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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 25.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.6608#0003
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5671

neiüaörsbetradtmmg.

Bülow: Wenn das Jöhr bet nich schluckt, krieg' ick den Durchfall!

ftobelfpäne.

Es tönen vom Turm die Glocken
So fröhlich zum neuen Jahr,

Es dreht sich die alte Erde
Noch heut wie immerdar.

Es ist eine alte Wahrheit,

Doch immer von neuem Gewicht,

So oft sie schon verkündet:

Stillstand — den gibt es nicht.

Die ewige Bewegung
Jst's, die der Menschheit frommt,
Weil dabei, was sonst drunten,

Auch mal nach oben komnit.

Die „schwarze Liste" der Berliner Grundbesitzervereine enthält
über zehntausend Namen „fauler Mieter". Von der Aufstellung einer
Liste „fauler Hausbesitzer" hat der Mieterverein abgesehen, da sie
zu mnfangreich ausfallen würde. *■

Der Reichstag fragt sich: Wohin geht die Reise?

Wo endet sie? Soll man sich treiben lassen?

Es läßt das Ziel sich in die Worte fassen:

Viel neue Steuern, höh're Warenpreise!

Nachdem sich Müller-Meiningen in seiner Rede zum Reichsvereins-
gesetz so intensiv mit der Blockfrucht beschäftigt hat, die den deutschen
Frauen in den Schoß gefallen ist, soll die Absicht bestehen, ihn zur-
Reichs-Hebamme zu ernennen. Ihr getreuer Säge, Schreiner

Glossen.

Der Wilhelmsburger Gemeinderat lehnte
den Antrag, zwei neue Straßen Herwegh- und
Heine-Straße zu nennen, ab.

Das ist auch ganz in der Ordnung. Wenn
man durchaus Straßen nach Dichtern benennen
will, sollte man doch lieber zeitgenössische
nehmen, zum Beispiel Albert Träger oder den
Kadetten Willy Ramdohr.

Während der siebenunddreißigjährigen Re-
gierung Königs Oskar von Schweden ist kein
Majestätsbeleidigungsprozeß vorgekommen,
obgleich es einen besonderen Majestätsbeleidi-
gungs-Paragraphen gibt.

Will der neue König diesen alten Schlendrian
nicht weiter einreißen lassen, so wird er schon
bin paar preußische und sächsische Staats-
anwälte importieren müssen.

In Westpreußen mußte jüngst ein Knabe
lange Zeit in Zeugniszwangshaft sitzen.

Dies beliebte Verfahren will man nächstens
auch gegen uneheliche Säuglinge zur Er-
forschung der Vaterschaft anwenden. . . .

Selig sind die geistig Armen!

Viel Schlimmes muß man leider hören:
Es steckt im Volk die Skepsis tief —
Dagegen in den höchsten Sphären
Ist man, gottlob, noch recht naiv.

Dem Bülow hat die Kamarilla
Den Seelenfrieden nie gestört.

Von dem, was in der Adlervilla
Geschah, hat Einem nichts gehört.

'Was von den Dächern schon seit Jahre»
Frisch.fröhlich pfeift das Spayenheer,
Davon hat niemals was erfahren
Vom Gardekorps der Kommandeur.

And da wagt jemand noch zu sagen,

Daß fromme Einfalt, keusche Scham
In gegenwärt'gen schlimmen Tagen
Dem deutsche» Volk abhanden kam? J.s.

Die deutsche Frau.

Der Antisemit Bindewald im Reichstag: „Die Frau
gehört ins Laus."

Mit Stentorstimme es erschallt:

„Die deutsche Frau gehört ins Laus!"

Der gute Teutsche Bindewald

Grub dies als neu'ste Weisheit aus. . . .

Es ist ein alt, urewig Recht,

And nur ein Frevler mag's verletzen:

Es muß das weibliche Geschlecht

Zum Strickstrumpf sich und Kochtopf setzen!

Es denke nichts im Rosenjoch
And träume nur vom Mittagsmahl!

Die Köchin nur ist immer noch
Des Teutschen Frauenideal. . . .

Doch — gibt es nicht in deutschen Landen
Schon eine Million Frauen mehr?

And steht in harten Arbeitsbanden
Von Frauen nicht ein ganzes Leer?

„Das ist egal. Ich weiß genau:

Sie muß ins Laus!" schreit er empört.

-Vielleicht sagt uns mal eine Frau,

Wohin der Bindewald gehört.... x

Lieber Jacob!

Also de Bäcker sollen kleenere Semmeln
backen — sagt der heilige Paasche — denn
wird det Volk janich merken, det bet Brot teirer
jeworden is. 'n feiner Jedanke, uff dem ooch
bloß 'n nazjonalliberaler Professer kommen
kann! Aber wat helfen uns de Semmeln?
Von die alleene kann der Mensch nich fett uil
jlicklich werden. Ick mechte Paasche'» Vor-
schlägen, det er lieber jleich ’n Jesetzentwurf
ausarbeetet, wonach alle deitschen Maße un
Jewichte sor de Dauer der Hungersnot uff
de Hälfte zu verkleinern wären. Denn wirde
jeder Reichsanjeheerije sor'n Liter Milch un
for'n Pfund Fleesch jenau detselbe zu bezahlen
haben, als wie frieher, wo et noch keene Ajrarjer
nich jab, un de boshaft jesinnte Presse hätte
keene Meeglichkeet nich, det Volk durch de

Vereffentlichung der jejenwärtig herrschenden
Notstandspreise uffzuhetzen. Wat meenste da-
zu, heiliger Paasche?

Schreckliche Jeschichten kriegt man aus Por-
tujal zu Heeren. Dort is det Volk so verblendet,
det et sich sojar aus seinen anjestammten Keenig
nischt mehr macht un ihm sor entbehrlich er-
achtet. Un dabei soll der Monarch trotz die
drittehalb Zentner, die er wiejen tut, noch
immer mit scheenem Erfolje sor de Bevelke-
rungszunahme in seinem Lande tätig un ieber-
haupt ooch sonst durchaus un offensichtlich von
Jottes Jnaden sind.

Objleich de deitsche Nazjon im alljemeenen
ville friedlicher jesonnen is, als wie de Portu-
jiesen, so jiebt et doch ooch bei uns hin un
wieder 'ne kleene pollitesche Erderschitterung.
In de erste Dezemberivoche war zum Beispiel,
wenn man de birjerlichen Zeitungen jlooben
derf, der Bestand des Deitschen Reiches ernst-
lich bedroht. De Bengels von 'n sojenannten
Block konnten sich unter 'nander un mit ihren
jemeinsamen Ziehvater Bülow nich länger
vertragen. Se schimpften sich jejenseitig krum-
mer Hund un boten sich in ihre Presse en
paar in de Fresse an. Da jeder von die
Kämpfenden vollständig recht hatte, so war et
immerhin schwierig, de erhitzten Jemieter zu
beruhijen. Aber Bülow'n is et am Ende doch
jelungen. Er langte sich de feinsten Blockköppe
zu 'ne private Besprechung hinter de Kulissen,
un mit Hilfe von diese Leite, die det mangelnde
pollitesche Schenie durch noble Jestnnung zu
ersetzen scheinen, wurde det Vaterland wieder
mal jerettet. Mit 'n scheenen Kleister aus
Spucke, Dreck un Wehmutstränen is der zer-
brochene Topp jekittet worden un et kann nu
in de nazjonale Blockpolletik wieder 'ne kleene
Weile weiterjewimmert werden. Lange wird
et ja woll nich dauern, bis in den Bruderkreis
wieder de erste Backpfeife fällt — aber schad't
nischt: de Versöhnungsszenen haben ooch ihren
Reiz un et is jut, det et ooch in't neie Jahr
in'n Reichstag mal wat zu lachen jibt!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein

jetreier Jotthilf Rauke,

an'» Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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