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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0069
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- . 6354 —

Festrede zum 18. März

gehalten im freisinnig-demokratischen Verein Muckenich-Dnckedich. Von Sekundus.

Den EiiKclii zieiiit's, der Pater Taten
Mit den etwaigen Resultaten
In edler weise zu erwähnen
Und annoch unerfülltes Sehnen
Bescheiden dabei vorzutragen;

Das ist der Zweck von Jahrestagen.

Zunächst, verehrte Herren, will ich
Bemerken, daß es recht und billig,
wenn den Gedenktag wir begehen,
warum? Das werden Sie gleich sehen.
Sie wissen, dass mit Barrikaden
Und Schießgewehren, scharf geladen,
Danials die Leute demonstrierten,

Die guten Iärschten molestierten.

Das gntzuheißen, war' natürlich
Tür Demokraten ungebührlich;
vielmehr ist offen zu erklären,

Daß Keine Sympathie wir nähren

MtzüratzmaAriHten.

Berlin. Begeistert durch Bülows Donnerwort, daß
sich die Regierung nicht das Maul verbieten lasse, üben
sich hier viele höhere Beamte im Maulausreißen. Aber
das soll verboten werden, weil dabei leicht die Maul-
sperre zustande kommt.

— Der Reichslügenverband plant die Gründung eines
patriotischen Gesangvereins, um mit Hilfe des Kanzlers
als Liedervater in Zukunft der Sozialdemokratie noch
ganz andere Lieder vorzusingen.

Gumbinnen. Der Gutsbesitzer Findig auf Vorwerk
bei Ruhschitten will, da er dicht vor der Pleite steht, aus

Tür Schießgewehr und Barrikaden,

Die doch nur stets der Ruhe schaden. —
Nein, ivenn wir diesen Tag begehen,

So darum, weil er, wie Sie sehen
Gleich werden, eigne Folgen brachte,
An die kein eiuz'ger Kämpfer dachte.
Das Bürgertum — stets weitausschauend
Und niemals Barrikaden bauend —
Bieß die Gelegenheit willkommen
Und hat sie gründlich wahrgenommen,
Den Fälschten hilfreich beizuspringen
Um Dero Gnade zu erringen.

Die Bürgerwehr ist da entstanden
Und wehrte jenen pöbclbanden,

Die — traurig ist'?, doch muß ich'? sagen! —
Am Ende gar den Thron zerschlagen.
Die Bürgerwehr, die edlen öüter
Des Throns und fonst'ger heil'ger Güter,
Die instinktiven Polizisten,

Die braven. Anti-Uommunistcn,

seinen Untertanen eine Zirkustruppe bilden und diese
vorsintflutliche Menschenrasse als Sehenswürdigkeit in
den Hauptstädten Europas zur Schau stellen.

Posen, wegen des bedrohlichen Anwachsens der pol-
nischen Stimmen bei derReichstagswabl hat der Hakatisten-
bund um ein Ausnahmegesetz petitioniert, das polnischen
Familien verbietet, mehr als drei Rinder zu haben.

Petersburg, vor einigen Lagen fand in Peterhof eine
spiritistische Sitzung statt, wie sie noch nicht dagewesen
war. Rikolaus zitierte dummerweise zwei Vorfahren
zugleich, von denen der eine seinerzeit den andern hatte
umbringen lassen. Ls entstand eine fürchterliche Geifter-
prügelei, bei der auch der Zar einige Backpfeifen abbekam.

Die schlau verstanden, den Rebellen
Ganz hinterrücks ein Bein zu stellen. —
Das sind die Väter, deren Taten
wir feiern heut bei wein und Braten!
wir Enkel sind aus gleichem Bolze!
wir fagen's mit gerechtem Stolze,
wenn wir an „Achtundvierzig" denken,
Die Demokratenhüte schwenken,
wenn Tatkraft blähet unsre Brüste,
wenn hehres Polizeigelüste
Die Fäuste läßt zusammenkrallen,

Lebt das Bewußtsein in uns allen:
wir sind die Enkel unsrer Ahnen,
wir wandeln in den gleichen Bahnen,
wir sind der Throne treue Güter,

Sind fromme Bürgerlvehrgemüter;
wir sind die Freisinn-Demokraten,

Die — Bunde aller Potentaten!

In diesem Sinn: Lsipp hipp Hurra!

B'pp hipp Hurra! p—ah! p—ah I

Agranr (Kroatien). Als im hiesigen Rationaltheater
„Die lustige Witwe" aufgeführt wurde, kam es zu Lärm-
szenen, weil die anwesenden Zerben das Stück auf die
Exkönigin Ratalie bezogen.

Nizza. Im hiesigen Finanzinstitut wurden .einem
Händler Diamanten im werte von einer Million gestohlen,
wie, blieb unbegreiflich, denn neben ihm standen nur
einwandfreie Persönlichkeiten, so zum Beispiel ein rus-
sischer Großfürst.

Dar-es-Salaam. Laut Bericht des kaiserlichen Gouver-
nements ist hier nach indischem Muster außer der Rupien-
währung nunmehr auch die Hungersnot .eingeführt. Die
Beulenpest folgt.

fltlolf Sabor.

Am 27. Februar ist im Alter von 66 Jahren in Frank-
furt a. M. der frühere sozialdemokratische Reichstags-
abgeordnete Adolf Sabor, der von Beruf Lehrer war,
nach langjähriger Kränklichkeit gestorben.

In den siebziger Jahren schloß er sich der sozialdemo-
kratischen Bewegung an. Er wurde ^884 in Frankfurt a. M.
als Reichstagskandidat aufgestellt und in der Stichwahl
gegen den Demokraten Zonnemann gewählt. Ls gelang
ihm auch, das Mandat bei den Faschingswahken von ^887
zu behaupten. In der damals nur elf Mann starken
Fraktion hat er treu seine Pflicht erfüllt und sich in seinen
Reden namentlich gegen die brutale Anwendung des
Sozialistengesetzes gewendet.

Im Iahrech890 verzichtete er auf die Kandidatur, zu-
mal sein leidender Zustand ihn schon damals belästigte.
Da er trotz vielfacher Bemühungen keine Besserung er-
zielte, ist er in den letzten \7 Jahren auch politisch nicht
mehr hervorgetrelen. Sein Andenken wird stets hoch-
gehalten werden als eines der Tapferen, die in der schweren
Zeit des Ausnahmegesetzes der Partei in Treue und Stand-
haftigkeit zur Leite standen.

Ein Interview.

Seit Wochen veröffentlichen die großen bür-
gerlichen Blätter sogenannte „Interviews"
über den glorreichen Ausfall der jüngsten
Reichstagswahlen. Um an Aktualität nicht
hinter der übrigen Presse zurückzustehen,
wollen auch wir mit einem Interview an die
Öffentlichkeit treten. Die Bedeutung unseres
Gewährsmannes liegt weniger in seiner
öffentlichen Stellung, als in der Fülle des
Interessanten und Eigenartigen, was er wäh-
rend der Wahl erfahren, erlebt und erlitten
hat. Herr Rentier August Lehmann, Berlin,
Köpenickerstraße, ist einer der nationalen
Kämpfer vom 25. Januar. In der Schlacht
an der Schloßbrücke trug er die ehrenvolle
Verwundung davon, die ihn bis jetzt leider
ans Bett gefesselt hat.

Es war vormittags zehn Uhr, so erzählt
unser Berichterstatter, als ich sein Wohn-
zimmer betrat. August Lehmann erhob sich
gerade vom Frühstückstisch, auf dem ich die
Reste einer großen Weißen und einer Portion
Hache bemerkte. Ein leinener Wickelverband
umgab den Kopf und verhüllte leider die aus-
drucksvollen Züge des Antlitzes. Nur für
das linke Auge und den Mund waren kleine
Öffnungen gelassen.

„Sie sind noch immer nicht ganz hergestellt,"
leitete ich das interessante Gespräch ein. „O,
danke, mit's Saufen jeht's ja schon, Jottlob!
Bloß det Präpeln fällt mir noch'n bisken schwer.
Außer Hache und Rührei kann ick nischt je-
nießen. De Vorderzähne oben un unten sind
zum Deibel. Et war 'n Sauhieb."

Ich gab der Unterhaltung eine mehr politische
Wendung, indem ich mich in diskreter Weise
erkundigte, welche Partei die Ehre habe, Herrn
Lehmann zu ihren Mitgliedern zu zählen.

„Ick bin Mitbejrinder un Ehrenmitjlied
vom Kejelklub Alle Neune", lautete die Aus-
kunft, „und habe mir, im iebrijen von Jugend
uff aus Jeberzeijung de Partei der Nichtwähler
anjeschloffen jehabt. Zu Keenigs Jeburtstag
bringe ick in'n Klub immer bet Hoch aus.
Bloß diesmal jing et nich, von wejen de ver-
droschene Futterluke."

Von den historischen Ereignissen am Abend
des Wahltags gab Herr Lehmann folgende
Darstellung. „Vor den Lokalanzeijer, wo de
Wahlresultate verkindigt wurden, war'n eklijet
Jedrünge. Sowie 'n neiet Siejestelejramm an
de Mauer erschien, jing det Jejröhle los. Ick
hatte schon um elfe Eisbeene jekriegt un wollte
jerne zu Muttern retour, aber et jing nich.
Keener konnte sich in die Bedrängnis vor-
wärts oder rickwärts bewejen."

„Wann erfolgte dann der denkwürdige Auf-
bruch nach dem Kaiserschloß?"

„Det weeß ick nich mehr, wenn det losjing.
Mit eenmal fiehlte ick mir sanft jehoben un
unwiderstehlich nach rechts jedrängelt. Der
Zug bog schließlich in de Linden ein und vor
de Puppenbricke jab et 'ne Verstopfung. De
Siejesjesänge verstummten, det Janze machte
Halt, un ehe ick mir recht besann, laatschte mir
schon 'n Schutzjeist mit flammenden Schwerte
eens ieber de Kohlrübe. Ick hatte knapp Zeit,
'n paar anerkennende Worte zu stammeln, als
ick eenen zweiten Jruß quer in de Flabbe be-
kam, ieber dem ick mit zwei halbe Dutzend-
Vorderzähne dankend quittierte."
 
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