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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0376
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5662

öermamas Stolz.

„Da können meine lieben Nachbarn sagen, was sie wollen — den schönsten Saustall Hab' ich doch!

•>x<—

Zur Geschichte der Kamarilla.

Von Wilhelm Blos.

VII lSchluß).

So schnell, ivie die Helden der Kamarilla
es sich träumten, ging es aber mit der Rück-
wärtserei in Preußen denn doch noch nicht.
Die Wahlen zur Zweiten Kammer brachten so
viele demokratische Elemente in dieselbe, daß
der Realtion entschiedener Widerstand geleistet
iverden konnte. Die Kamarilla mußte auf
einen Vorwand warten, der Kammer zu
Leibe zu gehen, denn wenn Berlin auch von
der Säbelherrschaft Wrangels niedergehalten
wurde, so war doch die Aufregung im Lande
groß. Namentlich am Rhein, wo die Sozia-
listen zum entschiedenen Widerstand gegen
die Staatsstreichsregierung aufforderten. Karl
Marx und Ferdinand Lassalle wurden dafür
vor Gericht gestellt.

Der König von Preußen lehnte die ihm von
den „Kaisermachern" des Frankfurter Parla-
ments angebotene Krone ab. Während das
Verfassungsiverk in sich selbst zusammensank
und das demokratische Bürgertum dasselbe
durch mehrfache Schilderhebungen vergeblich
zu retten suchte, bereitete die Kamarilla den
Stoß gegen die Zweite Kammer in Berlin vor.
Diese hatte beschlossen, die Frankfurter Ver-

fassung als rechtsgültig anzuerkennen, wobei die
Vertreter der Kamarilla in der Kammer gegen
die deutsche Einheit geradezu tobten. Bismarck
und Kleist-Retzow wollten ein großes Preußen,
kein einiges Deutschland. Kleist-Retzow meinte
sogar, er würde sich eher zerreißen lasse», als
die Frankfurter Verfassung billige». Später
nahmen diese Junker die „nationale" Pose an,
und Bismarck hat dadurch, daß er eine „liberale"
Maske vornahm und das Bürgertum täuschte,
ungefähr das erreicht, was er 1848 wollte. Denn
niemand wird behaupten wollen, daß das
Deutsche Reich ein Aufgehen Deutschlands in
Preußen gebracht habe.

Die Zweite Kammer fuhr in ihrem Wider-
stand fort. Damals stießen auch Bismarck
und Kinkel zusammen. Bismarck sprach offen
aus, man müsse die Demokratie mit Waffen-
gewalt niederwerfen, worauf Kinkel antwortete:
„Dann werden wir den Zorn, den Hunger,
die Not und das Proletariat des Volkes in
den Kampf führen!" — In Berlin sollte es
dazu nicht kommen.

Die Kammer wollte zunächst gegen den von
Wrangel verhängten Belagerungszustand Vor-
gehen. Die dazu niedergesetzte Kommission
ernannte Lothar Bücher, die spätere „rechte
Hand" Bismarcks, zum Referenten. Die Kom-
mission beantragte, den Belagerungszustand

für ungesetzlich zu erklären und die Regierung
aufzufordern, ihn aufzuheben. Der Beauf-
tragte der Kämarilla in der Regierung, Herr
v. Manteusfel, entwarf nun von den Zustän-
den in Berlin ein so schauerliches Gemälde,
daß dem furchtsamen Philistertum sich die
Haare empor sträuben mußten. Er sprach von
den „fürchterlichen Reden", die in der soge-
nannten Majorsnacht, in der doch die Offi-
ziere der Bürgerwehr deren widerstandslose
Auflösung beschlossen hatten, gehalten wor-
den seien; er wies einen geheimnisvollen Auf-
ruf, gezeichnet „Wullenweber", vor, in dem
auf die Köpfe der Fürsten Preise gesetzt waren;
er sprach davon, man habe bei einer Haus-
suchung bei dem Schuhmacher Hetze! sieben
bleierne Handgranaten gefunden, mit denen
die „sozialdemokratische Republik" begründet
werden sollte, usw. So ließ er das rote Ge-
spenst aufsteigen, um den Belagerungszustand
zu begründen.

Die Mehrheit der Kammer lachte über diese
Schauermären und beschloß nach den Anträgen
der Kommission. Nun fand die Kamarilla den
geeigneten Moment zum Einschreiten gekom-
men. Sie trieb das „Ministerium der retten-
den Tat" zur Auflösung der Kammer. Am
27. April 1849 erging das Auflösungsdekret;
die Erste Kammer wurde vertagt. Die Auf-
lösung wurde mit der Behauptung begründet,
die Kammer habe ihre Befugnisse überschritten.

Diese armselige Begründung war aber denn
doch eine zu starke Zumutung, und die Spren-
gung der Kammer rief in Berlin eine sehr
starke Aufregung hervor. Das Volk strömte
in Masse auf den Straßen und öffentlichen
Plätzen zusammen; viele Tausende sammelten
sich auf dem Dönhoffsplatz. Allgemein wurde
angenommen, es werde den Abend „losgehen".
Unter der Bolksmasse befanden sich auch Sol-
daten. Abends kamen einige Offiziere herbei,
um die Soldaten in die Kaserne zurückzuführen.
Darüber kam es zu Streitigkeiten; die Offi-
ziere zogen die Degen, wurden aber mit Stan-
gen und Latten angegriffen und vertrieben.
Aus der nahen Kaserne kam eine Kompagnie
Grenadiere auf dem Dönhoffsplatz angerückt
und ward von dichten Volksmassen umdrängt.
Die Soldaten schossen scharf, angeblich „in die
Luft", aber sie töteten vier Menschen, darunter
eine Frau, und verwundeten mehrere. Die
Aufregung in der Stadt stieg und die Volks-
massen wurden dichter; auch das Militär er-
hielt Verstärkung und den Befehl, „nur im
Notfälle" zu schießen. Den Aufforderungen,
auseinander zu gehen, leistete das Volk keine
Folge; es wurde mit dem Bajonnet ausein-
andergetrieben. In der Leipziger Straße gab
es zwei Barrikaden, die aber beim Anrücken
des Militärs nicht ernsthaft verteidigt wurden.
Man hörte noch mehrere Gewehrsalven, aber
es wurde nur blind geschossen. Gegen Mitter-
nacht war alles vorüber. Die revolutionäre
Energie des Berliner Volkes war nach so vielen
Enttäuschungen durch das Bürgertum erlahmt.

Die Demokratie tat, als habe sie einen Sieg
erfochten, was unter den damaligen Umständen
so lächerlich als möglich war. Sie war viel-
mehr endgültig niedergeworfen.

Nun führte die Kamarilla einen Hauptstreich;
sie bewirkte, daß ein neues, und zwar voll-
kommen reaktionäres Wahlgesetz oktroyiert
wurde. Dasselbe war aus der sogenannten Drei-
königsverfassung genommen, welche Preußen
gemeinsam mit Sachsen und Hannover den
Deutschen hatte aufdrängen wollen, ein Ver-
such, der am Widerstande Österreichs und der
süddeutschen Staaten gescheitert war. Dies
Wahlgesetz war kein anderes alz das fanwse

Fortsetzung S. 5664.
 
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