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5336

ein oftelbifcöes 2uKunftsbiUL

„Tja, lieber Brcdow, soziale Frage jetzt wahrhaft befriedijend jelöst. Et jibt erstens keene Fleischnot
nich, zweitens keene Leutenot und drittens brauch' ich keenen Kammerjäger mehr, denn meine Kulis
fressen ja alle Ratten uff, die sie kriegen können."

ÜJir dürfen....

Wir dürfe» höre», wie von unser»! Lande
Der Jremde höhnisch lächelnd spricht.

Und Lag für Lag sich mehre» sehn die Schande,
Ulir dürfen's. Aber nörgeln nicht.

Wenn sie mit 5ron und Steuern uns beschenken,
Uerziehen wir nicht einmal das Gesicht.

Wir dürfen uns verschiednes dabei denken
— Und sogar zollfrei! — aber nörgeln nicht.

Wir dürfen zusehn, wie die schwarzen Krähen
Uns dicht umkreisen, dass das Sonnenlicht,

Des Geistes Eicht, wir nur im Craum noch sehen —
Wir dürfen’s, — aber nörgeln nicht.

Wir dürfen zusehn, wie zu allen Stunden
Die freche Willkür Recht und Satzung bricht,

Und unsre Brüder an den tiefen Wunden
Uerblutcn sehen, — aber nörgeln nicht....

Wir dürfen’s nicht! Und wer da nörgelt, soll
fluch allsogleich zum Wanderstabe greifen
Und soll zusammen mit dem inn’ren Groll
Den deutschen Staub von dem Gewände streifen!

Schön! Aber wenn nun alle Nörgler geh»,

Wer will am Pflug,am Schraubstock, Amboss stehn?
Wer baut die Häuser? Wer wird Erz und Kohlen
Aus giftdurchhauchten Erdenschlünden holen? p.e.

Ein Lichtblick.

Der Reichsverband forderte Wähler, die sich
für keinen vorgeschlagenen Kandidaten entschei-
den konnten, auf, eventuell sich selbst z>t wählen.

Auch der fetteste Spießer, der allen bisherigen
kategorischen Imperativen wie „Wasche mit
Luft!" „Schmücke dein Heim!" „Trinke Gersten-
kaffee!" gegenüber kalt blieb, tvird dem neuesten
Schlager begeistert zustimmen: „Wähle dich
selbst!"

Oh!

Es war an einem Neujahrsmorgen. Leutnant
v. Schmortopfs lag tief in den Federn und schlief
den Schlaf des Gerechten. Eines Gerechten,
der mit gutem Gewissen Silvester gefeiert hat.

Nun hatte dieser Gerechte heuteKirchendienst.
Das war zwar nur Schikane vom Bataillons-
adjutanten, aber leider militärische Tatsache.
Der Bursche ivußte das zu schätzen — der Leut-
nant nicht. Der Bursche baute sorgsam den
vorschriftsmäßigenParadeanzug verwendungs-
bereit auf dem einzigen vorhandenen Stuhle
auf und schielte dann ängstlich zu seinem Leut-
nant hinüber. Der Leutnant schnarchte wie
ein Hamburg-Amerika-Dampfer, der „Voll-
dampf voraus!" fährt.

Drunten traten die Leute an, die Ziviesprache
mit unserm Herrgott halten wollten, alldieweil
das Gesetz es so befahl. Und da so ein Ba-
taillon, unvernünftig wie es ist, nicht von
selbst zur Kirche finden kann, stand es sich die
Beine in den Leib (was ihm nichts Neues
war) ttnd ivartete.

Droben gelang es dem getreuen Heinrich,
durch das unmilitärische, aber wirksame und
deshalb in höchster Not ausdrücklich erlaubte
„Kaltivasserverfahren" seinen Herrn ins dienst-
liche Dasein zurückzurufen. Die angeborene
Intelligenz regte ihre Schwingen und stierte
aus verglasten Augen schläfrig in die Welt.
Dort traf sie auf glitzernde Knöpfe und blanken
Stahl — ein kurzes Stutzen: dann blitzten
Schlag auf Schlag Gedankenfunken durch das
alkoholschwangere Kriegerhaupt, als wär's eine
Geißlersche Röhre. „Besichtigung... Ge-
neral . . . Parade . . . Aufstehen!" Wie
man sieht, bewegten sich die Gedankenfunken
auf dem sogenannten Holzweg.

Aber Teufel Bitru hatte noch iveiter seine
Hand im Spiele; der elektrische Widerstand
verstärkte sich, die Funken wurden seltener und
hörten bald ganz auf. Die körperliche Hülle
streikte. Leutnant v. Schmortopfs sank in die
Kissen zurück, und dem Gehege seiner Zähne
entstohen nur noch die militärisch nicht sehr
lobensiverten, menschlich aber noch viel weniger
schönen Worte:

„Quatsch! — Der Kerl mag kommen und
sich seine Leute selber holen!!" t.

Ordnung muß sein.

Jüngst erhielt ein Arbeiter, der einem an
der Bahn verunglückten Kollegen die erste Hilfe
angedeihen ließ, von der Eisenbahnbetriebs-
inspektion dafür ei» Strafmandat über zwei
Mark wegen unbefugten Betretens der Bahn-
geleise zugestellt.

Die Polizeibehörde voll Düiitmlingshausen
hat sich diesen Vorgang zum Muster genommen,
und als ein Einwohner des Orts bei einer
Kahnfahrt ins Wasser stürzte, von einem Be-
kannten, der ihm nachsprang, aber sofort heraus-
gezogen wurde, überreichte sie dem Lebensretter
ein Strafmandat über sechs Mark wegen —
unbefugten Badens.

Fortschritte der Kultur in Rußland.

Die russische Regierungspresse spricht jetzt
nicht mehr von einer Verbannung nach „Si-
birien", sondern nach — Nord- und Ost-
Rußland.

Man ist in Rußland jetzt überhaupt sehr fein-
fühlig geworden; so sagt man jetzt unter anderem:
statt „Galgen" — Luftschaukel,
statt „foltern" — kitzeln,
statt „Knute" — Rückenkratzer,
statt „Henker" — Himmelspförtner,
statt „Pogrom" — Massenbekehrung!
 
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