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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0174
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— 5460

suchungsgefangenen nicht schnell genug oder
am Ende gar nicht gestehen wollte. Manch-
mal, wenn auch selten, zeigten sich zwischen
den für gewöhnlich festgeschlossenen Lippen die
beunruhigend großen, gelblichen Zähne, und
seine Augen hatten beim Jnquisitorium jene
blutlechzende Starrheit, jenes schlangenhafte
Festhalten des Opfers, das man eher bei orien-
talischen Despoten, als bei einem preußischen
Untersuchungsrichter vermuten sollte. Er faßte
dann seinen mageren, blonden Schnurrbart,
drehte ihn unaufhörlich und spießte den Gegen-
stand seiner Justiz langsam mit seinem kalten,
lauernden Auge. . .

Ich habe immer gefunden, daß ein solcher
Blick auf einfache Menschen eine große Ge-
walt ausüben kann. Ich fragte den Refe-
rendar, welcher mit der provisorischen Weiter-
führung der Geschäfte des Verstorbenen be-
traut war, nach dem privaten Leben des
Mannes, der sich nun erhängt hatte. Ich
vernahm aber nur das Gegenteil meiner Ver-
mutungen: Or. Gluth sei einer von denen, die
fast nie Alkohol trinken und sich jeder Extra-
vaganz enthalten. Er sollte verheiratet und
sehr zärtlicher Gatte und Vater von zwei
blühenden Kindern sein.

Nun hatte er zum Entsetzen seiner Bekannten
sich selbst getötet. . .

Aber selbst das Ende eines Untersuchungs-
richters verschwindet heute rasch in dem
wirren Taumel der Ereignisse. Ich hatte ihn
fast schon vergessen und lag des Sonntags
vormittags noch im Bett, als ich einen wüsten
Lärm im Nebenzimmer hörte: meine etwas
cholerische Wirtin „unterhielt" sich offenbar
mit ihrer Tochter Elfriede.

„Du Aas! Du jloobst woll, ick habe det
Jeld gestohlen, du, wat?! Det neie Kleed!
. . . nu besaut von oben bis unten! Na warte,
dir wer' ick!"

Sie hatte nicht lange zu warten, die arme
Kleine, ein heftiges Klatschen, das sich wieder-
holte, und das Aufschluchzen des Kindes ver-
riet mir den Verlauf des „Gesprächs" . . .

Ich erhob mich rascher als sonst und ging
über den Korridor in das Zimmer der Frau
die noch immer wütend am Tisch stand und
den mit großen, grünen Flecken beschmutzten
Teil eines Spitzenkleides in eine mit Milch
gefüllte Schüssel tauchte. Zu der Rosafarbe
der Seidenbänder, welche Elfriedens Sonn-
tagsstaat schmückten, bildete dieses Grün, das
der Frühling nicht geboren, einen traurigen
Gegensatz. Der traurigste aber war das liebe
Mädchen selbst, das seine feuerroten Wangen
vor mir in der Gardine versteckte.

„Na, Frau Schulz, Sie fangen ja die neue
Woche recht lebhaft an!" scherzte ich und trat
näher.

Aber ich prallte zurück, so hauchte sie nun
auch mich an.

„Sie reden! Aber lassen Se mal 'ne arme
Witwe mit drei Jöhren! Un alle woll'n se
essen un woll'n wat anständijet uff'n Leibe
haben! Un denn stellt sich so 'n Frauenzimma,
vaflixtet, hin un vasaut sich gleich bei 't erste
mal anhaben die neie Kledasche! . . . Det is
ja, um varrickt zu wer'n! . . . is det ja! .. ."

„Woll'n Sie mich mal sehn lassen, Frau
Schulz?"

Widerwillig tat sie es.

Es gehörte bei näherer Besichtigung des
total verdorbenen weißen Kleides nicht viel
dazu, um festzustellen, daß das Kleid besonders
auf der Rückenbahn von oben bis unten mit
Alizarintinte bespritzt war, und zwar mit jener
grünen, die kein chemisches Reinigungsver-
fahren jemals wieder entfernen kann.

(Fortsetzung Seite 5462.)

Mitternachtsspuk.

Oranier stehn jetzt ausgereiht
Vor dem Berliner Königshaus.

Sie tragen ein Bronze-, kein Marmorkleid;
Sonst sehn sie wie die andern aus. . ..

Die Leiden der neuen Siegesallee
Stehn alle in bekannter Pose:

Das rechte Bein vor, den Blick in die Löh',
Mit Sporn und Stiesel und Reiterhose. —

In der ersten Nacht, als die zwölfte Stund'
Am Schlosse zeigte der große Zeiger,

Öffnete seinen bronzenen Mund
Wilhelm der Erste, genannt „der Schweiger".

Er sprach: „Es scheint mir wirklich fast.

Als hätten sich die Zeiten gewandelt:

Jetzt wird geschäht der — stumme Gast,

Der ohne viele Worte gehandelt!

„Denkmäler setzt man Schweigern jetzt.

Zieht man an anderen Registern?

Nur schad': man macht zu guter Letzt
Ja doch nur Schwätzer zu Ministern." P.E.

Grüne Alizarintinte.

Kriminal-psychologische Skizze von Sans Lyon.

Der Untersuchungsrichter Gluth am Land-
gericht III hatte sich erhängt. Ich erfuhr es, ehe
die Zeitungen die Notiz brachten, von einein
Bekannten, der als Referendar Gelegenheit ge-
habt hatte, Or. Gluth genau kennen zu lernen.

Ich hatte nur amtlich, und zwar in einer
für mich nicht angenehmen Weise mit ihm zu
tun gehabt: „Wegen Beleidigung, begangen
durch die Presse . . ." Das Resultat dieser
Begegnung bestand für mich in einem Minus
von dreihundert Mark, die ich mir, da ich
nicht ins Gefängnis wollte, als junger Jour-
nalist einfach abhungern mußte.

Bei dieser Gelegenheit hatte ich Or. Gluth
persönlich und nahe genug gegenübergestanden:
ein Mensch mit sehr zartem Teint, gelbem
kleinen Schnurrbart und schmaler, gerader
Nase. Überaus korrekt und von einer er-
heuchelten Kühle und Gelassenheit in Haltuilg
und Stimme, die — ganz plötzlich! — einem
katzenhaften Aufschnellen des gefährlichsten
Temperaments wich, wenn einer seiner Unter-

-L» Festgefahren. «s~

Dumakutscher Golowin: Mit solchen Bremsen an den Nädern kommen wir nicht vorwärts,
Mütterchen, der Kot ist zu tief.
 
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