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6062 —-

Der Glocken Klänge ziehen feierlich
Durchs stille Tal.

Im Herzen wird das alte Märchen wach:
Es war einmal. . .

Die alte Mär, so süss und wundersam,
Von jener Nacht,

Wo einer Jungfrau Mutterschoss der Welt
Das Heil gebracht.

Das Wort des Friedens, welches heut erschallt —
Es klingt wie Hohn!

„Erlöser“ nennt ihn die Knechtseligkeit,

Den Menschensohn. . . .

Und wie hat seine Lehre man befolgt
Die rein und gut?!

In Christi Namen flössen Ströme oft
Von Bruderblut. . . .

Nein, wir sind nicht erlöst. Jedoch es strahlt
Ein Hoffnungslicht!

„Erkenntnis“heisst der Stern, derleuchtend hell
Den Wahn durchbricht.

O schöner Wahn! Der Kinder, Träumer noch Der Macht’gen Hass, des Pöbels Unverstand O armes Volk, was säumst du länger noch?

Mit Lust beseelt! Ans Kreuz ihn schlug Reiss’ doch entzwei

Du schleichend Gift, das schon Jahrtausende Wie manchen Edeln, der für Licht und Recht Den Irrtum, der wie Ketten dich umschlingt,

Die Menschheit quält! Das Banner trug. Und mach’ dich frei!

Dann wird er kommen, freundlich, schön und klar, Nicht Fürstenmacht, nicht Pfaffentrug hemmt mehr
Der Weihetag, Der Freiheit Lauf —

Wo wirklich allen Menschen Fried’ und Freud’ Dein Zagen nur und Träumen trägt die Schuld . . .

Erscheinen mag. Mein Volk, wach’ auf! r.C.C.

-o o o-

Ein Trauersang.

Nun ging's zu End'. Verblichen sind
Die letzten Hoffnungsstrahlen,

An unser»» eignen Grabe stehn
Wir armen Liberalen.

Heiß mühten um des Kanzlers Gunst
Wir ohne Ruh' und Rast uns.

Kein Opfer war uns je zu groß.

Zu drückend keine Last uns.

Ei» jeder Fußtritt, der uns traf,
Erhielt uns frisch und fröhlich.

Und wenn man uns ins Antlitz spie,
So lächelten wir selig.

Wo aber, sagt mir, blieb der Lohn,
Den.ihr uns einst versprochen?

Vom fetten Iunkerfraße gab
Man uns die mager» Knochen.

Ganz niederträchtig und gemein
Ist man mit uns verfahren.

Die in des Kanzlers Meute wir
Die treusten Hunde waren.

Rur Lohn und Spott und Iackenfctt
Lohnt uns von jeder Seite,

Zu Ende ging die Herrlichkeit
And furchtbar ist die Pleite.

Schier voll und ganz und unentivegt
Sind wir bankrott geworden.

Und nichts ist uns geblieben als
Fünf rote Adlerorden. 3

Vor der Steuerkasse.

„Also hier is de nazjonale Sparkasse. Ick
wollte man bloß frage», wann ick »rer meine
Sparjroschens wieder abheben kann?"

Serenissimus über die Lage.

Unser ständiger Vertreter am Hofe Sere-
nissimi hatte die Ehre und das Vergnügen,
sich des längeren und breiteren über die letzten
Ereignisse mit Serenissimo unterhalten zu kön-
nen. Seine Durchlaucht war sehr animiert,
ließ eine Flasche Wein anfahren, was noch
nie passiert war, und sagte:

„Ah . . . lieber Herr . . . Prost! Heute will
ich mich auch mal interniewen lassen!!"

„Durchlaucht haben also schon gehört. . .?"

„Ja, von Kindermann. Der liest das „Ber-
liner Tageblatt". Ich verstehe aber nicht,
warum die Leute eigentlich Spektakel machen.
Von mir kommt doch auch alles in die Zei-
tung!"

„Aber nur gute Witze, Durchlaucht!!"

„Witze?? Möchte ich mir sehr verbeten
haben! Sagen Sie lieber: Verstandesblihe."

„Hm."

,,-Na, und das . . . äh . . . das andere sind
doch auch Verstandesblitze??"

„Sie haben recht, Durchlaucht! Aber ivie
denken Sie über Bülow?"

„Büloiv is 'n feiner Kerl. Aber meinem
Kindermann kann er nicht das Wasser reichen.
Kindermann hätte Reichskanzler werden inüs-
sen."

„Aber Durchlaucht!!"

„Was verstehen denn Sie davon?? Kinder-
mann weiß sogar aufzutrumpfen! Er is ’»
richtiger . . . äh . . . Bismarck. Jäwoll."

„Woraus schließen Durchlaucht denn das?"

„Na, neulich stand er wieder mal mit mir
zusammen in Ihrem „Wahren Jacob"! Und
da hat er mir ganz einfach seine Demission
angeboten, wenn ich nicht aufhören würde,
mich und ihn zugleich so furchtbar zu bla-
mieren !"

Der Mann mtt üer blauen Mütze.

Stumm und verdüstert kauern sie
Zwischen den kahlen wänden —

Der Mann des starren, des grausamen Rechts
Der grimme Bote des Themis-Geschlechts
Ist da, um sie auszupfänden.

Den kargen Hausrat versiegelt er
Der Mann mit der blauen Mütze.
Geschnitzt aus dem echten Beamtenhol;,
„Amtiert" er ganz selbstbewußt und stolz —
Des Staates festeste Stütze.

Die Kinder wimmern, die Mutter klagt.
„Lr" steht wie das starre Zatum.

Laßt die Mutter klagen, die Kinder schrei'n -
Im Staate, im Staate muß (Ordnung sein. -
„Lr" protokolliert das Datum.

An den Vater schmiegt sich der älteste Bub'
„D Vater! will das der Kaiser,

Daß man uns all' uns're Sachen nimmt?
Das hat er doch sicher nicht bestimmt."

— „Mein guter Junge, sprich leiser!" —

Und der zweite Junge fragt ganz bestürzt:
„Ja, Vater, gibt's denn nicht Lngel?

Sie mußten's dem Herrgott sagen gleich,
Der macht, wenn er will, sofort uns reich!"

— „Sei ruhig, mein süßer Bengel!"

Seid ruhig, es braucht nur/'mal der Staat
Rur zahlungsfähige Bürger —

Und wer nicht pünktlich zahlen kann,

Der leidet's mit der Familie dann,

Dem wird das Gesetz zum Würger.

Und ist zertrümmert Familie und Haus,
Dann ist es eben — Verhängnis,

Doch der Zamilie „Heiligkeit"

Die schützt der Staat noch allezeit,

Den Frevler trifft Gefängnis! r,5moai.
 
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