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Der SftatUlub Ivitboi liefert material für einen Itocftuerratsprozeß.
„Da brimtou brauen fe was zusammen, Herr Waehtmeestcr! Ick habe deutlich jeheert, wie eener
sagte: Weg mit den lansijen König!"
Zur Geschichte der Kamarilla.
Von Wilhelm Blos.
VI.
Während die Versammlung nichts zu tun
wußte und sich in aller Gemütlichkeit dieZauber-
formel vom „passiven Widerstcrnd" einpaulte,
war die Kamarilla um so tätiger. Der König
wurde dermaßen bearbeitet, daß er seine bis-
herige Unentschlossenheit überwand und seine
Zustimmung zu der „rettenden Tat" gab; die
Reaktionäre in der Versammlung und das
Ministerium Brandenburg-Manteuffel ver-
ständigten sich, und am 9. November 1848 ging
der Staatsstreich in Szene.
An demselben Morgen, an dem zu Wien
Robert Blum von den Standrechtskugeln
niedergestreckt wurde, am 9. November 1848
erschien zu Berlin in der Nationalversamm-
lung das Ministerium und überreichte eine
königliche Botschaft, die sogleich verlesen wurde.
In derselben hieß es, durch die Tumulte vom
31. Oktober sei die Versammlung in ihren Be-
ratungen gestört worden; um die Ruhe der
Beratungen zu sichern, seien dieselben sofort
abzubrechen und erst am 27. November zu
Brandenburg fortzusetzen.
Der Ministerpräsident Graf Brandenburg
wollte nun das Wort ergreifen, aber der Präsi-
dent von Unruh, der Held des „passiven Wider-
standes", erklärte, er habe dem Ministerpräsi-
denten das Wort noch nicht erteilt. Diese
Großtat wurde von der Linken stürmisch be-
klatscht. Aber der Ministerpräsident erbat sich
nun einfach das Wort und sagte, die Ver-
handlungen müßten sofort abgebrochen werden:
ihre Fortsetzung sei ungesetzlich. Er protestiere
im Namen der Krone dagegen. Er verließ mit
seinen Kollegen den Saal und 77 Mitglieder
der Rechten folgten ihm, während die auf den
Tribünen befindlichen Bürgerwehrmänner in
den Saal hinabriefen: „Verhaften! Ver-
haften!"
Wäre dies geschehen, dann hätte die Krisis
eine andere Wendung genommen. Aber die
Versammlung konnte sich zu keiner Tat auf-
raffen. Sie beschloß, gegen die Vertagung und
Verlegung zu protestieren, und erklärte das
Vorgehen der Regierung für eine Pflicht-
verletzung. Die Regierung hinwiederum er-
klärte diesen Beschluß für null und nichtig.
Es kam nun darauf an, ob die 20000 Mann
starke Bürgerwehr von Berlin sich entschloß,
die Versammlung gegen das Staatsstreichs-
Ministerium zu verteidigen. Aber das Spieß-
bürgertum in Waffen hatte dazu den Mut
nicht. Das Verhalten der Bürgerwehr war
über -alle Maßen kläglich, wenn es nicht eine
mit den Werkzeugen der Kamarilla verabredete
Posse war.
Das Ministerium Brandenburg-Manteuffel
ließ bei dem Kommando der Bürgerwehr an-
fragen, ob dasselbe bereit sei, die „ungesetzlich"
weiter tagende Versammlung aufzulösen. Der
Kommandant Rimpler erwiderte, die Bürger-
wehr sei verpflichtet, die verfassungsmäßigen
Freiheiten zu schützen. Er besetzte hierauf das
Schauspielhaus, damit daselbst die Versamm-
lung weiter tagen sollte.
In der Nacht kamen die Führer der Linken
mit den Offizieren der Bürgerwehr zusammen.
Waldeck und Temme rieten dringend von einem
gewaltsamen Widerstand ab und verwiesen auf
den „passiven Widerstand". Es kamen Depu-
tationen von den Arbeitern, welche für die
Märzerrungenschaften gemeinsam mit dem-
selben Bürgertum kämpfen wollten, von dem
das Proletariat so oft brutal behandelt worden
war. Die Arbeiterverbrilderung bot im Namen
von dreißig Gewerken „ihre Arme und ihr
Herzblut" an; die zahlreichen Maschinenbauer,
damals die kräftigsten Arbeiter von Berlin,
wollten kämpfen, und dreitausend Bauarbeiter
baten um Waffen. Alle wurden abgewiesen,
und man beschloß, sich ruhig zu verhalten.
Berlin hätte sich gegen die von der Reaktion
bearbeiteten Provinzen schwerlich halten können.
Aber die Arbeiter zeigten doch Mut und Ent-
schlossenheit in dieser Krisis, während das
Bürgertum sich hinter die lächerliche Kulisse
des „passiven Widerstandes" flüchtete. Um
6 Uhr morgens trat die Versammlung im
Schauspielhause zusammen und der „passive
Widerstand" ward feierlich proklamiert. Dar-
auf fuhr die Versammlung mit ihren Be-
ratungen fort.
In dieser Idylle wurde sie nach einigen
Stunden gestört, denn nun ließ die Kamarilla
ihren Degen, den General Wrangel, auf dem
Schauplatz erscheinen. Er führte seine Rolle
mit mehr Geschick durch, als man ihm zuge-
traut hatte. Am 10. November, gegen Mittag,
rückte er mit einer starken Truppenmacht
und zahlreichem Geschütz in Berlin ein. Die
„Straßendemokratie" unter den Linden ver-
schwand, und Wrangel ließ seine Truppen auf
dem Gendarmenmarkt rings um das Schau-
spielhaus aufmarschieren. Der Bürgerwehr-
kommandant verhandelte mit Wrangel. Dieser
frug, was die Bürgerwehr wolle. Rimpler
antwortete, sie wolle die Versammlung schützen,
woraufWrangel spöttisch antwortete, das wolle
er mit seinen Truppen auch. Er fügte hinzu,
er werde hier stehen bleiben, bis die Versamm-
lung auseinander gehen werde, auch wenn es
acht Tage dauern sollte und wenn seine Truppen
biwakieren müßten.
Diesen Bescheid übermittelte Rimpler der
Versammlung, welche darauf den Beschluß
faßte, daß sie gegen die militärische Gewalt pro-
testiere und nur dieser weichend den Sitzungs-
saal verlasse. Der Präsident Unruh und der
Bürgerwehrkommandant Rimpler verließen
Arm in Arm das Schauspielhaus, die Abgeord-
neten und die Bürgerwehr folgten, und das
Volk begrüßte den Zug mit lautem Beifall.
Aber nun ließ Wrangel den Sitzungssaal
schließen und das Schauspielhaus von seinen
Truppen besetzen. Als am anderen Morgen
die von Unruh zur Sitzung bestellten Ab-
geordneten ankamen, wurden sie nicht in den
Sitzungssaal hinein gelassen.
Wie ein Ulk hatte die Sache sich abgespielt,
und Wrangel hatte die aus der Revolution
hervorgegangene Volksvertretung gesprengt,
ohne daß auch nur ein Tropfen Blut ver-
gossen worden war. Der Triumph der Kama-
rilla war ein vollständiger.
Der SftatUlub Ivitboi liefert material für einen Itocftuerratsprozeß.
„Da brimtou brauen fe was zusammen, Herr Waehtmeestcr! Ick habe deutlich jeheert, wie eener
sagte: Weg mit den lansijen König!"
Zur Geschichte der Kamarilla.
Von Wilhelm Blos.
VI.
Während die Versammlung nichts zu tun
wußte und sich in aller Gemütlichkeit dieZauber-
formel vom „passiven Widerstcrnd" einpaulte,
war die Kamarilla um so tätiger. Der König
wurde dermaßen bearbeitet, daß er seine bis-
herige Unentschlossenheit überwand und seine
Zustimmung zu der „rettenden Tat" gab; die
Reaktionäre in der Versammlung und das
Ministerium Brandenburg-Manteuffel ver-
ständigten sich, und am 9. November 1848 ging
der Staatsstreich in Szene.
An demselben Morgen, an dem zu Wien
Robert Blum von den Standrechtskugeln
niedergestreckt wurde, am 9. November 1848
erschien zu Berlin in der Nationalversamm-
lung das Ministerium und überreichte eine
königliche Botschaft, die sogleich verlesen wurde.
In derselben hieß es, durch die Tumulte vom
31. Oktober sei die Versammlung in ihren Be-
ratungen gestört worden; um die Ruhe der
Beratungen zu sichern, seien dieselben sofort
abzubrechen und erst am 27. November zu
Brandenburg fortzusetzen.
Der Ministerpräsident Graf Brandenburg
wollte nun das Wort ergreifen, aber der Präsi-
dent von Unruh, der Held des „passiven Wider-
standes", erklärte, er habe dem Ministerpräsi-
denten das Wort noch nicht erteilt. Diese
Großtat wurde von der Linken stürmisch be-
klatscht. Aber der Ministerpräsident erbat sich
nun einfach das Wort und sagte, die Ver-
handlungen müßten sofort abgebrochen werden:
ihre Fortsetzung sei ungesetzlich. Er protestiere
im Namen der Krone dagegen. Er verließ mit
seinen Kollegen den Saal und 77 Mitglieder
der Rechten folgten ihm, während die auf den
Tribünen befindlichen Bürgerwehrmänner in
den Saal hinabriefen: „Verhaften! Ver-
haften!"
Wäre dies geschehen, dann hätte die Krisis
eine andere Wendung genommen. Aber die
Versammlung konnte sich zu keiner Tat auf-
raffen. Sie beschloß, gegen die Vertagung und
Verlegung zu protestieren, und erklärte das
Vorgehen der Regierung für eine Pflicht-
verletzung. Die Regierung hinwiederum er-
klärte diesen Beschluß für null und nichtig.
Es kam nun darauf an, ob die 20000 Mann
starke Bürgerwehr von Berlin sich entschloß,
die Versammlung gegen das Staatsstreichs-
Ministerium zu verteidigen. Aber das Spieß-
bürgertum in Waffen hatte dazu den Mut
nicht. Das Verhalten der Bürgerwehr war
über -alle Maßen kläglich, wenn es nicht eine
mit den Werkzeugen der Kamarilla verabredete
Posse war.
Das Ministerium Brandenburg-Manteuffel
ließ bei dem Kommando der Bürgerwehr an-
fragen, ob dasselbe bereit sei, die „ungesetzlich"
weiter tagende Versammlung aufzulösen. Der
Kommandant Rimpler erwiderte, die Bürger-
wehr sei verpflichtet, die verfassungsmäßigen
Freiheiten zu schützen. Er besetzte hierauf das
Schauspielhaus, damit daselbst die Versamm-
lung weiter tagen sollte.
In der Nacht kamen die Führer der Linken
mit den Offizieren der Bürgerwehr zusammen.
Waldeck und Temme rieten dringend von einem
gewaltsamen Widerstand ab und verwiesen auf
den „passiven Widerstand". Es kamen Depu-
tationen von den Arbeitern, welche für die
Märzerrungenschaften gemeinsam mit dem-
selben Bürgertum kämpfen wollten, von dem
das Proletariat so oft brutal behandelt worden
war. Die Arbeiterverbrilderung bot im Namen
von dreißig Gewerken „ihre Arme und ihr
Herzblut" an; die zahlreichen Maschinenbauer,
damals die kräftigsten Arbeiter von Berlin,
wollten kämpfen, und dreitausend Bauarbeiter
baten um Waffen. Alle wurden abgewiesen,
und man beschloß, sich ruhig zu verhalten.
Berlin hätte sich gegen die von der Reaktion
bearbeiteten Provinzen schwerlich halten können.
Aber die Arbeiter zeigten doch Mut und Ent-
schlossenheit in dieser Krisis, während das
Bürgertum sich hinter die lächerliche Kulisse
des „passiven Widerstandes" flüchtete. Um
6 Uhr morgens trat die Versammlung im
Schauspielhause zusammen und der „passive
Widerstand" ward feierlich proklamiert. Dar-
auf fuhr die Versammlung mit ihren Be-
ratungen fort.
In dieser Idylle wurde sie nach einigen
Stunden gestört, denn nun ließ die Kamarilla
ihren Degen, den General Wrangel, auf dem
Schauplatz erscheinen. Er führte seine Rolle
mit mehr Geschick durch, als man ihm zuge-
traut hatte. Am 10. November, gegen Mittag,
rückte er mit einer starken Truppenmacht
und zahlreichem Geschütz in Berlin ein. Die
„Straßendemokratie" unter den Linden ver-
schwand, und Wrangel ließ seine Truppen auf
dem Gendarmenmarkt rings um das Schau-
spielhaus aufmarschieren. Der Bürgerwehr-
kommandant verhandelte mit Wrangel. Dieser
frug, was die Bürgerwehr wolle. Rimpler
antwortete, sie wolle die Versammlung schützen,
woraufWrangel spöttisch antwortete, das wolle
er mit seinen Truppen auch. Er fügte hinzu,
er werde hier stehen bleiben, bis die Versamm-
lung auseinander gehen werde, auch wenn es
acht Tage dauern sollte und wenn seine Truppen
biwakieren müßten.
Diesen Bescheid übermittelte Rimpler der
Versammlung, welche darauf den Beschluß
faßte, daß sie gegen die militärische Gewalt pro-
testiere und nur dieser weichend den Sitzungs-
saal verlasse. Der Präsident Unruh und der
Bürgerwehrkommandant Rimpler verließen
Arm in Arm das Schauspielhaus, die Abgeord-
neten und die Bürgerwehr folgten, und das
Volk begrüßte den Zug mit lautem Beifall.
Aber nun ließ Wrangel den Sitzungssaal
schließen und das Schauspielhaus von seinen
Truppen besetzen. Als am anderen Morgen
die von Unruh zur Sitzung bestellten Ab-
geordneten ankamen, wurden sie nicht in den
Sitzungssaal hinein gelassen.
Wie ein Ulk hatte die Sache sich abgespielt,
und Wrangel hatte die aus der Revolution
hervorgegangene Volksvertretung gesprengt,
ohne daß auch nur ein Tropfen Blut ver-
gossen worden war. Der Triumph der Kama-
rilla war ein vollständiger.