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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 25.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.6608#0390
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6058

~s Der Klang. s—

Die eilenden Stunden rinnen.
Schlohweiße Nebel umspinnen
Die kalten Himmelslichter.

So dumpf die Glocke hallte
Die Flocken fallen dichter.

Das Jahr, das Jahr wird alt.

And Stimmen wollen künden
Von den vergebenen Sünden:
„Du arme Welt, frohlocke!"

Doch Plötzlich schweigen sie still —
Es ist ein Sprung in der Glocke,
Drum klingt's so seltsam schrill.

Es ist ein Klang aus Erden,

Der will nicht stille werden!

Der will kein Händefalten,

Der will hintönen durchs All
And sich aufs neue gestalten
Im mahnenden Glockenhall.

Drin klingt der Frauen Weinen,

Das Wimmern der hungernden Kleinen,
Das Stöhnen der Schwachen, denen
Kein Licht den Pfad erhellt —

Das Bangen und das Sehnen,

Das große Leid der Welt.

Wir kennen ihn! Er tönte
In unsere Tiefe und höhnte
Der Tröstung, die uns zeigen
Die Märchen, fromm und alt.

Er wird nicht eher schweigen.

Eh' unser Lied erschallt.

Eh' unsres Liedes Stürme
Ambrausen die Kirchentürme,

Wann sich die Schmerzen lindern.

Die Schmerzen, kalt und hart.

And allen Menschenkindern
Ein Wohlgefallen ward! P-m

#friede auf erdenf

„Zriede soll es sein auf Erden!"

Kunden uns die Weihnachtskerzen,

Und es sehnen sich nach Frieden
viele Millionen Herzen!

Friede künden uns die Priester
Bei dem Feierklang der Glocken,

Doch es kann in diesen Tagen
Drob die Menschheit nicht frohlocken.

Kalt wie immer aus die Erde
Schaut herab der Sternenhimmel,
UeberaU in weiter Runde
Tobt ein kriegerisch Getümmel!

UeberaU Getös' und Lärmen
Aufgereizter Völkermassen,
wie beim Raubtier in der wüste
Schäumt die Wut der Menschenrassen.

Aufgewühlt bis in die Tiefe
Sind der Raubgier ekle Triebe,

Allen voran als ein Muster
Montenegros Hammeldiebe.

Dort zu Petersburg am grünen
Tische sitzen sie im vollen
Hochgefühle des Erfolges,

Die den Rubel ließen rollen.

An dem schönen großen Wirrwarr
wollen sie ihr Herz erfrischen,

Denn bei diesem gar vortrefflich
Läßt es sich im trüben fischen.

Ach, vom Himmel ein Messias
Kann uns nicht den Frieden bringen,
Und es können sich die Völker
Ihn nur selbst einmal erringen, n.z.

Tarnkappen mit Oesen.

Sie sind eine Erfindung des Orients und in
China seit Tausenden von Jahren im Gebrauch.
Früher hatten die Tarnkappen keine Oesen, so
daß der Träger nur ungesehen überall dabei
sein konnte; unter der ruhmreichen Mandschu-
dynastie erfand ein genialer Ohrenarzt die
Oesen dazu, die dem Tarnkappenbesitzer auch
die Gedanken seiner Umgebung verrieten.
Leider mußte der Erfinder, nachdem er zwei
Tarnkappen mit Oesen versehen hatte, nach
chinesischer Staatsraison den Tod erleiden:
die beiden Kappen reichten gerade aus für
den Herrscher des Reiches der Mitte und seinen
Thronfolger; für weitere lag ein Staatsbedürf-
nis nicht vor. Sie befanden sich bis vor kur-
zem im Besitz der Kaiserin-Tante von China
und wurden von ihr wie ein Heiligtum ge-
hütet. Bei der Flucht vor der gepanzerten
Faust der Deutschen gingen sie verloren, ge-
langten in die Hand der Deutschen und be-
finden sich nunmehr in gesichertem Besitz in
Berlin.

Diese beiden Kappen haben nun in diesen
Tagen in Deutschland eine Rolle gespielt. Sie
sind benutzt worden, um die wirkliche Mei-
nung der Volksvertreter zu erkunden. Der
inoderne Harun al Raschid ist mit seinem
Begleiter von einer unternommenen Rekognos-
ziernng zurückgekehrt. Das Ergebnis war ein
durchaus beruhigendes.

Was die Sozialdemokraten betrifft, so
haben die Tarnkappen mit Oesen nichts zu-
tage gefördert, was irgendwie eine Hoffnung
auf Besserung gestattete. Entgegengesetzt, sie
waren innerlich noch viel revolutionärer, als
sie äußerlich zu erkennen gaben. Die Diktatur
des Proletariats war ihr ganz ungetrübt zu-
tage tretendes Ideal.

Auch bei den Konservativen deckten sich
Reden und Ueberzeugung. Ziemlich deutlich

aber trat ihr Begehren nach mehr Liebesgaben
hervor und der Aerger, sich in die Macht mit
der bürgerlichen Kanaille teilen zu müssen.
Da die materiellen Wünsche leicht zu befrie-
digen sind, besonders durch die tätige Mithilfe
der Kanaille, so wird sich auch der Aerger
legen. Die Konservativen konnten als die zu-
verlässigsten Stützen von Thron und Altar
notiert werden.

Nicht ganz so klar stand es bei den Ultra-
montanen. Sie sind äußerlich nicht kalt,
nicht warm und innerlich nur von dem einen
Gedanken beseelt, die Macht der römischen
Kirche wieder aufzurichten. Um den Preis
eines Ganges nach Kanossa sind sie für alles
zu haben. Warum auch nicht? Es ist'ja ohnehin
„zum Katholischwerden", so daß kein Mensch
mehr was Besonderes darin finden wird, wenn

-! Sollten eines schönen Tages die

heiligsten Güter der Nation bedroht sein, so
wird das schwarze Armeekorps in die Front
gestellt.

Die Liberalen haben am meisten zur Auf-
heiterung Harnn al Raschids und seines Be-
gleiters beigetragen. Müller-Meiningen, Nau-
mann und Payer redeten immer das Entgegen-
gesetzte von dem, was sie dachten. Es war
für die beiden Hellhörigen ein Vergnügen,
dein geistigen Eiertanz der Liberalen beizu-
wohnen. Hier drohte keine Gefahr.

Was die Mandarinen durch den Besitz der
Tarnkappen bis vor kurzem wußten, das weiß
man in Deutschland jetzt auch: der konstitutio-
nelle Lärm war das equilibristische Kunststück
einiger Gernegroße, das früher in China mit
der gelben Jacke belohnt wurde, — hier dienen
die roten Adler dem gleichen Zweck. „Es wird
sich bald eine passende Gelegenheit finden, den
bürgerlichen Stolz vor Königsthronen mit und
ohne Eichenlaub zu dekorieren. Wir werden
besorgt sein, daß ihnen nicht zu wenig Adler
in die Knopflöcher fliegen."
 
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