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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0248
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— 5534

An den Essener Parteitag.

Vom Vertraun des Volks Erkürte
Aus dem weiten Deutschen Reich,
Zum Parteitag Delegierte,

Froh willkommen heiß' ich euch!

Prüfen sollt ihr, wägen, richten,
Pfad und Klüfte überschaun;
Manches Dunkel gilt's zu lichten.
Manche Brücke gilt's zu bann.

Frische Saaten anszustreuen
Seid am Werk! Zeigt hier und dort
Zwietracht sich in unfern Reihen,
Schlichtet sie mit weisem Wort!

Reue Heere helft uns schaffen.
Fester knüpft um uns das Band,
And zum Streite neue Waffen
Schmiedet uns mit kund'ger Hand!

Durch Verhaue und Gehege
Frisch voran mit Rat und Tat!
Bahnt zum Ziel uns neue Wege,
Öffnet uns den Siegespfad!

Wilhelm Schmidt 's

Tvilhelm Schmidt, der langjährige Reichstagsabge-
ordnete für Frankfurt a. M., ist am 22. August 1907 im
Alter von 56 Iahren einem Schlaganfall erlegen. Lr
wurde am 28. November 1851 in Frankfurt a. N. geboren,
wo er die Volksschule besuchte und dann Lithographie er-
lernte. Seit 1875 war er in der politischen Bewegung
hervorragend tätig, ertrug seinen Anteil an den Drang-
salen des Sozialistengesetzes mit gutem tzumor und wurde
1890 für Frankfurt a.N. in den Reichstag gewählt, dem
er bis 1906 angehörte, wo er von der Aandidatur zurück-
trat. Die Sozialdemokratie wird die treuen Dienste, die
Schmidt ihr geleistet, stets in Lhren halten.

8pahn unä keim.

Dem wackren Zentrumskönig Spahn
Fjat’s unsre Jlotte angetan.

6r forderte mit lautem Schrei’n:

„Die deutsche Jlotte muss grösser sein!

Und kostct's hundert Millionen Mark —

Uns Patrioten ist das ein Quark!“

UJie lauge ist's her, da befehdeten sich
Der Keim und der Spahn gar fürchterlich;

Sie lagen sich wutentbrannt in den haaren,
Soweit — noch solche vorhanden waren,
nun liegen im firm sich Spahn und Keim
Und reden so süss wie Honigseim.

Jürst Bülow heimlich verstohlen lacht:

„Das habe ich mir ja längst gedacht!“

Geht weiter so der Dinge tauf
Dann wird ganz sicher — passt nur auf! —;
Der Keim ’ne Zentrumsstütze noch mal
Und Spahn wird Slottcnvereinsgeneral . . .

Essen.

Geographische, historische und statistische Notizen für
die Delegierten des Parteitags.

Die Stadt Essen liegt in der preußischen
Rheinprovinz, nicht weit vom Rhein und auch
nicht weit von der Ruhr entfernt. Eine nähere
geographische Bestimmung ist überflüssig, da
die meisten Delegierten mit der Eisenbahn hin-
fahren und der Lokomotivführer den Weg genau
kennt. Diejenigen aber, die zu Fuß einwan-
dern, iverden die Stadt schon von weither an
der großen Menge rauchender Schornsteine
erkennen, denen der Ort seine klimatischen
Vorzüge und nach neueren Forschungen auch
seinen Namen verdankt.

Zur Geschichte der Stadt sei bemerkt, daß
Essen in uralter Zeit von dem Gotte Moloch
gegründet sein soll, während des Mittelalters
eine freie deutsche Reichsstadt war, aber dann
um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts
das Pech hatte, von einer bekannten Jndustrie-
ritterfamilie völlig unterjocht zu werden.

Die sehr fleißigen Einwohner beschäftigen
sich zum rveitaus größten Teil mit Stein-
kohlenbau und Eisengießerei; ein anderer Teil
ist in Färbereien, Brauereien und Ziegeleien
tätig; ein dritter, verschwindend kleiner Teil
der Bevölkerung tut gar nichts und ist dafür
vor kurzem in den Adelstand erhoben worden.
Im übrigen scheint die Stadt an nützlichen
Industrien ziemlich arm zu sein. Ein gut-
gemeinter Versuch, durch Zerschneiden von
Tischtüchern die darniederliegende Textil-
branche deS Ortes zu heben, ist leider völlig
mißglückt, da die Arbeiterschaft Essens in be-
dauernswerter Verblendung sich kein Ver-
ständnis für ihr wahres Wohl beibringen
lassen wollte.

An öffentlichen Wohltätigkeitseinrichtuirgen
mangelt es im übrigen nicht. Für protestan-
tische Krankheiten ist „Huyssens Stift" da,
während rechtgläubige und elternlose Partei-
tagsdelegierke im katholischen Waisenhause
bereitwillige Aufnahme und freundliche Pflege
finden dürften. Auch hat ein Asyl für ver-
lassene Kinder und das Rheinisch-Westfälische
Kohlensyndikat in Essen seinen Sitz.

Zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten
des Ortes gehört die alte Münsterkirche, unter
deren Kunstschätzen sich ein aus Erz gegossener
siebenarmigerLeuchter befindet,den einefromme
Abtissin im Jahre 098 gestiftet hat. Man er-
sieht daraus, daß in der Stadt Essen die
Frömmigkeit und der ihr bienenbe Erzguß
schon in alten Zeiten gepflegt rvurde. Bon
sonstigen religiöseir Gebäuden ist namentlich
die Kruppsche Geschützfabrik zu erwähnen, in
der mit Gottes Hilfe und zum Heile der
protestantischen und katholischen Glaubens-
genossen aller Nationen außerordentlich streng-
gläubig rvirkende Kanonen hergestellt werden.

Das Stadtbild selbst ist überaus reizvoll
und die Straßen sind zum Teil mit geradezu
ausschiveifendem Luxus ausgestattet. Einer
besonderen Berühmtheit erfreut sich das teure
Pflaster, welches kennen zu lernen den Dele-
gierten einen Extragenuß bereiten dürfte. I. ®.

Oes preußischen fretfitms
IDaölrecötsUampfUecl.

Müde hebt das Knickebein
Unsre Rosinante,

Lachte in den Kampf hinein
Führt uns Vossens Tante.

Sanften Sinns und treu dem Block
Stehn wir auf der Warte,

Drauf der Tante Wattenrock
Flattert als Standarte.

Leiser Tritt und leiser Ton,

Vorsicht allerwegen,

Daß wir bei der Reaktion
Anstoß nicht erregen;

Daß nicht die Agrarierschar
Runzele die Stirne
Und der gute Bülow gar
Seinen Knechten zürne.

Mag der Mob im wüsten Streit
Schwingen seine Plempen:

Demut und Bescheidenheit

Ziert den Zreisinnskämpen! 3. s.
 
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