Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
6106

Gegen den Philister. -

Weiß Gott, ich bin kein zäher Lasser,
Kein grimm in sich verschloff'ner Feind,
Kein spiegelglattes, tiefes Wasser,

Das tückisch ist und harmlos scheint.

Wild braust empor in lautem Koller
Des Anmuts leicht erregter Born,

Ein Wirbelsturm, ein jäher, toller
Doch rasch verflogen ist mein Zorn.

And fallen beißend scharfe Worte
Im zitternd schrillen Ton der Wut,

Stets klingt doch aus dem Schlußakkorde
Der Menschenliebe heil'ge Glut.

Nur eine cinz'ge Menschensorte
Treibt mir die Galle bis ins Lerz,
Verschließt der Milde jede Pforte
And wandelt es in sprödes Erz.

Nicht ist's mit honigsüßer Lippe
Der Pfaffen schwarzer Mückenschwarm,
Nicht ist's der Junker dreiste Sippe,
Nicht Landrat ist es und Gendarm.

Nicht ist's der Büttel, nicht der Richter,
Der König nicht, der Kanzler nicht.

Nicht ist's der Protzen satt' Gelichter,

Selbst nicht des Zaren Milchgesicht.

Die Menschensorte, die ich meine.

Wohnt in der Lütte und im Schloß,

Sonnt sich im höchsten Gnadenscheine,

Läuft dunkel mit im niedren Troß;

Ist Landwerksmann und auch Minister,

Gilt bald für dumm, bald für gescheit:

Der Spießer ist es, der Philister,

Die fleischgeword'ne Kleinlichkeit.

Im Kampfe mit brutalen Recken,

And wird dir auch das Wams zerschlitzt.

Da kannst du kühn und frei dich strecken.
Wenn Schwert auf Schwert hell klirrend blitzt.

o o o

Im Strauß mit elegantem Streiter,

Der eine feine Klinge schlägt.

Wird dir der Kampf zum Spiel, das heiter
Dich stimmt und wie Musik bewegt.

Doch willst du mit Philistern kämpfen.

Birg' hinter Brüstung dich und Wehr.

Den Geist, die Kühnheit mußt du dämpfen,
Abprallen Pfeil, Rapier und Speer

An seiner dicken Nashornschwarte.

Zu Schanden wird dein bestes Schwert,

Es holt nur Lücke sich und Scharte,

Wenn es auf seinen Schädel fährt.

Er kennt nur einen Feind auf Erden,

Das Große ist's, und wo er's trifft.
Bespritzt mit neidischen Gebärden
Er geifernd es mit seinem Gift.

Äochstehend oder in der Masse,

Er ist Skorpion von Profession;

Drum hass' in ihm ich nicht die Klasse,

Im Spießer Haff' ich die Person.

Richard Wagner.

„Himmelherrgottsakrament!" schrie derHaupl-
mann Fleischer und ritt iiu Galopp auf einen
seiner Soldaten los.

„Glaubst du Kapitalrindvieh denn, ich last
mir von dir alles verhunzen?" fuhr er zorn-
schnaubend fort. Dann rief er der ganzen
Kompagnie spöttisch zu: „So, ich ivüre jetzt
eingerückt, aber weil der Amberger gar so gut
anfpaßt, bleiben wir noch eine halbe Stunde
da, bedankt euch bei dein Kamel!"

Damit meinte der Häuptling natürlich nicht
sich, sondern den Infanteristen Josef Amberger.
Dieser war inzwischen dagestanden wie ein
Konglomerat von fünfzig Prozent Elend und
fünfzig Prozent grenzenloser Dummheit. Die
Knie waren ihm vor Schrecken eingeknickt,
der Mund stand offen und die blauen Augen
starrten blödsinnig ins Leere.

Zweifellos war es eine großartige Idee ge-
wesen, den Josef Amberger zum Vaterlands-
verteidiger auszuwählen. Sein Vater war ein
Säufer, seine Mutter eine Epileptikerin und
das Produkt beider war ein ausgesprochener
Trottel, der in dem einsam stehenden Bauern-
haus, in dem er aufivuchs, an Stumpfsinnig-
keit noch zunahm. Aber um solche Dinge
kümmert sich das Vaterland bei seiner Suche
nach Kanonenfutter nicht. Der Josef Ain-
berger war halt im Jahre 1878 geboren und
daher kam er 1898 hübsch zur Musterung und
zur Aushebung. Und weil er körperlich gesund
war — die innere Beschaffenheit des Hirn-
kastens ist ja Nebensache — fand man ihn für
die wichtigsten Geschäfte, die es geben kann,
tauglich, das heißt, man berief ihn zum Schutze
von Thron und Altar.

Die Erlernung dieser hehren Pflicht ward
ihm aber nicht leicht. Wäre er imstande ge-
wesen, die sämtlichen Kosenamen, die man ihm
bisher gewidmet hatte, in Fleisch, Bein und
Blut umzuwandeln, so würde er einen Tier-
garten besessen haben, um den ihn Hagenbeck
beneidet hätte. Bon den Püffen, vom Schemel-
und Gewehrstrecken während des theoretischen
Unterrichts wollen wir nicht erst sprechen.

Heute war er beim Exerzieren wieder ein-
mal in einen jener kurzen Traumzustände ver-
fallen, die ihn manchmal überkamen. Blöd-

Der unschuldige Hauplmaim.

Von Rudolf Krafft.

sinnig hatte er vor sich hingedöst und dabei
garnicht gehört, daß derHauptmann „Marsch!"
kommandiert hatte. Erst ein kräftiger Stoß
seines Hintermannes brachte ihm die Pflicht
zum Bewußtsein, seine Spazierhölzer nach vor-
wärts zu bewegen.

Dein Hauptmann war es jetzt zu bunt. Im-
mer wieder ärgerte ihn der Kerl. Die Rekruten-
vorstellung hatte er versaut, bei der Unter-
richtsvorstellung war kein Wort aus ihm
herauszubringen gewesen. Und so ging es
weiter mit Grazie. Einsperren half da nichts.
Im Gegenteil, dabei wurde der Mensch womög-
lich noch dümmer. Vielleicht wirkte eine Tracht
Prügel. Die wollte er ihm einmal gründlich
verschaffen.

Ruine Hohen-Neuffen in Schwaben.

Und so fing er denn zu exerzieren an, daß
der ganzen Kompagnie, abgesehen von den
Herren Offizieren, die austreten durften, der
Schweiß in Strömen herablief. Laufschritt
wechselte freundlich ab mit Hinlegen und Aus-
stehen. Dann ließ der Häuptling anlegen und
die Leute so lange zielen, daß sie das Gewehr
nur mehr unter Stöhnen halten konnten. Prä
sentieren und zugleich Fersenheben ist auch eine
wenig amüsante Beschäftigung.

Schon nach einer halben Stunde sah der
Hauptmann ein, daß, wenn er so weiter mache,
ein paar Mann ohnmächtig würden. Er kom
mandierte also: „Rührt euch!"

An dem, >vas jetzt folgte, erkannte er, daß
er seine Absicht voll und ganz erreicht hatte:
Ein Dutzend kräftige Soldatenfäuste wurden
drohend und racheschwörend gegen den un-
glückseligen Josef Amberger geschüttelt.

Aber der Häuptling war ein kluger Mann
und daher wendete er rasch sein Pferd, um
ja nichts zu sehen. Er trabte auf und ab, dann
ritt er ivieder auf die Kompagnie zu und sagte:
„Jetzt gehen wir heim, vorausgesetzt, daß der
Herr Amberger aufzumerken geruht."

Der Amberger paßte wirklich auf, und so
war die Kompagnie nach einer halben Stunde
glücklich in der Kaserne gelandet.

Um zwölf Uhr mittags erschien der Feld-
webel beim Hauptinann und meldete ihm ge
horsamst, daß mehrere llnteroffiziere um Nacht
Urlaub bis zwei Uhr früh gebeten hätten. Als
der Häuptling die Zertifikate durchlaß, sah er,
daß die sämtlichen Unteroffiziere der Kompagnie
heute Nacht das dringende Bedürfnis emp-
fanden, sich bis zwei Uhr morgens außerhalb
der Kaserne aufzuhalten. Nur der Feldwebel
und der Vizefeldwebel waren nicht dabei. Die
beiden konnten nämlich ohne Erlaubnis aus-
bleiben, so lange sie wollten.

„Aha," dachte sich der Häuptling, „das ist
alles zu Ehren des Monsieur Amberger. Die
Unteroffiziere drücken sich, weil der Kerle heute
Nacht seine Keile bekommt. Viel Vergnügen
Herr Amberger!"

Ernst gab er dem Feldwebel die unter-
schriebenen Zertifikate zurück und entließ ihn
zugleich mit einem gnädigen Kopfnicken.
 
Annotationen