, ihr Bett sind Böhlen, die niemals die weisse Sonne schau»,

Die, ein feucht schlüpfrig Lager, in der Stollen nasse Wand gebaut,.

Durch achtzehn Stunden schlagen sie den Pickel in das spröde Erz.

Durch achtzehn Stunden rollt der Karr'n bald aufwärts und bald niederwärts.
Sechs Stunden sperrt man sie ins Loch, ins Moderbett im Stollengang,

So kettet bis zum Lebensend' sich Lag an Lag, oft jahrelang.

Uerfault das Kleid, der Körper mit dickkörn’gen Krusten Staubs bedeckt,

Die riss'ge Baut zersebunden und mit offnen Beulen blau befleckt,

Das Auge stier, der Mund verzerrt, zerfetzt das Baar, der Läuse Jrass,

So vegetiert und stirbt man dort und wird lebend’geu Leibs zum Aas.

Barmherziger war Dero einst, der Ghristcn vor die Löwen warf,
Barmberz’ger Peter Romanow, dess’Richtbeil schwer und schnell und scharf.
Barmherz’ger flrbues, der Mönch, der Ketzer briet im Jlammenstoss,

Als Dikolaus, der 's eigne Dolk verbannt in solcher Bolle Schoss.

Doch beisser als der Bass, der je in eines Menschen Brust gekocht,

Doch wilder als die tollste Wut, die Menschenadern je durchpocht.

Sind Bass und Wut, die Russlands Zar in seinem eignen Dolk geschürt;
Dicht rastet’s, bis es zum Schafott den Cotengräberzaren führt.

Sie ahnen nicht, die eingesargt im Bleibergwerk auf Lebenszeit
Und Ewigkeit, den Siegeszug der rächenden Gerechtigkeit.

Sie ahnen nicht, dass selber schon ihr Cotengräber sich vergräbt

Dor seinem Dolk und Cag und Dacht angstschlotternd vor der Bombe lebt.

Sie ahnen nicht, dass täglich birst ein Pfeiler der Despotenmacht,

Dass bald der Freiheit Morgenrot in ihren Grabeskerker lacht.

Sie abnen’s nicht. Man denkt nicht lang, wenn man im Bleibergwerke karrt
Und stumpf und blöd nur auf den Cod, den sicheren Erlöser, harrt.

Sie ahnen nichts, sie sehen nichts als Stollen, Schacht und Bergmannslicht.
Des Cages Schimmer blendet fast und schmerzt ihr nachtvertraut Gesicht,
Wenn man sie aus der Grube schleppt und oben keiner weiss warum —,
Gebunden an den Geisselpfiock, blutrünstig schlägt und lahm und krumm.

Drum grant s vorm Cag dem alten Mann, der jetzt dem dunklen Schacht entsteigt,
Die Augen fest zusammenkneift und seufzend auf den Karr'n sich neigt,

An den er angeschmiedet ist. Der Ketten dumpfes Rasseln weckt
Den Offizier, der taumelnd sich empor vom harten Lager reckt.

Der trunkne Scherge würgt und spuckt und knurrt den Wärter mürrisch an,
Der mit dem Mann nach oben stieg: „Was hat der alte Schuft getan?“

„0 Däterchen, er ist nicht alt, erst dreissig ist er, doch so greis,

Als war er siebzig, und so schwach wie ein verdorrtes Birkenreis.

„Er spricht nicht mehr, er karrt nicht mehr, nicht schmerzt der Peitsche Schlag ihn
Stumm setzt er sich, so schwach er ist, gen jeglichen Befehl zur Wehr, [mehr;
Und, Däterchen, sein Beispiel wirkt. Der Geist der Widersetzlichkeit
Lebt unten auf, ein Geist, der den Dergrabnen neue Kräfte leiht.“

„Ist’s ein Politischer?“ fragt raub, vom Crunke heiser, der Gendarm.

„Ein Dihilist." — „Peitsch ihn zu Cod und schone Knute nicht und Arm.
Schnell gilt’s zu handeln. Siegreich naht die Rebellion mit Sturmeswehn.
Doch naht sie auch, im‘Bleibergwerk soll keiner mehr die Freiheit sehn."

Der Sträfling hört's und, wie ein rasch Genesender auf grüner 5lur
Im Lenz den würz’gen Odem schlürft der auferstehenden Dafür,

Saugt durstig er die Botschaft ein, die Botschaft, dass die Rache naht,

Dass endlich aus der Cyrannei aufkeimt und blüht der (Freiheit Saat.

Dicht schert’s ihn, dass der Wärter prüft die Riemen an dem kurzen Stock
Der Knute für die Geisselung; das Berz schlägt unterm Sträflingsrock
So freudig ihm, so rasch, so stark, als ging’s zu kühner Heldentat
(lud nicht zum jämmerlichsten Cod. Er bat’s gehört: Die Freiheit naht.

Sein trübes Auge leuchtet auf, und in den grauen Wimpern taut

Der Freudenträne Silberborn. Der Wangen fable Cederhant

Färbt fliicbt’ges Rot. Der Busen schwillt von wundersamem Wagemut.

Zur Cat, zur Cat! Die letzte Cat heischt wild das aufgepeitschte Blut.

Zur Cat, zur Cat, zur letzten Cat! Fest krampft die abgezehrte Jaust
Sich um den erzbeschlagnen Karr’n und schwingt ihn hoch, und pfeilschnell saust
Das schwere Bolz auf des Gendarmen aufgeduns'nen Kupferkopf,
ln Stücke springt der Schädel wie ein jäh zerschellter Blumentopf.

Er sinkt zusammen wie ein Stier, und mit ihm stürzt, der es getan,

Der Dihilist; bell schäumend Blut bricht aus der kranken Brust sich Bahn.
Sein Auge bricht, er stirbt; doch nicht gereut es ihn der schnellen Cat,

Und friedlich lächelnd haucht sein Mund als letztes Wort: Die Freiheit nabt!
 
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