Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0369
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
- • 5655

darunter Nr>t leide? Das nicht, aber er hat
uns zu unserem Vorteile verholien, und wir
fühlen uns gezwungen, jetzt für Wagner ein-
zutreten. Sie suchen da tüchtige Eisendreher
im Tageblatt, war Wagner nicht tüchtig?"

„Hildebrandt, seid froh, daß Ihr Arbeit
habt," cntgegnete der Direktor ausweichend.

„Nein nein," wehrte Hildebrandt ab, „Sie
haben uns bei Ende des Streiks versprochen,
Wagner bald einzusiellen. Wir haben Ihnen
geglaubt und erhoffe» die Erfüllung Ihres
Versprechens!"

Verlegenheit malte sich auf den Gesichts-
zügen des Herrn. Gar zu gern wäre er den
drei Leuten entwichen.

„Na, da mag er mal Herkommen, der Wagner,
vielleicht macht sich's, aber versprechen," —
hierbei zuckle der Direktor mit den Schultern —
„direkt versprechen kann ich nichts."

„Herr Direktor," Hildebrandts Stimme klang
erregt, „Herr Direktor, ich will wissen, ob,Ja'
oder ,Nein'! Mit .Vielleicht' und .Aber" ist
mir heute nicht geholfen. Denken Sie, Herr
Direktor, Sie sind ein Christ! Heute ist Weih-
nachtsabend. Sie haben Arbeit für andere,
bloß für den einen nicht, der Ihnen in einer
Frage, bei der es sich um sein gutes Recht
handelte, Widerstand geleistet hat. Und dieses
können Sie ihm nicht vergessen? Dessen Familie
kann hungern und zugrunde gehen, dieweil die
anderen, die Reichen, von Christenpflicht und
Menschenliebe triefen, iveil ihnen nichts ab-
geht. Also, Herr Direktor, ein Wort nur noch!
Erfüllen Sie heute Ihr Versprechen?"

Der Direktor wurde rot, als ihn dieser ein-
fache — vielleicht an gar nichts glaubende
Arbeiter an sein Christentum erinnerte. Der
Arbeiter hatte ihn wirklich beschämt, und es
blieb ihm nichts übrig, als seine Zusage zu
geben, daß Wagner seine Arbeit ohne jede An-
frage aufnehmen konnte. —-

In der Wohnung Wagners herrschte große
Freude. Ein Weihnachtsbaum erstrahlte in

hellem Glanze, und Frau und Kinder jubelten
laut. Einige Gläser goldroten Trankes ver-
breiteten einen herrlichen Duft. Lust und Freude
durchzogen den Raum. Knecht Rupprecht war
gekommen in Gestalt des alten Hildebrandt.
Einige junge Kollegen hatten ihn begleitet. Das
Mädel sprang mit einer Puppe, die Jungen
johlten mit den kleinen Pferden und Mutter —
klapperte mit ein paar Talern! Das alles hatte
Hildebrandt mit seiner Liste getan.

Nun ivar er gekommen. Ei» paar Flaschen
billigen Wein für den Glühwein hatten die
jungen Burschen geliefert. Holz und Kohlen hatte
Mutter Wagner besorgt, und unterdes hatte
einer von den Katzenköpfen den Baum herein-
gebracht, die Kerzen entzündet und „Sonnen-
wende" gemacht!

Das ivar ein Jubel und ein Treiben. Die
Mutter hatte mit Kohlensack und Holzbund der
Welt Untergang angesngt, dieweil die Kinder
in Jubel und Lust ersticken wollten.

Die Erzählung der Mutter war ihnen gar so
traurig erschienen. Sie wollten trotz Bravheit
und Klugheit doch nicht daran glauben, was
ihnen Mutter erzählte. Und nun ivar sie Lügen
gestraft, der Kinderglanbe hatte recht behalten.

Da geht die Tür aus!

Der Vater steht wie geblendet im Rahmen
derselben. Die Punschgesellschaft sitzt abseits.
Wohl haben sie Adolf bemerkt, aber keiner tut
dergleichen. Sie stoßen an auf Wagners Wohl.
Man trinkt und ivill ihn nicht bemerken. Adolf
kommt näher, erkennt Hildebrandt und — fallt
ihm um den Hals.

„Freund! Alter! Bist du es?"

Hildebrandt erwehrt sich des Überfalles:
„Na, bist du's, Adolf? Sag' mal, wenn du
in eine anständige Familie kommst, gefälligst
.Guten Abend'!"

„Alter Guter," ist die Entgegnung, sonst
nichts.

Adolf setzt sich zu den Freunden, nachdem
die Grüße ausgetauscht sind. Die Kinder um-

ringen ihn fröhlich, und auch er findet sein
Geschenk. 25 Zigarren sind sein, Freunde sind
sein, und nachdem ihm Hildebrandt alles er-
zählt hat, weiß er auch, daß er wieder Arbeit
hat. Arbeit! Sein Stolz und sein Leben!
Arbeit! Sein Glück und seine Freude!

Und wie er alles weiß und alles erfahren
hat, erhebt er sein Glas und spricht zu seinem
braven, treuen Weib: „Siehst du, Weib, alles
ist Schaum und Trug, das einzige, ivas kein
Sturm wegweht, ivas jung und kräftig ist wie
das kleine Tannenbäumchen dort, das aber nie
verdorren wird, das ist unser Zusammenhalt,
das ist die Solidarität! Sie lebe hoch — hoch
— hoch!"

Und alle stimmten freudig ein.
o o o

Stille Nacht, heilige Nacht I

(Weihnachtslied.)

Stille Nacht, heilige Nacht!

Tannengrün, Lichterpracht
Rufen frohe Hoffnung wach:

Einst wird's wieder lichtheller Tag!

Sonne, lvache auf!

Stille Nacht, heilige Nacht!

Grimmig tobt Winlersnacht;

Blumen, Laub und Lerchenschlag
Schwanden hin in Eis und Nacht.
Frühling, wache auf!

Stille Nacht, heilige Nacht!

Sklavcnsinn, Lerrenmacht
Schlug die Menschen in Fessel und Schmach!
Fern schon leuchtet der Freiheit Tag:
Menschheit, lvache aus! Lerm.Lavepkamp.
 
Annotationen