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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 25.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.6608#0370
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• 6038

Der €rn$t der Zeit

Aus dem treuen Sängerauge
6ine bittre Zähre fällt,

(Denn er beut in Deutschlands Gauen
Crüben Blickes Umschau hält.

In das Berz der Untertanen
Zogen gift’ge Skrupel ein:

Selbst für Geld und gute Ulorte
CUill man nicht mehr Durra Schrein.

(Heb! in Michels gläub’gem Busen
eine Schlange nagt und frisst,

Und er zweifelt an der GJeisbeit,

Die von Gottes Gnaden ist.

Unbotmässig sind die Uölker,

Und in Ost und Ulesten grollt’s,
Selbst in Hamburg und in Sachsen
Reget sich der Bürgerstolz.

Geh, sogar des Freisinns Mannen
Blicken ernst und kummervoll,

Denn auch diesen Ahnungslosen
Scheint nicht alles, wie es soll.

Ja, in vielen frommen Seelen
Schwand die Ehrfurcht vor dem Chron,
Und in Hamm bedrängt der Knappe
Den leibhaft’gen Kaisersohn.

Majestätsbeleidigungen
Hört man ohne Scham und Scheu,
Ratlos ringen ihre Hände
Staatsanwalt und Polizei.

Alter Ordnung Stützen wanken,
Schranzen fallen um beim Mahl,
Und des Reiches höchste Richter
Schiesst man an im Sitzungssaal.

3a fürwahr, ich kann’s nicht leugnen,
Schwer und trübe ist die Zeit,

Und bei wenigen nur herrschet
Unbefangne Fröhlichkeit:

Quietscbfidel ist unser Bülow, Und aus allerhöchsten Sphären
Dem ein feiner Goup gelang, Schallet muntrer Brettelsang. r. $.

Michels ItHegenUeü.

vom Reitfjsftanzler gesungen.

Spare, guter Michel, spare
Von der Wiege bis zur Bahre,

Jeden Pfennig leg' beiseite,

Denn das Reich steht vor der Pleite,
Am Rotwendigsten gebricht's,

Und die Reichen geben nichts;
Darum muß der kleine Mann,

Unser guter Michel dran.

Spare, guter Michel, spare
von der Wiege bis zur Bahre,

Frisch, fromm, froh mit gutem Mut
Dpfre all dein Hab und Gut,

Alle Freuden dieser Welt —

Denn der Kanzler braucht viel Geld

Und die Reisepolitik

Kostet manches Groschenstück.

Spare, guter Michel, spare
von der Wiege bis zur Bahre,

Sei solid und meide sein
Tabak, Bier und Branntewein,
Zahme deinen gier'gen Wanst,

Daß du feste steuern kannst,

Gib mir deinen letzten Gulden,

Denn das Vaterland hat Schulden.

Spare, guter Michel, spare
von der Wiege bis zur Bahre;
Abends, wenn die Sterne funkeln,
Sitz' als Patriot im Dunkeln
Und bedenke freudig, daß
Schöne Steuern bringt das Gas;

Tue deine Bürgerpflicht
Und zünd' an ein Sechserlicht.

Spare, guter Michel, spare
Von der Wiege bis zur Bahre!

Dünkt dich mein Finanzsystem
Auch ein wenig unbequem:

Laß es dir nicht merken und
Halt gefälligst deinen Mund,

Denn vor allem gilt der Sah:
Rörgeln Ist jetzt nicht am Platz!

Leiden.

Viel tausend Säulen auf dem Erdenrund,
Sie wissen all von blut'ger Schlacht zu melden;
Sie tun der Nachwelt, der erstaunten, kund
Die Namen von viel blutbefleckten Helden.

Ach, die Geschichte ist noch immer schlecht
Und hüllt die Menschenhäupter noch in Nebel,
Auf einen Weisen kommen — sagt' mit Recht
Der Dritte — tausend Helden mit dem Sabel.

Doch sieh, dort drangen in der Erde Schoß
Geschwärzte Männer, um heraus zu holen
Die Schätze, die dort lagern reich und groß,
Die unentbehrlich für uns sind, die Kohlen.

Für kargen Lohn zerschlugen das Gestein
Sie, das gehärtete, mit eh'rnem Fleiße,

And ihre Stirne troff in harter Fron
Und Löllengluten von dem sauren Schweiße.

Ein Opfer für die Menschheit jeder Tag,
Wofür man niemals noch gedankt den Guten -
Da furchtbar brach herein der Wetterschlag,
Der alle sie begrub in flüss'gen Gluten.

Und kein Entrinnen gab's, kein Retten mehr
Aus diesem tiefen Reich, dem höllenheißen.
Die wilde Flamme fraß der Helden Heer,
Verzweifelt steh'n dieWitwen und dieWaisen.

Wo ragt dereinst die Säule, die der Welt
Die Namen dieser Helden wird verkünden?
Such' nur, so weit das Sonnenlicht erhellt
Das Land — nie wirst du solche Säule finden!

A. T.

„An den Kaiser!"

Die Konservativen kannten ihre Pappen-
heimer. Die Nationalliberalen ließen die Finger
von der Geschichte. Der Freisinn aber hatte
Löwenmut und plante, selber, ganz allein, zum
Berliner Schloß zu pilgern und dort gehorsamst
im Namen der Nation jene Adresse zu über-
reichen, die der § 77 der Geschäftsordnung
vorsieht.

„Achtundvierzig wurden sie gerüffelt und
dann rausgeschmissen!" sagte ein Kundiger.
Man guckte sich bedenklich an:

„Na ja, aber Sie wissen doch . . . Friedrich

Wilhelm IV_!"

„Pst."

„Und dann sind die Treppen doch alle mit
Läufern belegt!!"

Eines Morgens näherte sich eine parla-
mentarische Sturmkolonne von neun zylinder-
tragenden Freisinnigen dem Posten vor dem
Hause, wo der Kaiser wohnt.

„Lassen Sie uns herein, lieber Mann!" flötete
Kämpf so höflich wie nur möglich. Der Gre-
nadier von den Maikäfern feixte:

„Wer sind Sie denn?"

„Reichstagsabgeordnete."

„Das is ja noch nich mal so viel wie'n
Unteroffizier!"

„Wir haben aber eine Empfehlung von
Bülow!!"

„Bülow hat hier »ischt zu sagen. — Bringen
Se was Schriftliches vom Herrn Platzmajor
von Berlin!" „

Seufzend machte einer von den neun, der
zugleich Leutnant der Reserve war, sich auf
die Beine und ging zum Herrn Platzmajor
von Berlin. Der lächelte höhnisch:

„Hier haben Sie Ihren Schein. Aber mehr
wie drei auf einmal dürfen auf keinen Fall
'rein!! Strikter Befehl Seiner Exzellenz des
Herrn Gouverneurs von Berlin!" sagte er
achselzuckend, als der andere ein fragendes
Gesicht machte.

Drei tapfere Freisinnige schlichen die Treppen
des Schlosses hinauf und freuten sich über die
weichen Läufer. Einem von ihnen fiel plötz-
lich etwas ein:

„Wir brauchen zwar, glaube ich, nicht mal
anzuklopfen, Herr Kollege Träger, angesichts
der Würde und Bedeutung unserer Mission.
Aber ich weiß das nicht genau: ich will mal
'runter und den Posten fragen!"

Weg war er. Der andere blieb stehen und
meinte: „Herr Kollege Träger, Sie heißen ja
Träger; also tragen Sie's Ihm, bitte, 'rauf!
Meine Empörung über den nationalen Schaden
ist so groß, daß ich fürchte, durch irgend ein
impulsives Wort den Erfolg unserer guten
Sache in Frage zu stellen." Kopfschüttelnd
 
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