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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 26.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.6707#0066
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Gl 34 —

<5^ Die Agrarier-Parade. £©

Nun zogt ihr ab, ihr stolzen Recken,
Verklungen ist der große Tag,

Da ihr, dem Feind zu Angst und Schrecken,
Vollführtet mächt'gen Zungenschlag.

Der Örtel fang, der Diedrich krähte.

Laut tönte mancher starke Fluch
And durch die weite Halle wehte
Der heimatliche Mistgeruch.

And nach vollbrachtem Geisteswerke
Wie rüstig schrittet ihr zum Mahl
And zeigtet eures Leibes Stärke
Im „Ballhaus" und im „National".

All' feines Kummers scharfe Lauge
Entleerte mancher grimme Held,
Mitleidig sah des Städters Auge
Die Bäuche, die die Not geschwellt. —

Hei, wie man die Negierung lauste.
Dem Kanzler derb den Schädel wusch.
Daß donnerähnlich wild durchbrauste
Der Beifallssturm den Zirkus Busch!

Nun zogt ihr ab, ihr lust'gen Brüder,
Verduftet ist die heitre Schar —

Doch tröst' ich mich: ihr kommt ja wieder
Zur Faschingszeit im nächsten Jahr! 2 s

Mtzürahmachrichlen.

— Lin ostelbischer Vchse sperrt das Geleise der Reichs-
kleinbahn. Der ^inanzreformbummelzug verhandelt mit
ihm darüber, wer von beiden der klügere ist.

— Die Blockkomödie nähert sich dem Lnde. Der ge-
feierte Dichter schielt bereits nach einem Rotausgang aus
dem Cheater.

— pater ßiluzius vom Zentrum wurde auf einer
Wilhelmstraßenhintertreppe durch einen heruntersliegen-
den Rachnahmegeldbriefträger über den Hausen gerannt.

— Leit dem Beginn der konstitutionellen Ära hat
Bülow in Zukunft außer den kaiserlichen Crinksprüchen
auch noch die zugehörigen weine anzufertigen.

— Die preußische Wahlrechtsreform markiert das
schlafende Dornröschen hinter einer Zahlenhecke. Der
faule Zauber wird aber nur bis zum ersten Platzregen
dauern.

Lin schöner f raum.

Ach, die braven Zentrumsmannen!
von dem Abend vis zum Morgen
Sinnen schlaflos sie, wie trefflich
5ür das arme Volk zu sorgen.

Sie durchleben holde Träume
In den Rächten, in den heißen,

Und sie schöpfen aus dem vollen
Zür die Witwen und die Waisen.

Was an Zöllen und an Steuern
Übrig noch dem Reich geblieben,

Damit wollten fromm und christlich
Sie barmherz'ge Werke llben.

Richt für Heer und Zlotte seien
Diese Gelder aufgewendet,

Rein, den Witwen und den Waisen
Aus dem Volk sei'n sie gespendet!

Doch es kam die trübe Botschaft:
„Alles anderwärts benötigt!"

Die Apostel all', die schwarzen,

Hatten wieder falsch gepredigt.

Rur ein Trost ist noch geblieben
Zür die Lhristen auserlesen,

Daß der Traum von der Versorgung
Ganz erhebend schön gewesen.

Und die Witwen und die Waisen,

Die gehofft seit langen Jahren —

Daß die Träume sind nur Schäume,
Müssen jetzo sie erfahren.

Träumen mögen sie von Braten

Und von Kuchen sonder Mühe

Und erwachen bei Kartoffeln

Und der alten Heringsbrllhe. hansfiuf.

Russische Staatskunst.

Amerika ist übertrumpft; denn Rußland ist
das Land der unbegrenzten UiiMöglichkeiten.

Die europäische Kultur zog dilrch die Ehren-
pforte eines Galgens ein.

Leben und leben lassen, heißt stehlen und
stehlen lassen.

Die Ehrlichkeit des Spitzels ist der Stroh-
halm des ertrinkenden Staates.

Es gibt zwei verschiedene Beamtenkarrieren:
Halunken, die Exzellenzen werden, und Ex-
zellenzen, die Halunken werden.

Der riissische Staat läßt sich gern betrügen!
Denn die Anhänglichkeit seiner Diener wächst
mit der Summe, um die sie ihn betrügen können.

Wenn ein Würdenträger dir die Hand reicht,
mußt du sie so nachhaltig drücken, daß er vor-
läufig genug hat.

Die Moral kommt täglich unter die Räder
des rollenden Rubels.

Die Revolution bestehtfürden Zaren teils aus
Potemkinschen, teils aus böhmischen Dörfern.

Ergibt zwei echtrussische Räusche: in Schnaps
und in Blut. — Beide Getränke sind Staats-
monopol! _^_

Die Ankunst des Antisemiten.

Stöcker: Au verflucht, der Portier ist ja ein Jude!

Die Pferdeäpfel des Itlagiftrats.

In Halle a. S. wurde eine Arbeiterfrau, die, als ihr
Mann arbeitslos und ein Kind schwerkrank war, einen
Sack mit Straßenlehricht vermengten Pferdemistes von
einem Kehrichthaufen des Magistrats sammelte, wegen
Diebstahls zu einem Tag Gefängnis verurteilt.

Das, was in Halles Straßen und Gassen
Die edlen Rosse fallen lassen
Als herrenloses Gut zu betrachten
Ist ein — verbrechen. Wonach'zu achten!

Lin armes Weib, von Kummer mürbe,

In Angst, daß heim ein Kind ihm stürbe,
Lin Weib — wer wird nicht Mitleid fühlen —
Begann den Unrat durchzuwühlen
Um dürftigen Erlöses willen,

Damit es den Hunger des Kindes stillen
Und kaufen könne, was es heile.

Umsonst — es stirbt.

Doch mittlerweile
Hat ein Beamter des Magistrates
LinBürgerdes königlich preußischen Staates,
von eisernem Pflichtgefühl gebändigt
Die Polizei von dem „Diebstahl" verständigt.
Drauf wurde zu Gericht gesessen
Gb dieses Weibes, das so vermessen
Gewesen und offen und unverhohlen
Den Magistrat um die Äpfel bestohlen.

In strenger Befolgung der Paragraphen
Taten die Richter das Weib bestrafen.

Zwar seien, so heißt es in der Begründung,
Die Äpfel in ihrer verlockenden Ründung,
Sobald sie das edle Roß verlassen.

Als „herrenlos" füglich auszufassen.

Doch habe der kommunale Besen
Sie ausgehäufelt und auserlesen,

Gehörten sie zweifellos zu dem „vermögen"
Des Magistrats, von Rechtes wegen.

Der „Gnade" bleibt es nun überlassen
Sich weiter mit diesem Mist zu befassen.
Der Magistrat aber möge versuchen
Die Roßäpfel in den „Aktiven" zu buchen.
Zu messen, zu wägen und zu signieren,
Damit sie nicht wieder zum Diebstahl ver-
, führen. 2.

Glosse.

Die Abhaltung von Bibel- und Erbauungs
stunden auf den Berliner Polizeirevierivachen
erscheint recht überflüssig. Die Polizei hat doch
schon von jeher in „gutem Glauben" gehandelt.
 
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