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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 25.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.6608#0012
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— 5680

Pläne das Hirn des Unseligen beschäftigten —
wessen Phantasie vermochte das zu ergründen?
Zweifellos hatte man hier den geistigen Lenker
der Verschwörung vor sich, der gerade über
einem großen Geschäfte brütete! Dieser Ort
war also der lang gesuchte Herd, von dem
aus die Fäden der revolutionären Bewegung
über das schwergeprüfte Zarenreich gesponnen
wurden!

Die Polizeibeamten waren sich der Be-
deutung des Momentes voll bewußt und eine
freudige Erregung bemächtigte sich ihrer. Das
erste, was ihnen als verdächtig in die Augen
fiel, war eine an der Wand befestigte Rolle ge-
schmeidigen, aber widerstandsfähigen Papiers,
das, in regelmäßigen Abständen durchlöchert,
sich mühelos in länglich viereckige Blätter tren-
nen ließ, die, wie sofort festgestellt wurde, ge-
nau der Größe der russischen Hundertrubelnoten
entsprachen. Dann fiel das Auge der Polizei
auf einen handfesten, kurzen Holzstab, an dessen
Ende eine walzenförmige Bürste befestigt war.
Welcher Scheußlichkeit dieses Instrument zu
dienen bestimmt sein sollte, konnte bisher noch
nicht mit Sicherheit sestgestellt werden. Da
der Verbrecher keine Anstalten machte, sich von
seinem Sitz zu erheben, so lag die Vermutung
nahe, daß er unter sich allerlei wertvolles
Material zu verbergen hatte, und man ent-
fernte den sich heftig Sträubenden unter An-
wendung von Gewalt.

Dabei wurde die überraschende Entdeckung
gemacht, daß der Sitz des Stuhles, auf dem der
Verschwörer Platz genommen hatte, nach unten
in eine trichterförmige Öffnung auslief, die —
darüber konnte kein Zweifel bestehen — in
einen unterirdischen Gang mündete. Man war
also offenbar einer Minenanlage auf die Spur
gekommen. Allerdings vermochte man das
Vorhandensein von Sprengstoffen nicht gleich
festzustellen. Doch entdeckte man in der trichter-
förmigen Öffnung reichliche Mengen eines
Stoffes, der nach dem sachverständigen Urteil
des Herrn Polizeiassessors v. A. zur täuschenden
Herstellung des neuen russischen Goldgelbes
durchaus geeignet erschien. Die Polizei nahm
auch diese schwer belastenden Dokumente in
sichere Verwahrung, versiegelte die Wohnung
und schaffte den Verbrecher, der in der Todes-
angst keinen Laut von sich zu geben vermochte,
unter Bedeckung stark gefesselt nach dem
Alexanderplatz.

Leiderist es uns bisher nicht gelungen, über
die Person des verhafteten Verschwörers eine
völlig klare Auskunft seitens der Polizei zu
erlangen. Wie wir hörten, soll es sich aber
um einen vor kurzem nach Berlin gezogenen
Taubstummen handeln, dessen Beruf unbekannt
ist, der sich aber nach Meinung der Behörde
höchst wahrscheinlich durch Klavierstimmen
ernährt. Die Untersuchung schreitet rastlos
vorwärts. An den preußischen Minister des
Innern und an die russische Botschaft werden
tägliche Berichte über den Fortgang der Ent-
hüllungen erstattet. I. S.

Ernüchterung.

Wie dem armen Freisinn von seinem lieben Weihnachtsspielzeug
übel mitgespielt wurde.

—-

Der tapfere Freisinn.

Leise, leise! Edle, weise
Liberale Mummelgreise,

Damit all die Lerrn da oben
Uns ob des Betragens loben!

Opponieret nur im Stillen,

Doch nicht laut — um Gotteswillen —
Daß der Block nur nicht erschrickt
Und uns unter sich erdrückt.

Laßt das Trommeln und Trompeten
Ruhe ist uns sehr vonnöten.

Ja, in der Beschränkung zeigt
Sich der Meister: Also schweigt!

Bald, ja bald zeigt sich das Glück

Der „realen Politik" —-

Eines nur verschafft uns Sorgen:

Äält der Block noch übermorgen?? x

Das Verschwörernest.

Bericht für das »Berliner Tagblatt".

Wiederum ist unserer politischen Polizei ein
glänzender Coup gelungen. Schon lange hatte
sie durch zuverlässige Späher erfahren, daß im
Norden der deutschen Reichshauptstadt sich ein
Hauptquartier der russischen Revolutionäre be-

findet, das gewaltige Mengen von Spreng-
stoffen, verbotenen Druckschriften, Falsch-
münzerapparaten,Höllenmaschinen, Giften und
Dolchen enthielt. Am gestrigen Morgen drangen
daher fünfundzwanzig stark bewaffnete Beamte
in die von den Spähern bezeichnete Wohnung
ein. Aber wie groß war ihr Schmerz, als sie
das Nest völlig leer fanden! Mutvoll durch-
suchten sie alle Räume, öffneten sämtliche
Schränke, erbrachen die Kommode und beschlag-
nahmten die auf dem Tische liegende „Vossische
Zeitung", die einzige Druckschrift, die sich in
der Wohnung vorfand.

Schon wollten die wackeren Beamten die
Stätte enttäuscht verlassen, als der leitende
Regierungsrat eine kleine, bisher nicht be-
achtete Tür entdeckte. Man rüttelte und lauschte
gespannt; ein leises Stöhnen drang an das
Ohr, die Tür war von innen verriegelt. Sie
einschlagen und mit entschlossenen Schritten
in den geheimnisvollen Raum dringen, war
das Werk eines Augenblicks. Ein höchst selt-
samer Anblick bot sich nun dar. In dem engen,
durch ein kleines Milchglasfenster erleuchteten
Kabinet saß auf niedrigem Stuhle in kauernder
Stellung ein männliches Jndividium mittleren
Alters, die Ellenbogen auf die Knie und das
Knie in die Hände gestützt, offenbar in tiefes
Nachdenken versunken. Welche verbrecherischen
 
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