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Gl 02

^ Friedensbürgschaft, s—

Das neue Jahr hat fürchterlich begonnen.

Mit Massenmord, Verwüstung, Schreck und Graus,
And dennoch hat die Welt dabei gewonnen:
Dem Italiener ging die Puste aus!

Sich jetzt mit Montenegro zu verbünden
Und mit dem Schwiegervater im Verein
Ein Balkanfeuerchen sich anzuzünden -
Die Lust, die dürfte ihm vergangen sein.

Auf seinen Schultern lasten andre Sorgen;

Tief in den Säckel hat er jetzt zu schaun.

Und was nicht drinnen ist, das mutz er borgen,
Denn auf dem Schutt Messinas hockt das Graun.

Darob vergißt vermutlich er Albanien,

Ein Abenteuer, das sich schwerlich lohnt.

Denn sicher holt fein andrer die Kastanien
Ihm aus der Asche, wie er das gewohnt.

Die Erde wankt', das Meer begann zrr sieden
And aller Tage Ende schien zu nahn.
Entsetzlich war's, doch fiir den armen Frieden
War es ein Glück, wie wir noch keines sahn.

Die unter wüstem Trümmerschutt gebettet
Mit plumpem Stoß des Todes rohe Land,
Vor größrem Unheil haben sie gerettet
Die halbe Welt, nicht nur ihr eignes Land.

Sie saulen unterm Kalk und wir gewinnen,
Das unheildroh'nde Kriegsgewölk zerweht;
Wir haben Grund, ergriffen nachzusinnen
Den eignen Wegen, die das Schicksal geht.

Der preußische Mandateraub.

Wie friedlich könnt' im Vaterland
Der gute Bürger leben,

Tät's — Äimmelherrgottsakrament —
Bloß keine Noten geben!

Die nisten überall sich ein
And schaffen Pein und Qualen
Mit Ketzerei und Nörgelei
Ans armen Liberalen.

Kein Play und keine Stelle ist
Ans ungestört verblieben.

Sogar im preuß'schen Parlament
Zählt man schon ihrer Sieben.

Sie schmälern unseren Profit
And lähmen uns're Kräfte
And sehen auf die Finger uns
And stören die Geschäfte.

Teilt man vergnügt in Michels Fell
Sich mit der Iunkertruppe,

Gleich mischt sich auch der Rote ein
And spuckt uns in die Suppe. —

Im sogenannten geist'gen Kampf
Ist er nicht umzubringen —

Drum müssen schon auf andre Art
Wir ihn zum Schweigen zwingen.

Die Nacht ist still, es schläft die Welt,
Nicht scheinen Mond noch Sterne —
Der Fischbeck reicht den Dietrich uns.
Der Strosser die Laterne.

So schleichen sein verschwiegen wir
Zum list'gen Attentate
And von den sieben rauben wir
Dem Roten vier Mandate.

Äurra, juchhe! Wir haben sie!

Der Streich ist uns gelungen,

And in die Beute teilen sich
Die wackern schweren Jungen.
Einbrecher-Karl beglückwünscht uns
Als würdige Kollegen
And die Negierung gibt dazu
Sanft lächelnd ihren Segen.

Glossen.

Der Kampf des Zentrums gegen die Nackt-
kultur ist nur zu begrüßen. Staat und Unter-
nehmertum ziehen den Arbeiterstand aus bis
aufs Hemd. Da inan ihm demnächst auch das
letztere noch über die Ohren ziehen will, so
wird hoffentlich das Zentrum mit den Sozial-
demokraten gemeinsame Sache machen und
diese Unsittlichkeit bekämpfen.

Nach der „Post" ist die Militärmusik dazu
da, um dem bürgerlichen Publikum den
Militarismus sympathischer zu machen. Ohne
„Blech" scheint das also nicht möglich zu sein.

Jedenfalls, weil Nr. Karl Peters auch ein
großer „Held" ist, wird von einer Berliner
Korrespondenz der Vorschlag gemacht, ihn im
Wahlkreise Hoya-Verden als Kandidat aufzu-
stellen, der bisher durch den nationalliberalen
„Helden" Held vertreten war.

Der preußische Minister Breitenbach meint
im „Berliner Lokal-Anzeiger", „daß sich die
augenblickliche wirtschaftliche Lage in Deutsch-
land als eine Periode des Stillstandes, zu-
treffender des ,Ansruhens< kennzeichne."

Auf die Ausbeuter, welche sich auf Kosten
der Arbeiter den Leib vollgeschlagen haben
und nun der Verdauungsruhe pflegen, kann
diese Ausführung zutreffen.

136322 Mark wurden aus kommunalen Mit-
teln für einen zwei Tage währenden Kaiser
besuch in Münster in Westfalen, einer Stadt
von 82000 Einwohnern, ausgegeben. Vielleicht
stellen die „besuchten Städte usw." einmal eine
Statistik-auf, um zahlenmäßig zu beweisen,
wie lieb und „teuer" ihnen der Kaiser im Laufe
der Jahre geworden ist.

Die japanische Zensur verbot unter anderem
die große Moliere-Übersetzung, die letzteTolstoi-
Broschüre und Zolas Roman „Paris".

Sie ist inzwischen hart dafür bestraft wor
den: das preußische Kultusministerium sandte
eine Sympathie-Adresse.

Ein braver Rekrut.

Musketier Kribnlski, Pole und Zentrums
mann aus der Gegend von Kattowitz, schießt
mit fünf Patronen fünf Treffer gegen eine Kopf
scheibe auf 300 Meter. Die erstaunten Borge
setzten sperren Mund und Nase aus. — „Js
sich bloß, weil sich auf Scheibe preußische
Uniform gemalt ist!" grinstKribulski gemütlich.

Das Leben ist unser Schulmeister. Die
„Tatzen", die es austeilt, nennt man böse Er
fahrungen.

Mancher merkt erst auf dem Sterbebett, daß
er im Leben mehr Glück als Verstand gehabt hat.

Roerens Gebet.

O lieber Gott, ich bete selten;

Drum wirst du mich erfüllend segnen:

Laß, bitte, auf die Großstadtwelten
Ein bißchen Pech und Schwefel regnen!

Die nackende Bachantenschar,

Die greuliche Anzuchtskamorra —

Laß sie verderben ganz und gar
Wie weiland Sodom und Gomorrha.

Ich bete drum als frommer Christ,
Inbrünstig, heiß und ungeduldig. —

Doch, unter uns gesagt: Du bist
An alledem auch etwas schuldig!!

Denn hätt'st du mich als Tugendwächter
Einst eingesetzt beim Weltentstehen,

Dann gab' es keine zwei Geschlechter
And keine Sittlichkeitsvergehen. . . .

Auch quälet mich in meinen Träumen
— And heftig muß ich mich beklagen —
Daß auch in deinen Kimmelsräumen
Die Englein keine Kosen tragen!

And dann das Schlimmste—ruchlos,schändlich
Ich frag' dich mit verzagter Miene:

O lieber Gott, wann macht man endlich
Die Kinder mit der Nähmaschine?? P. §
 
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