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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 25.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.6608#0222
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5890

Nun ist auch der lebensfrohe „Pfalzgraf" den weg ge-
gangen, von dem es keine Rückkehr gibt. Am 6. Februar
H853 in Lschbach in der Pfalz geboren, ist Franz Iosef
Lhrhart nur erst 55 Jahre alt geworden. Aber so reich
sein Leben im Anfang an Not und Lntbehrung war, so
erfolggekrönt war es in den letzten Jahrzehnten, und es
gestattete unserem toten Freunde noch, die von ihm selbst
gestreute Laat reifen zu sehen. Lr konnte mit dem stolzen
Bewußtsein von uns scheiden, nicht vergebens geschafft
und gelitten und den Rampf mit den Feinden seiner Rlaffe
erfolgreich ausgenommen zu haben.

Seine Jugend war bitter. Allen Fährnissen eines gegen
Entgelt in Rost gegebenen Ziehkindes war er äusgesetzt.
Die Zuwendungen seiner Mutter, einer braven Dienst-
magd, wurden ihm von seinen Pflegeeltern meist unter-
schlagen. Ia sogar zum Holzdiebstahl haben sie ihn ver-
leitet, wofür er als Rind noch vom Gendarmen auf
24 Stunden ins Gefängnis abgeführt wurde, und es ist
ein Beweis für die Vortrefflichkeit seiner Gharakter-
anlagen, wenn aus ihm ein Mann geworden ist, der
alles Schlechte und Niedrige verachtete und ein leuch-
tendes Vorbild uneigennützigen Ltrebens im Dienste der
Allgemeinheit gegeben hat.

Nachdem er die Dorfschule in Lschbach zwei Iahre
und in Fürth, wohin seine Mutter übergesiedelt war,
weitere fünf Iahre die katholische Volksschule besucht
hatte, erlernte er von ^866—^869 das Tapeziererhand-
werk, um dann auf die Wanderschaft zu gehen, die ihn
nicht nur durch Deutschland, sondern auch in die Schweiz,
Belgien, Frankreich und Lngland führte. Hatte ihn die
Schule in Fürth bereits mit seinem späteren Parlaments-
kollegen Segitz zusammengeführt, so lernte er in Mann-
heim, wo er bald nach der Lehrzeit arbeitete, August
Dreesbach kennen, mit dem ihn eine enge, alle Phasen
des Lebens überdauernde Freundschaft verband, die für
die Arbeiterbewegung von Baden und der Pfalz von
reichem Ertrag gewesen ist. Roch nicht achtzehnjährig,
hatte sich Lhrhart der Partei angeschlossen, und kaum

Franz Josef Ehrhart t

mündig, stand er schon wegen preßvergehen vor dem
Schwurgericht in Mannheim, wo er dem Staatsanwalt
v. Marschall gegenüber bereits Proben seines trockenen
und schlagfertigen Mutterwitzes ablegte. Als zielbe-
wnßter Aämpfer ging er ins Ausland, und es ist prächtig
nachzulesen, was er über die pariser und Londoner Zeit
in den Neue Welt-Aalendern von J908 und J909 zu
plaudern wußte.

In London stand er stark unter Johann Mösts Ein-
fluß und hatte viele aufregende und ergötzliche Rümpfe
mit deutschen Polizeispitzeln auszufechten. Im Iahre
J883 nach Deutschland zurückgekehrt, zeigte er bald, daß
die anarchistelnden Rreise der Mostschen „Freiheit" sein
Wesen nicht tiefer berührt hatten — selten hat sich einer
mit gleichem Geschick in den weit schwereren Aufgaben
der praktischen politischen Cagesarbeit zurechtgefunden
wie Franz Iosef Lhrhart, den seine Ludwigshafener
bereits J889 zum Stadtrat wählten, während er J893
als einer der ersten fünf Abgeordneten in den bayerischen
Landtag einzog und 1(898 auch den Ludwigshafener
Neichstagswählkreis eroberte.

Mit den politischen Erfolgen Hand in Hand ging die
Festigung seiner persönlichen Existenz. Lhrhart hatte in
Ludwigshafen ein Tapezier- und Möbelgeschäft gegründet
und führte dort ein glückliches Familienleben. In der
bayerischen und deutschen Parteibewegung war er eine
einflußreiche und charakteristische Erscheinung, und mit
seinem sarkastischen Humor hat er oft aus die Parteitags*
Verhandlungen bestimmend einzuwirken vermocht. Leit
einiger Zeit litt er an nervösen Abspanuungserschei-
nungen, die er vergeblich zu bannen suchte. Am 2t. Juli
ist er einer Gehirnlähmung erlegen, die ihn seiner Familie,
seinen Freunden und der ganzen deutschen Arbeiterschaft
für immer entriß. Tausenden und aber Tausenden ist er
im Leben ein Freund und Berater, Lehrer und begeistern-
der Führer gewesen; allen, die ihn kannten, wird er un-
vergeßlich bleiben, und sein Name wird in der Geschichte der
deutschen Sozialdemokratie einen Ehrenplatz finden. b.K.

feriemLclegramme

aii5 sämtlichen politischen Sommerfrischen.

Berlin. In den Ministerien und Reichsämtern sind
anderthalb Millionen Bureaufliegen dem tzungertode nahe,
weil alle jene staatsmännischen Röpfe verreist sind, auf
denen die armen Tiere zu weiden pflegen.

Norderney. Hier bewundert man die geniale Schwimm-
kunst des Fürsten Bülow, der auch im Wasser dauernd
an der Vberfläche zu bleiben weiß.

Friedrichshafen. Infolge der wiederaufgenommenen
Fahrten des Zeppelinschen Luftschiffes legen sämtliche
Hühner am Bodensee vor Angst keine Eier mehr, weil
sie das Ding für einen vorsintflutlichen Raubvogel halten.

München. Zwischen den heurigen zahllosen Rongressen
fehlt hier nur noch ein Antialkoholikerkongreß. Lr traut
sich aber nicht recht her, obwohl ihm die Strafkammer
freies Geleit zugesichert hat.

St. Moritz (Engadin). Durchlaucht Serenissimus trafen
gestern hier ein, um mit Rindermann zu rodeln und Ski
zu laufen. Leider mußte ihm bedeutet werden, daß für
besagten Wintersport die Saison bereits zu weit vor-
geschritten sei.

Marienbad. Ihr Rorrespondent hat den Schneider
Rönig Eduards interviewt. Der Mann behauptet: es
werde von Jahr zu Jahr schwieriger. Seine kugelrunde
Majestät „einzukreisen".

Rap Skagen. Am 7. Juli zwang die plötzlich er-
scheinende Jacht „Hohenzollern" das englische Manöver-
geschwader, Salut zu schießen. Die benachbarte Stadt
Albeck konnte zwar nicht Salut schießen, aber sie be-
teiligte sich wenigstens durch begeistertes Platzen sämt-
licher Fensterscheiben.

Barcelona. Als Sommerfrische für Rönig Alfons ist
Heuer Barcelona in Aussicht genommen. Freilich ist dieser
Entschluß noch nicht ganz „bombensicher".

Serenissimus und die Zeitereignisse.

„Sie, Kindermann... der Deutsche Kaiser
fährt jedes Jahr nach dein Nordkap?"

„Sehr wohl, Durchlaucht."

„Hm! Begreife nicht, wie der hohe Herr
Vetter das fertig bringt. — Unsereins möchte
ja auch so gern mal ausspannen; aber Sie
wissen doch, Kindermann: die verdammten
Regierungspflichten...!!"

„Sie, Kindermann... äh... was hat Kollege
Eulenburg eigentlich verbrochen?"

„Er hat einen Meineid geschworen, Durch-
laucht."

„So 'ne Raffiniertheit!! — Wissen Sie,
Kindermann: dazu wäre ich gar nicht fähig!"

• Der jnuaUtle.

Ss war ein Invalide,

Lin armer, gebrechlicher Mann;

So einer, wie gern im Liede
Hofdichter ihn dichten an.

Sr halte bei Düppel gefachten,

Zn Böhmen und dann am Rhein,

Wo ihm zwei Kugeln durchlochten
Den Arm und später das Bein.

Sein eisernes Kreuz am Rocke,

Sr trug es mit Heidenftolz,

Db mühsam auch nur am Stocke
Marschierte sein Bein von Holz.

Und ob auch die Hand, die rechte,
Hing lahm zum Schenkel herab:

Ss wehrte im Lebensgefechte
Die linke die Sorgen ihm ab!

4

Sr lernte linkshändig schreiben
Und trat in eine Kanzlei,

Dort könnt' er den Hunger vertreiben
Mit Aktenschreiberei.

Wohl schien dem wackern Soldaten
Dies Handwerk ledern und dumm!

Sr schrieb — und seufzte nach Taten;
So ging die Zeit herum.

Sie ging herum im Zluge,

Und aus dem Mann ward ein Greis;
Bei jedem Zederzuge
Bebte die Linke schon leis.

Ruh' aus von jeglicher Plage,

Ich pensioniere dich jetzt!" —

Und siehe: am andern Tage
War glatt er aufs Pflaster gesetzt.

Ss schützte Nicht vorm verhungern
Den Graukopf die kleine Pension;
Bald sah man als Bettler ihn lungern
Und fechten um Gotteslohn.

Sr schnorrte bei Vorgesetzten,

Beim Kriegsminister sogar,

Und legte, Matthäi am letzten,

Sein Llend dem Reichstag dar.

Der Reichstag war grade bei Kasse,
Doch leider nicht für ihn:

Sr brauchte Gelder in Masse
Zur Hebung der Kolonien!

Da dachte, zu schwach zum Srwerben,
Zn seiner bittersten Rot
Der Invalide zu sterben
Den echten Solöatentod.

Sr hinkte zur Siegessäule,

Gespickt mit Kanonen dick.

Sprang oben im Sturmgeheule
Herunter und brach das Genick.

Und sterbend hob er die Blicke
Und lästerte Thron und Altar
Und fluchte seinem Geschicke,

Daß er ein Preuße war.

Da hörte man freundlich sagen
Zum Krüppel den Vater Staat:

„Was willst du dich länger noch plagen,
Du wackrer alter Soldat?

Sin Leutnant ließ ihn verhaften
von wegen dem Unfug gleich,
Worauf sie zur Wache schafften
Den Leichnam kalt und bleich.

Ss wusch sein Blut, das rote,

Die schmutzige Diele blank--

Leser, was lehrt dich der Tote?

Das ist des Vaterlands Dank! Mch°l.
 
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