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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 26.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.6707#0016
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6084 —

Anerhört!

Serenissimus: Jetzt habe ich mir den lieben Gott zum Kaffee Ungeladen und er kommt nicht.
Sollte der auch nichts mehr von mir wissen wollen?

o o o

Der Staatsanwalt.

Nach bekannter Meloüie.

Lin Staatsanwalt ist fein heraus:

Lr thront in der Zustitia Haus,

Lr ist ein furchtbar hohes Tier,

Lr ist der halbe Herrgott schier.

Lr kämpft für das, was echt und wahr.
Lr schützt den Thron und den Altar:
Zeigt einer gar verstand, Vernunft,
Bereitet er ihm Unterkunft.

Lr trägt das vielgepriesne Kleid
Der staatlichen Gerechtigkeit
Mit Würde stets. Zch möchte bald
Auch werden so ein Staatsanwalt!

Doch nein er ist bedauernswert,

Wie ich vor kurzem erst gehört:
Fünftausend Mark nur kriegt Gehalt
So 'n armer deutscher Staatsanwalt.

Das ist ein wahrer Bettelsold.

Lr darbt mit Weib und Kind und grollt,
Und wird so nach und nach verstrickt
Zn einen seelischen Konflikt. . . .

Geht's weiter so, beginnet gar
'nen Streik der Staatsanwälte Schar.

Ls wär' entsetzlich! Nein, o nein
Ich möchte kein Staatsanwalt sein!! P.e.

Gesinmmgstüchtige Zimmer-
gymnastik.

Jeder Staatsbürger besteht ans drei Teilen:
aus Verstand, Seele und Körper.

Der Verstand ist zwar der kleinste dieser drei
Teile, aber zugleich auch der staatsgefährlichste!

Er hat dauernd Krawall und häuslichen
Krach mit der staatsbürgerlichen Seele, die,
von Natur aus sanft, fromm und brav, doch
allmählich gelernt hat, sich mit der Zähigkeit
und Hartnäckigkeit einer energischen Ehefrau
allen Eigenmächtigkeiten zu widersetzen und
den Verstand so gründlich wie möglich unter
den Pantoffel zu kriegen. So gründlich, ivie
es ihre selige Mutter, die vormärzliche Unter-
tanenseele, mit dem „beschränkten Untertanen-
verstand" gemacht hat.

Seit einigen Jahren ist nun leider eine
höchst bedauerliche Verschärfung der Gegen-
sätze in diesem musterhaften Familienleben
eingetreten. Die Schuld liegt am staatsbürger-
lichen Verstand, der nach und nach recht nörg-
lerisch und schwarzseherisch geworden ist und
mit einer gewissen Kratzbürstigleit fortwährend
häusliche Streitigkeiten provoziert.

So zum Beispiel schimpft er neuerdings regel-
mäßig ivie ein Rohrspatz auf die gutbürger-

liche hurrapatriotische Hausmannskost, die ihm
die sorgende Gattin vorseht — und wirst den
Brei ganz einfach zum Fenster hinaus.

Für jeden Staatsbürger von noch einiger-
maßen loyaler Gesinnung und Treue gegen
Thron und Ältar ist es daher heilige Pflicht,
hier schleunigst in sich zu gucken und die be-
drohte Position seiner unsterblichen Seele in
diesem schweren Kampfe nach Kräften zu unter-
stützen. Denn nur seine Seele kommt später
mal in den Himmel, nichi aber der meisten-
teils gottlose Verstand!

Schon die alten Lateiner sagten: eine ge-
sunde Seele könne nur in einem gesunden
Körper wohnen. Dasselbe gilt natürlich auch
für eine staatserhaltende, königstreue Seele.

Also stärke man systematisch seinen Körper
in dieser Richtung!!

Freilich empfiehlt es sich, die vorzunehmen-
deu Freiübungen wegen ihres speziellen poli-
tischen Charakters grundsätzlich nur daheim
im Zimmer auszuführen, weil sie draußen auf
der Straße von bösen Menschen leicht als
Signale einer Geistesstörung aufgefaßt werden
dürften.

Zunächst beim Aufstehen achte man peinlich
darauf, daß man immer mit dem rechten Beine
voran das Bett verläßt; sonst hat man im
Laufe des Tages Malheur bei der nationalen
Turnerei und verknackst sich womöglich den Fuß!

Sodann verbeuge man sich mindestens fünfzig-
mal vor einer monarchischen Gipsbüste oder
Lithographie, wie man sie billig genug kaufen
kann. Schlimmstenfalls verbeuge man sich vor
einem Zweimarkstück. Man erzielt dadurch ein
weiches Rückgrat.

Nach dem Kaffeetrinken veranstalte man ein
flottes Hindernisrennen rund durch das ganze
Zimmer: über Tisch und Stühle hinweg. Man
wird dabei sehr bald die ungemeinen Schwierig-
keiten erkennen und würdigen lernen, mit denen
unsere auswärtige Politik zu kämpfen hat.
„Alles verstehen, heißt alles verzeihen!" sagt
der Franzose.

Vor dem Mittagessen setze man sich hungrig
und nackt in einen mit Wasser gefüllten Wasch
zuber, der irgend einen Ozean darstellt. In
dieser Situation markiere man durch eisrigeS
Plantschen die Weltmachtgelüste des Prole-
tariers.

Nach. dem Mittagessen versuche man das
Sofa mit beiden Armen freihändig in die Höhe
zu „stemmen". Nach mehreren vergeblichen
Bemühungen wird man einsehen, daß der Be-
ruf einer gewerbsmäßigen Thronstütze durchaus
nicht so leicht ist.

Abends von der Arbeit nach Hause gekom-
men, boxe man eine halbe Stunde lang mit
irgend einem größeren Gegenstand, von dem
man phantasiert, daß er die Sozialdemokratie
bedeute. Es empfiehlt sich, einen recht kan-
tigen und harten Gegenstand zu wählen, um
sich ordentlich weh zu tun und wirklich in ehr
liche Wut zu geraten.

Spätestens um diese Zeit wird die Logis
wirtin ihre Nase zur Türe hereinstecken und
fragen, was das bloß für ein verdammter
Spektakel sei? Ihr Erscheinen benutze man zu
einem netten kleinen turnerischen Scherz. Man
brülle entsetzt: „Die gelbe Gefahr!!" — und
klettere blitzschnell auf den Schrank oder krieche
mit der Geschwindigkeit einer Rakete unter
das schon erwähnte Sofa.

Sollte sich die Mietspartei eine Etage tiefer
über das Getrampel oder das Wasser bc
schweren, so weihe man sie höflich, aber diskret
in den höheren Zweck des Rummels ein. Sie
wird dann Geschmack daran finden und mit
machen. Und es wird ein berühmtes Haus
werden!
 
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