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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 26.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.6707#0013
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6081 -—-

Parallele.

Es hat gesprochen der Naumann so schön,
So tiefdurchdacht und so klug,

And beinah bis zu den Sternen erhob
Sich kühn seines Geistes Flug.

Die ewige Wahrheit, die niemand gekannt.
Die wurde nun offenbar.

Es sprühten Blitze aus seinem Äaupt,

Die Welt ward beleuchtet so klar.

And „Mehrheitsbildung ist Politik!"

So prägt' er den ehernen Satz,

And in der Geschichte goldnem Buch
Kriegt der einen Ehrenplatz.

Die spätesten Enkel werden daraus
Mit Weisheit sich saugen satt —

So las man's in dieser großen Zeit
In jeglichem Freisinnsblatt.

Der Äinterhofbauer im Allgäu ist
Ein tapferer Zentrumsmann,

Auf den der Pfarrer bei jeder Wahl
Durchaus sich verlassen kann.

And Sonntags er zur Versammlung geht.
Wo trefflich sein Pfarrherr spricht;

Der meint: „Glaubt nur den gelehrten Äerrn,
Die aus der Stadt kommen, nicht.

„Die machen euch vor nur blaue» Dunst,
Das ist nur wegen der Wahl,

Doch ihr glaubt nur, was das Zentrum sagt,
And siegt stets durch eure Zahl!" —

Der Linterhofbauer geht froh nach Laus,
Lacht in sich hinein: „Äaha!

And wenn mer schoo die Dümmsten san.
Die Mehreren san mer aa!" sansFlux.

Die zehn Gebote des Liberalismus.

Das erste Gebot.

Du sollst keine eigene Meinung haben.

Was ist das? Mr sollen Bernhard, un-
fern Herrn, über alle Dinge fürchten, lieben
und ihm allein vertrauen.

Das zweite Gebot.

Du sollst an den Taten deines Herrn keine
unbequeme Kritik übe».

Was ist das? Wir sollen den Kanzler
fürchten und liebe», daß wir seiner Politik
nicht fluchen, noch daran kritteln und nörgeln,
sondern ihm folgen auf allen Holzwegen, prei-
sen, loben und danken.

Das dritte Gebot.

Du sollst den Büchmann heiligen.

Was ist das? Wir sollen den Kanzler fürch-
ten und lieben, daß wir seine Reden und Ge-
seires nicht verachten, sondern es heilig halten,
gerne hören und Bravo schreien.

Das vierte Gebot.

Du sollst alle Minister, Staatssekretäre und
Geheimräte ehren, auf daß es dir wohl gehe und
du einen roten Adler kriegest beim Ordensfest.

Was ist das? Wir sollen den Kanzler
fürchten und lieben, daß wir auch seine Kol-
legen und Handlanger nicht verachten noch
erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen
dienen, gehorchen und die Stiefel wichsen.

Das fünfte Gebot.

Du sollst nicht töten.

Was ist das? Wir sollen den Kanzler
fürchte» und lieben, daß mir seinen Gesetzes-
vorlagen im Parlamente keinen Schaden noch
Leid tun, sondern stets für ihn stimmen, und
ihm helfen aus allen Wurstkesseln und Geistes-
nöten, unentwegt und voll und ganz.

Männerstolz vor

1. „Hah! wir werden es Ihm zeigen, dab es »och
teutsche Männer gibt "

3. „die noch heute für ihr Bolk und Vaterland mit
Freuden ihr Blut lassen würden —"

--:--O O

Das sechste Gebot.

Du sollst nicht ehebrechen.

Was ist das? Wir sollen den Kanzler
fürchten und lieben, daß wir seinem Block
treu bleiben in Worten und Werken, mit dein
Roten keine »»keusche Verbindung eingehen
und jegliche oppositionelle Wollust ersticken in
unserem Herzen.

Das siebente Gebot.

Du sollst nicht stehlen.

Was ist das? Wir sollen den Kanzler
fürchten und lieben, daß lvir ihn aus seiner
Stellung und Gehalt nicht hinausdrängeln,
sondern ihm sein Amt und Nahrung helseil
bessern und behüten.

Das achte Gebot.

Du sollst nicht Schlechtes sprechen und glau-
ben über deinen Herrn.

Was ist das? Wir sollen den Kanzler
fürchten und lieben, daß wir die schlecht ge-
sinnte Presse nicht lesen noch hören auf das,
so die Spötter sagen, sondern sollen ihn ent-
schuldigen/ die Tante Boß halten und alles
zum Besten kehren.

Das neunte Gebot.

Du sollst nicht begehren deinesNächstenHaus.

Was ist das? Wir sollen den Kanzler
fürchten und lieben, daß wir seinen Lieblingen,
den Agrariern, nicht mit List nach ihren Reichs-

Königsthronen.

2. „die nicht mit sich spassen lassen und die Rechte
des Voltes zu vertreten wissen —"

4. „hah! wir werden es schon

O-

oder Landtagsmandaten streben, sondern ihnen
dieselbigen gegen die Roten zu verteidigen
stets förderlich und dienstlich sein.

Das zehnte Gebot.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten
Knecht, Magd, Vieh oder ivas sein ist.

Was ist das? Wir sollen den Kanzler
fürchten und lieben, daß wir den Junkern
nicht ihre Gesindeordnnnge», Viehzölle und
Liehesgaben abspanne», abknöpfen oder ab-
wendig machen, sondern dieselben erhöhen
und verstärken, daß unsere Junker in Freuden
leben und die deutsche Kultur des zwanzigsten
Jahrhunderts erstrahle in wahrhaft liberalem
Glanze.

Was sagt nun Wiemer von diesen
Geboten allen?

Er sagt also: Bernhard, der Kanzler, unser
Herr, ist ein eifriger und stolzer Herr, der
nur tut, was ihm von oben befohlen wird,
und auch von uns, seinen liberalen Kneusten,
den gleichen Gehorsam verlangt.

Was ist das? Der Kanzler dräuet zu
strafen alle, die diese Gebote übertreten; darum
sollen die liberalen Mannesseelen sich fürchten
vor seinem Zorn und nicht wider solche Ge-
bote tun. Denen aber, die ihn lieben und
seine Gebote halten, verheißet er alles mög-
liche, was sich, so Gott will, erfüllen wird bei
ihren Kindern im hundertsten Glied. I. S.
 
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